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Im siebten Himmel?

Klaus G. Brauer

Welch ein Wochenende! Vor dem Wahlsonntag, ab Donnerstag, ein Apothekertag ohne interne Konflikte, mit guter Stimmung, selbstbewussten Diskussionen. Überall war noch tiefes, erleichtertes Ausatmen zu spüren – anhaltende Nachwirkung der historischen EuGH-Entscheidung vom 19. Mai. Seitdem war klar: Das Fremdbesitzverbot im deutschen Apothekenrecht kollidiert nicht mit Europarecht. Europarecht erzwingt nicht, dass Berufsfremden und Kapitalgesellschaften in Deutschland erlaubt wird, sich eigene Apotheken anzueignen.

Noch sind die Apotheken auch von der Wirtschaftskrise, die viele Branchen derzeit beutelt, relativ verschont geblieben. Also ließ sich entspannt diskutieren, teils schon wie im 7. Himmel, in jener Himmelssphäre, in der für Aristoteles – jenseits seiner sichtbaren Welt, hinter dem Saturn – die Welt der Wünsche und Träume zu Hause ist.

Und dann der Wahlabend: Die Sozialdemokraten stürzen ab auf 23%, Ulla Schmidt war gestern, die Liberalen legen kräftig zu (auf 14,6%), zusammen mit der Union (33,8%) reicht es satt für eine konservativ-liberale Regierung. Mit 332 von 622 Bundestagsmandaten wird in den nächsten Jahren in Deutschland "Schwarz-Gelb" das Sagen haben. Da auch in Schleswig-Holstein die Große Koalition durch eine schwarz-gelbe Koalition abgelöst wird, darf die neue Bundesregierung zumindest bis zur Wahl in Nordrhein-Westfalen (im nächsten Mai) auf volle Unterstützung durch den Bundesrat zählen.

Was heißt der Ausgang der Wahl gesundheitspolitisch? Was ergibt sich für die Arzneimittel- und Apothekenpolitik? Machen wir uns nichts vor: Auch unter der neuen Regierung sind wir vor Zumutungen und unausgegorenen Schnellschüssen nicht sicher. Dagegen hilft nur, sich konstruktiv und kritisch einzubringen – mit Sachkenntnis und guten Argumenten, hartnäckig, aber mit Augenmaß und Leidenschaft, so wie Max Weber es von guten Politikern verlangt.

Erste Aufschlüsse, womit wir zu rechnen haben, geben die Parteiprogramme und die Festlegungen vor der Wahl. Da gibt es Äußerungen, die Mut machen. Aber wer setzt welche Vorstellungen in den Koalitionsverhandlungen durch? Wie werden die Ressorts verteilt, wer wird Gesundheitsminister? An den Antworten auf diese Fragen wird sich einiges Ablesen lassen.

Schnell wird man sich einigen, dass nicht infrage kommt, die Privatversicherung – so wie es von SPD, Grünen und Linkspartei gewünscht wird – in einer einheitlichen Bürgerversicherung aufgehen zu lassen. Ein erstes Konfliktfeld ist aber bereits der noch von Union und SPD installierte Gesundheitsfonds in der GKV. Die Kanzlerin hat bekräftigt, an ihm festhalten zu wollen. Die FDP hält ihn für Teufelszeug, ähnlich auch die CSU. Man darf gespannt sein, wo hier die Kompromisslinien verlaufen werden. Leicht wird man sich wohl verständigen können, dass versicherungsfremde Leistungen (z. B. die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder) über Steuermittel zu finanzieren sind, also nicht mehr den Versicherten aufgebürdet werden. Auch könnte man die derzeitigen Grenzen für mögliche Zusatzbeiträge aufheben, die Kassen ihren Versicherten abverlangen können, wenn sie mit den Mitteln nicht auskommen, die ihnen nach vorgenommenem Risikostrukturausgleich aus dem Fonds zugewiesen werden. Da bei Überschüssen auch Rückerstattungen vorgesehen sind, würden die Kassen die Versicherten faktisch wieder mit unterschiedlichen Beiträgen umwerben. Der "Gesundheitsfonds" würde zur Worthülse. Auch ob der Pflichtleistungskatalog ausgedünnt wird und die Möglichkeiten erweitert werden, freiwillige Zusatzversicherungen abzuschließen, wird man sehen.

Die FDP hat angedeutet, sie wolle den Patienten die Möglichkeiten eröffnen, im Rahmen der Substitution durch Aufzahlung auf Wunsch auch ein Arzneimittel zu erhalten, das nicht voll erstattungsfähig ist. Dies würde aber erfordern, das Instrument der Rabattverträge zumindest so zu modifizieren, dass transparent ist, bei welchem Preis die Aufzahlung anzusetzen hat.

Sicher werden die Koalitionspartner einen Versuch starten, im Dickicht der vielen unterschiedlichen – z. T. dadurch auch widersprüchlichen – Regulierungen Luft zu schaffen. Das betrifft auch den Arzneimittelbereich. Man wird sehen, wie weit sie dabei kommen.

Ganz schnell muss die neue Regierung den Auswüchsen und Ausfransungen des seit 2004 erlaubten Versandhandels mit Arzneimitteln – vor allem den "Pick-up-Stellen" – ein Ende machen. Besitzstände können dem (noch) nicht im Wege stehen. Sie waren bei Einführung des Versandhandels viel breiter berührt. Pick-up-Stellen nicht abzuschaffen, aber durch Regelungen so zu gestalten, dass daraus "Apotheken light" werden – diese Pläne im bislang SPD-geführten Gesundheitsministerium dürften jetzt ad acta gelegt werden. Alles andere wäre ein Affront gegenüber der Apothekerschaft. Er wäre nur noch zu Toppen, wenn Josef Hecken (CDU) Bundesgesundheitsminister würde: jener Ex-Justiz- und Gesundheitsminister aus dem Saarland, heute Präsident des Bundesversicherungsamtes, der Apothekenketten in der Hand von Kapitalgesellschaften den Weg bereiten wollte; der unter missbräuchlicher Berufung auf europarechtliche Bestimmung anmaßend und dreist deutsches Apothekenrecht missachtete, indem er unter zwielichtigen Umständen der niederländischen Kapitalgesellschaft DocMorris die Betriebserlaubnis für eine Apotheke in Saarbrücken zuschanzte. Der EuGH hat ihn am 19. Mai ausgebremst. Wer stoppt ihn jetzt?


Klaus G. Brauer

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