Arzneimittel und Therapie

Schützt eine gute Blutdruckeinstellung das Herz?

Obwohl mittlerweile ein ganzes Arsenal von Substanzen und die Werte von tausenden von Patienten aus klinischen Studien zur Verfügung stehen, sind grundlegende Fragen der Bluthochdrucktherapie noch nahezu unbeantwortet. Welche Zielwerte sollte eine Therapie anstreben? Welchen Zusatznutzen besitzt eine strengere Blutdruckeinstellung? Um diese Fragen zu beantworten, wurde mit Cardio-Sis eine Vergleichstudie durchgeführt, die die Auswirkung zweier unterschiedlicher Hochdruckzielwerte auf verschiedene Parameter der Herzfunktion verglich.

1111 Patienten mit Mindestalter 55 Jahre und einem bereits behandelten Ausgangsblutdruck von mindestens 150 mmHg und zumindest einem zusätzlichen Risikofaktor wurden für die offene Vergleichsstudie in 44 italienischen Studienzentren in zwei Gruppen randomisiert. Die Vergleichsgruppe wurde auf den systolischen Zielwert zahlreicher Empfehlungen von 140 mmHg, die Interventionsgruppe auf 130 mmHg eingestellt. Teilnehmer mit Diabetes mellitus waren ausgeschlossen, da für Diabetiker bereits strengere Kriterien gelten (siehe Kasten).

Prognosefaktor Myokardhypertrophie

Als primärer Studienendpunkt wurde die Entwicklung einer linksventrikulären Hypertrophie gewählt, die den prinzipiellen strukturellen Anpassungsmechanismus des Herzens an die arteriellen Hypertonie darstellt. Das Ausmaß der Myokardhypertrophie nimmt sogar mit der Höhe des Blutdruckes zu. Als sekundäre Endpunkte wurden die Mortalität und eine Vielzahl von weiteren kardiovaskulären Erkrankungen wie Infarkt oder Herzinsuffizienz ausgewertet. Im Nachbeobachtungszeitraum von zwei Jahren wurden die Patienten alle vier Monate einer Blutdruckkontrolle sowie regelmäßigen EKG-Untersuchungen unterzogen.

Die Auswahl der medikamentösen Therapie war den jeweiligen Zentren freigestellt. Es zeigte sich, dass die gewählten Arzneistoffe sich in beiden Gruppen nicht wesentlich unterschieden. Im strengeren Regime wurden allerdings signifikant häufiger Diuretika und Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten eingesetzt.

130 mmHg für alle?

Die Entwicklung einer linksventrikulären Hypertrophie als wesentlicher Prognosefaktor für kardiale Ereignisse wurde in der streng auf 130 mmHg eingestellten Interventionsgruppe bei 11% und in der auf übliche 140 mmHg eingestellten Gruppe bei 17% der Patienten diagnostiziert, was auf einen möglichen Nutzen der strengeren Blutdruckeinstellung hindeutet. Damit ist für die Autoren ein Ziel erfüllt, da die Studie mit ihrem offenen Design sowie einem Surrogatparameter als Endpunkt als "hypothesengenerierend" für internationale Endpunktstudien konzipiert war.

Die Anzahl der als sekundärer Endpunkt ausgewerteten Ereignisse wie auch die beobachteten Nebenwirkungen unterschieden sich in den beiden Gruppen nicht.

Empfehlungen zur Hypertoniebehandlung

Aus den Empfehlungen der Deutschen Hochdruckliga e. V. (DHL) und der Deutschen Hypertonie Gesellschaft zur Behandlung der Hypertonie zur Einstellung von Bluthochdruck

  • Bei allen Hypertonikern sollte der Blutdruck mindestens auf Werte unter 140/90 mmHg gesenkt werden.
  • Der Zielblutdruck sollte kleiner als 130/80 mmHg sein bei Diabetikern und Hypertonikern mit hohem oder sehr hohem kardiovaskulären Risiko.
  • Bei Patienten mit Niereninsuffizienz und einer Proteinurie > 1 g/Tag wird ein Zielblutdruck von kleiner als 125/75 mmHg als erforderlich angesehen.

Hypertonie als weltweites Problem

30% aller Todesfälle weltweit sind kardiovaskulärer Ursache; Grund genug für den Lancet eine ganze Ausgabe ausschließlich kardiologischen Themen zu widmen. Editorial und Kommentar stellen sich übergeordneten Aspekten dieser Problematik. So wird der zukünftige Forschungsbedarf für eine weltweit wachsende Zahl Erkrankter angemahnt, Erkrankte, die nicht nur aus den reichen Staaten stammen, sondern auch Opfer schlechter Infrastruktur in Schwellen- und Entwicklungsländern sind. Aber auch soziale Unterschiede sowie kaum sichtbare Strukturen von Diskriminierung scheinen Teile von Gesellschaften komplett von den Segnungen der modernen Medizin abzukoppeln. Beeindruckendes Beispiel ist die erhöhte kardiovaskuläre Sterblichkeit psychisch Kranker. Soziale Ausgrenzung mit schlechterem Zugang zu Gesundheitseinrichtungen sowie Risikofaktoren der Krankheiten selbst, wie Gewichtszunahme als medikamentöse Nebenwirkung, werden als Ursachen benannt. Australien und Neuseeland sehen sich mit der Tatsache konfrontiert, dass ihre Ureinwohner immer noch nicht im selben Maße vom gesundheitlichen Fortschritt profitieren, wie der Rest der Bevölkerung. Zukünftige Vernetzung einer globalen kardiologischen "Community" sind ebenso Herausforderungen wie der Wissenstransfer der Ergebnisse internationaler Spitzenforschung in die Niederungen der täglichen Praxis. Zunehmende Bürokratisierung sowie Verknappung der Ressourcen werden als Hindernisse für Motivation und Fortschritt ausgemacht. Im Gegensatz zu der Welt in der wir leben, kennt die Bedrohung durch kardiovaskuläre Erkrankungen keine sozialen und geographischen Schranken, ist die Botschaft, die dem Leser durch die August-Ausgabe des Lancet auf den Weg mitgegeben wird.

 

Quelle

Verdecchia, P. et al.: Usual versus tight control of systolic blood pressure in non- diabetic patients with hypertension (Cardio-Sis): an open label randomised trial, Lancet (2009) 374: 525 – 533.

Califf, RM.: Key issues for global cardiovascular medicine; Lancet (2009) 374: 508 – 510.

Editorial, Heart Disease: breaking down barriers; Lancet (2009) 374: 501.

Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL, Deutsche Hypertonie Gesellschaft; Leitlinien zur Behandlung der arteriellen Hypertonie; Nieren- und Hochdruckkrankheiten 2009; 38(4): 137 –188, www.hochdruckliga.de/guideline.htm 

 


Apotheker Peter Tschiersch

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