Deutscher Apothekertag 2009

"Wir müssen uns aus der Fremdbestimmung befreien"

Die Patientenversorgung in Deutschland steht ohne Zweifel vor großen Herausforderungen. Und diesen müssen sich sämtliche Beteiligten stellen. Wie dies zu schaffen ist, diskutierten auf dem Apothekertag unter anderm ABDA-Vizepräsident Friedemann Schmidt, die Hauptgeschäftsführerin des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa), Cornelia Yzer, und Bernhard Gibis von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Apotheker und Ärzte zeigten sich dabei einig, dass sie in Zeiten begrenzter Ressourcen stärker an einem Strang ziehen müssen, wenn eine bedarfsgerechte Verteilung gewährleistet werden soll. Aber auch die pharmazeutische Industrie müsse bei der Festsetzung ihrer Preise Verantwortung an den Tag legen.
Cornelia Yzer Forschungspipeline ist gefüllt.

Cornelia Yzer betonte, dass auch die Industrie sich den Herausforderungen stelle. Sie wolle in einer älter werdenden Gesellschaft Arzneimittel anbieten, die die Sterblichkeit senken. Viele Erkrankungen, die vor Kurzem noch zu einem raschen Tod führten, seien dank neuer Medikamente bereits zu chronischen Krankheiten geworden. Nötig seien aber vor allem auch Innovationen für Alterskrankheiten. Ein Blick in die Forschungs-Pipeline der Hersteller zeige bereits diesen Trend: Von der derzeit rund 450 Projekten gegen insgesamt 130 Krankheiten, befasse sich ein knappes Drittel mit Krebstherapien, so Yzer. Aber auch Demenzerkrankungen und Diabetes seien wichtige Schwerpunkte.

Gefahr für die Basisversorgung

Friedemann Schmidt sieht es zwar grundsätzlich "mit Freude", dass Arzneimittel weiterentwickelt werden und neue Präparate auf den Markt kommen. Man dürfe aber "nicht zulassen, dass sich zugunsten einer hoch spezialisierten Medizin die Alltagsversorgung verschlechtert". In den Apotheken sehe man bereits die Verteilungskämpfe – und auch aus Patientensicht habe die Qualität der Versorgung in den letzten zwei Jahren nachgelassen. Es sei "eine Lüge", wenn behauptet werde, jedem werde das medizinisch Notwendige zur Verfügung gestellt, betonte Schmidt. Wenn die Politik weiterhin die Auffassung vertrete, dass in der Spitzenmedizin alles möglich sein muss, müsse sie weitere Qualitätsverluste in der Standardversorgung in Kauf nehmen. Yzer bestätigte, dass in flächendeckenden Versorgung Qualitätseinbußen zu verzeichnen sind. Es sei aber ein gemeinsames Interesse von Apothekern, Patienten und Herstellern, dass jeder am medizinischen Fortschritt teilhaben sollte. Statt den Blick stur auf Spezialpräparaten zu richten, müsse man gesamte Behandlungsabläufe betrachten und optimieren. "Wir wollen keine schematische Betrachtung und keinen virtuellen Durchschnittspatienten, der durch rein sektorale Kosten-Nutzen-Bewertungen geschoben wird", so Yzer. Nötig seien gemeinsame Versorgungsmodelle, in denen jeder Akteur seinen Part übernehmen kann. Allerdings werde in der Politik noch zu wenig darüber gesprochen, wie solche Leistungen honoriert werden können.

Priorisierungsdebatte ehrlich führen

Schmidt betonte, das Wichtigste sei die Kooperation zwischen Apothekern und Ärzten. Gemeinsam müssten sie dafür sorgen, dass die Grundversorgung an der Basis nicht schlechter werde. "Wir sind es leid, dass uns Krankenkassen und Ökonomen vorschreiben, was gut für die Patienten ist", echauffierte sich der ABDA-Vize. Dies wüssten die Patienten und ihre Apotheker und Ärzte besser. "Wir müssen uns aus Fremdbestimmung befreien – unser gemeinsamer Arbeitsgegenstand ‚Arzneimittel‘ darf uns nicht von dritter Seite entzogen werden". Allerdings, so Schmidt weiter, bräuchten die Heilberufe auch Entlastung in der Bürokratie, um sich ihren Patienten ausreichend zuzuwenden. Die Patienten müssten ihrem Arzt und ihrem Apotheker vertrauen – und dieses entgegengebrachte Vertrauen müsse auf das Medikament übertragen werden. Anderenfalls könne nicht erwartet werden, dass der Patient adhärent ist. Nötig sei auch eine offen geführte Priorisierungs-Debatte, bei der die Apotheker mitwirken wollen und werden, betonte Schmidt. So müsse man etwa darüber sprechen, welche vernünftigen Selbstbeteiligungsmodelle es gibt. Und nicht zuletzt sei es notwendig, ehrlich zu den Patienten zu sein. Sie müssten wissen, dass sie künftig mehr selbst leisten müssen. "Da sind wir noch zu vorsichtig", so Schmidt.

Eine Klammer für Apotheke und Arzt vor Ort

Bernhard Gibis betonte ebenfalls, dass Ärzte und Apotheker zu einer besseren Zusammenarbeit finden müssen, um die "Adherence" zu verbessern – dazu sei es auch nötig, in der Ausbildung beider Berufsgruppen etwas zu ändern. Dogmatische Debatten könne man sich hier nicht mehr leisten. "Wir brauchen eine umfassende Klammer für die Apotheke und den Arzt vor Ort", unterstrich Gibis. Die Patienten wünschten sich kleine Einrichtungen, in denen sie immer die gleichen Menschen sehen – und kein "Personalkarussell". Es sei ein "Irrglaube", zu meinen, dass der Wettbewerb alle Probleme beheben könne. Bei Schwierigkeiten, etwa in der Versorgung ländlicher Gebiete, müssten die Heilberufe zu gemeinsamen Lösungen finden, bei denen der Patient im Mittelpunkt steht – "das würden wir ungern Managementkonzernen überlassen", so Gibis.

Fantasiepreise ohne Verantwortung?

Auch die Preisfestsetzung der Arzneimittelhersteller für ihre neuen Präparate sorgt immer wieder für Zündstoff. "Wer investiert, will seine Investitionen rückvergütet bekommen", machte Yzer deutlich. Dennoch sei Deutschland "eindeutig kein Hochpreisland". Die Arzneimittelpreise seien vielmehr rückläufig, auch bei Innovationen bewege man sich im Mittelfeld – jedenfalls beim Herstellerabgabepreis. Was den Apothekenverkaufspreis betrifft, so gebe es gute Gründe für die unterschiedlichen Margen, so die VFA-Chefin. Nicht zu vergessen sei, dass auch die Politik über die Mehrwertsteuer maßgeblichen Anteil am Arzneimittelpreis habe. Grundsätzlich zeigte sich Yzer jedoch offen über Preise zu sprechen – die Hersteller seien freiwillig bereit, über das Vertragsgeschehen zu einer verantwortungsvollen Preispolitik beizutragen, etwa im Rahmen von Risk-Share- und Mehrwertverträgen. Gibis zeigte sich dagegen kritisch. Es sei fast einzigartig, dass Hersteller in Deutschland die Preise für ihre Innovationen selbst festlegen könnten. Er ist überzeugt, dass bei der "Trennung von Spreu und Weizen" etwas schief läuft. Bei den vielfach zu beobachtenden "Fantasiepreisen", fehlt Gibis die Verantwortung der Hersteller. Schmidt monierte ebenfalls, dass zunächst das neue Produkt auf den Markt komme – und mit ihm der Fantasiepreis. Lösungen hierfür muss man seiner Meinung nach finden, bevor Patienten und Ärzte das Präparat kennenlernen. Die Preise müsse man an einem "abstrakten Kollektiv" festmachen – und nicht erst über sie diskutieren, wenn die "kleine Marie in der onkologischen Kinderstation" betroffen ist.

ks

Friedemann Schmidt Alltagsversorgung darf sich nicht verschlechtern.
Berhard Gibis Bessere Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker.
Arbeitskreis 1 diskutiert Viele Herausforderungen für Apotheker in der Zukunft.

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