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"Red Rice" – im Zweifel kein Arzneimittel?

BERLIN (ks). In einem aktuellen Urteil hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Frage befasst, wie die Zweifelsfallregelung des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG – dem Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel – auszulegen ist. Danach ist die Richtlinie nicht auf ein Produkt anzuwenden, dessen Eigenschaft als Funktionsarzneimittel wissenschaftlich nicht nachgewiesen ist, ohne dass sie ausgeschlossen werden kann. Das heißt: Die Richtlinie gilt nur für Erzeugnisse, deren Arzneimitteleigenschaft im Lichte des jeweiligen Stands der Wissenschaft positiv festgestellt worden ist. (Urteil des EuGH vom 15. Januar 2009, Rechtssache C-140/07)
Arzneimittel oder nicht? Aus Sicht des EuGH sind die hier abgebildeten Red Rice 330 mg GPH-Kapseln kein Arzneimittel (Anm. d. Herstellers: Die Deklaration entspricht nicht dem aktuellen Recht und müsste noch angepasst werden).
Foto: Hecht Pharma

Die Frage, ob ein Präparat, das als Nahrungsergänzungsmittel in den Handel kommt, möglicherweise ein Arzneimittel ist, das ohne Zulassung vertrieben wird, hat die Gerichte bereits vielfach beschäftigt. Auch die RedRice-Kapseln, die der Großhändler Hecht-Pharma 2002 auf den deutschen Markt brachte, wurden von der Bezirksregierung Lüneburg als Arzneimittel eingestuft und ihr Inverkehrbringen untersagt. Die "Red Rice 330 mg GPH-Kapseln" enthalten den Wirkstoff Monacolin K. Dieser ist mit Lovastatin identisch, das in Deutschland als verschreibungspflichtiges Arzneimittel in Verkehr ist. Im anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren wurde die Auffassung der Bezirksregierung bestätigt. Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hatte in seiner Entscheidung das streitige Produkt nicht eindeutig, sondern "aller Wahrscheinlichkeit nach" unter Hinweis auf die Zweifelsfallregelung des Art. 2 der Richtlinie 2001/83/EG als Funktionsarzneimittel eingestuft. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte im Revisionsverfahren Bedenken im Hinblick auf diese Auslegung der Zweifelsfallregelung. Es legte daraufhin dem EuGH entsprechende Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Der EuGH äußert sich verhältnismäßig kurz zur Auslegungsfrage der Zweifelsfallregelung. In den Entscheidungsgründen führt er aus, dass der Begriff des Funktionsarzneimittels diejenigen Erzeugnisse erfassen solle, "deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt wurden und die tatsächlich dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Damit sei die Richtlinie nicht auf ein Produkt anwendbar, dessen Arzneimitteleigenschaft gemäß der Begriffsdefinition der Richtlinie nicht wissenschaftlich festgestellt wurde. Die Vorschriften der Richtlinie dürften nicht dergestalt ausgelegt werden, dass Behinderungen des freien Warenverkehrs entstehen würden, die völlig außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel des Gesundheitsschutzes stehen würden. Dass eine Eigenschaft als Funktionsarzneimittel nicht ausgeschlossen werden kann, rechtfertigt nach den Grundsätzen des EuGH demnach die Anwendung der Zweifelsfallregelung und damit der einschlägigen Richtlinie. Die Zweifelsfallregelung ist also nicht als Vermutungs- oder Beweislastregel auszulegen.

Mit einer weiteren Frage wollte das BVerwG geklärt wissen, ob ein Produkt als Funktionsarzneimittel angesehen werden kann, weil es einen Bestandteil enthält, der in bestimmter Dosierung – die beim zu beurteilenden Präparat über den bestimmungsgemäßen Gebrauch hinaus geht – physiologische Veränderungen hervorrufen kann. Bei dem konkreten Produkt hatte das vertreibende Unternehmen vorgetragen, dass eine pharmakologische Wirkung der Red-Rice-Kapseln bei der angegebenen Verzehrempfehlung auszuschließen sei. Diese sei im Vergleich zu der für Lovastatin empfohlenen täglichen Dosis wesentlich niedriger. Der EuGH führt diesbezüglich aus, dass Produkte, die eine physiologisch wirksame Substanz enthielten, nicht systematisch als Funktionsarzneimittel eingestuft werden könnten, ohne dass die zuständigen Behörden von Fall zu Fall jedes Produkt mit der erforderlichen Sorgfalt prüfen. Dabei müssten insbesondere seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften berücksichtigt werden, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen ließen. Damit könne ein Produkt nicht als Funktionsarzneimittel eingestuft werden, wenn es aufgrund seiner Zusammensetzung, einschließlich der Dosierung seiner Wirkstoffe, und bei bestimmungsgemäßer Anwendung die menschlichen physiologischen Funktionen nicht in nennenswerter Weise wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen könne.

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) begrüßte die Entscheidung des EuGH im Ergebnis. Das Urteil zeige aber auch, dass die Zweifelsfallregelung eigentlich überflüssig ist: Denn wenn eindeutig wissenschaftliche Erkenntnisse für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Arzneimittels gegeben sind, dürften gerade keine Zweifel mehr an der Anwendung der arzneimittelrechtlichen Vorschriften bestehen, so der BAH. Nun muss sich das Bundesverwaltungsgericht erneut mit dem Fall der Red-Rice-Kapseln befassen.

Die Anwaltskanzlei Sachs in Hamburg, die das Verfahren von Beginn an betreut hat, teilt dazu mit, dass das Bundesverwaltungsgericht auf Grund der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nur das Verfahren ausgesetzt hatte. Dieses Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht muss jetzt wieder aufgenommen werden. Das bedeutet, dass erneut vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt wird und erst dann ein Urteil ergeht, das über das Schicksal der Red-Rice-Kapseln entscheidet.

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