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Terpe: "Apothekenketten verstoßen gegen Grundwerte der Grünen"

BERLIN (diz). Welche Position nehmen die Grünen zur Apotheke ein? Hinreichend bekannt ist die Ansicht von Biggi Bender, Mitglied im Gesundheitsausschuss. Sie plädiert offen für Apothekenketten. Doch das dürfte nicht die Meinung aller Grünen sein, wie sich im Interview mit Dr. Harald Terpe, Die Grünen, Obmann im Ausschuss für Gesundheit des Bundestages, herausstellte. In unserer Serie "Gesundheitspolitiker vor der Wahl" zeichnet er ein anderes Bild: Für ihn sind Apotheken fest eingebunden in das Netz zur hochwertigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Mit Harald Terpe sprach Peter Ditzel.

Kurzvita Harald Terpe

Dr. Harald Terpe, geboren und aufgewachsen in Greifswald, studierte Humanmedizin in Rostock und machte anschließend eine Facharztausbildung zum Facharzt für Pathologie. 1998 wurde er Oberarzt am Institut für Pathologie der Universität Rostock. Er ist Vater von fünf Kindern.
In die Politik kam Terpe mit der Wende: Im Oktober 1989 trat er der Bürgerbewegung Neues Forum bei. Im Jahr darauf wurde er für die Wählergemeinschaft Bündnis 90 Mitglied der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock. Dort war er bis 1994 Fraktionsvorsitzender. Nach vierjähriger Pause zog er wieder in die Bürgerschaft ein und wurde dort Mitglied des Präsidiums. Abgeordneter des Deutschen Bundestags ist Terpe seit 2005. Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen wurde er 2006. Im Bundestag ist der Mediziner Mitglied und Obmann im Ausschuss für Gesundheit und Pflege sowie Sprecher für Drogen- und Suchtpolitik der grünen Bundestagsfraktion.
Harald Terpe

DAZ: Falls die Grünen nach der Wahl mitregieren dürfen – was würden Sie im Gesundheitswesen als erstes ändern?

Terpe: Ganz dringend muss die Frage der Finanzierung geregelt werden. Es ist zu überlegen, wie man zu nachhaltigen Einnahmeverbesserungen kommt. Wir gehen davon aus, dass sich im Gesundheitsfonds erhebliche Defizite zeigen werden, vor allem im kommenden Jahr. Es ist absehbar, dass es künftig bei vielen Kassen Zusatzbeiträge geben wird. Dies wird aber zur Aushöhlung des Solidarprinzips führen. Was mir persönlich und uns Grünen überhaupt nicht gepasst hat: der Gesundheitsfonds als solcher, den wir von Anfang an abgelehnt haben. Ich verstehe bis heute nicht, wie man so etwas einführen konnte.

DAZ: Die Apotheke selbst kommt im Regierungsprogramm der Grünen so nicht vor. Welchen Stellenwert räumen Sie der deutschen Apotheke ein?

Terpe: Ich sehe die Apotheken fest eingebunden in das Netz zur hochwertigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln.

DAZ: Der Europäische Gerichtshof hat im Mai ein für Apotheker epochemachendes Urteil gefällt: Er hat das in Deutschland und den meisten EU-Staaten geltende Fremdbesitzverbot bei Apotheken für gemeinschaftskonform erklärt. Sind Sie mit dem Urteil zufrieden?

Terpe: Ich bin sehr froh über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Fremd- und Mehrbesitz. Mit diesem Urteil ist nun Sicherheit geschaffen worden. Es geht in die Richtung, die ich favorisiere. Wir Grünen sind dafür, dass die Apotheken eine hohe Verantwortung bei der Arzneimittelversorgung haben.

DAZ: Herr Terpe, nicht alle Grünen denken so wie Sie. Ihre Parteikollegin Biggi Bender sieht eine bessere Arzneiversorgung gegeben, wenn das Großkapital Apothekenketten besitzt. Das kommt bei Apotheken nicht gut an. Sie driftet in Richtung Apothekenkette ab …

Terpe: Ich finde es nicht gut, dass von Seiten mancher Apothekenfunktionäre so heftig gegen meine Kollegin Biggi Bender polemisiert wird. Ich weiß nicht, ob das Ziel meiner Kollegin Biggi Bender Apothekenketten sind. Es gibt jedenfalls bei den Grünen unterschiedliche Meinungen dazu. Ich meine jedenfalls, dass Apothekenketten gegen Grundwerte der Grünen verstoßen würden, weil es letztendlich darauf hinaus läuft, dass Oligopole entstehen. An Oligopolen dürften wir alle kein Interesse haben. Das trifft auch auf andere Teile unserer Gesellschaft zu, nicht nur auf Apotheken. Oligopole und Monopole sind für die Preisgestaltung und aus vielen anderen Gründen keine günstige Lösung. Immerhin, das EuGH-Urteil ist jetzt da und es ist eindeutig.

DAZ: Ein Thema, das bei Apothekern nach wie vor diskutiert wird, ist der Versandhandel. Wie stellt sich für Sie der Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland dar? Können Sie dazu stehen oder würden Sie ihn lieber abschaffen?

Terpe: Es ist eine zweischneidige Sache. Der Versandhandel hat durchaus auch Vorteile, zum Beispiel für Personen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Das war eines der Hauptargumente für seine Einführung. Ich würde es aber begrüßen, wenn vor allem die Apotheken vor Ort zum maßgeblichen Player im Versandhandel würden und sich an der Versorgung von Patienten, die in ihrer Bewegung eingeschränkt sind, beteiligen. Ich hielte es für die bessere Variante, wenn sich der Versand in kleinen überschaubaren Gebieten abspielen würde. Nun ist der Versandhandel zugelassen und wir werden damit leben müssen. Allerdings sollten wir die Entwicklung beobachten.

Die Argumente, die immer wieder gegen den Arzneiversandhandel angebracht werden, nämlich eine Zunahme von Arzneimittelfälschungen, greifen allerdings nicht, denn es gibt derzeit keine gravierenden Anhaltspunkte für eine Zunahme. Mit genügend krimineller Energie kann man mit und ohne Versandhandel Arzneimittel fälschen und in Umlauf bringen. Was ich sagen will: Man sollte ein starkes Augenmerk auf die Sicherheit des Versandhandels legen. Und man sollte genau aufpassen, ob der Versandhandel auf Dauer zur Verdrängung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung führt. Bisher sieht es eher nicht so aus, dass dies in größerem Stil passiert.

DAZ: Aber es gibt bereits Auswüchse des Arzneiversandhandels, nämlich die Arzneimittel-Pick-up-Stellen in Drogeriemärkten. Aus Sicht der Apotheken stellen diese Ausgabestellen ein Problem der Arzneimittelsicherheit dar, außerdem verkommt das Arzneimittel, das Image des Arzneimittels dadurch zu einer Drogerieware. Wie sehen Sie dieses Problem?

Terpe: In erster Linie geht es um Qualität. Ich bin der Auffassung, dass eine Pick-up-Stelle im Grunde genommen Apothekenstandard haben müsste. Eine "Apotheke light" zu schaffen, dagegen wehre ich mich. Ich weiß, dass es in dieser Frage einen Briefwechsel mit dem Bundesverband der Apothekerverbände gegeben hat und sich ein Kompromiss abgezeichnet hatte. Aber wir sollten genau beobachten, wie sich das nun weiterentwickelt.

DAZ: Ein weiteres Gebiet, auf dem versucht wird, bestehende und bewährte Regelungen im Arzneimittelbereich zu verändern, ist der einheitliche Apothekenabgabepreis bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Wie stehen Sie dazu?

Terpe: Vieles spricht für einen einheitlichen Apothekenabgabepreis. Preiswettbewerb ist bereits genug vorhanden bei den verschreibungsfreien Arzneimitteln, bei den verschreibungspflichtigen brauchen wir das nicht.

DAZ: Wie könnte man Kostensteigerungen im Arzneimittelbereich in den Griff bekommen? Sind Rabattarzneimittel ein adäquates Instrument? Haben sie sich bewährt?

Terpe: In den letzten vier Jahren, in denen ich im deutschen Bundestag bin, hat es schon unterschiedliche Maßnahmen gegeben, Preissteigerungen zurückzudrängen. Bei den aktuellen Rabattverträgen kann man noch nicht abschätzen, was sie denn eigentlich gebracht haben und ob da finanzieller Aufwand und Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Prinzipiell ergibt sich dadurch das Problem, dass es zu Konzentrationen im Pharmamarkt kommen könnte. Einerseits soll ein größerer Wettbewerb auch unter Arzneimittelherstellern stattfinden, auf der anderen Seite macht man mit solchen Mechanismen genau diesen Wettbewerb wieder kaputt. Deswegen sollte man prüfen, ob Rabattverträge wirklich das Richtige sind.

DAZ: Wo sehen Sie die Zukunft der Apotheken? Sollen sie stärker in die Beratung eingebunden werden? In die Prävention? In die Verantwortung für Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arzneimitteltherapie?

Terpe: Der Apotheker hat nach wie vor die Versorgung auf hohem qualitativem Niveau sicherzustellen. Dazu gehört ganz wesentlich die umfassende und unabhängige Beratung. Hier wird der Apotheker in Zukunft seine Bedeutung behalten. Überlegt man, welche Verantwortung der Apotheker zusätzlich übernehmen könnte oder wo noch Ausbaumöglichkeiten gegeben sind, dann ist dies sicher auf dem Gebiet der Prävention. Wir Grünen wollen die Prävention, den Präventionsgedanken im Gesundheitswesen ohnehin stärken. Ein weiterer Gedanke: Derzeit stellen die Ärzte die Diagnose, wählen das Arzneimittel aus und verordnen es. Hier kann ich mir eine gute Zusammenarbeit mit den Ärzten vorstellen. Als Arzt weiß ich, dass viele ärztliche Kollegen ihre eigenen Therapievorstellungen haben. Aber gerade unter den verschiedenen gesetzlichen Vorgaben kostet es den Arzt doch viel Zeit, das richtige Arzneimittel unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten auszusuchen. Hier könnte eine intensive Zusammenarbeit mit dem Apotheker von Vorteil sein.

DAZ: Könnten Sie sich vorstellen, dass ein Arzt nur noch den Wirkstoff und die Dosierung auswählt und dem Apotheker die Auswahl des Arzneimittels überlässt?

Terpe: Man kann zumindest darüber nachdenken, dass dies in eine gute Zusammenarbeit münden kann und sollte.

DAZ: Herr Dr. Terpe, vielen Dank für das Gespräch.

Bündnis 90/Die Grünen – das Wahlprogramm

Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Wahlprogramm "Der grüne neue Gesellschaftsvertrag" einen Richtungswechsel in der Gesundheitspolitik: "Weg vom Gesundheitswesen als bloßen Reparaturbetrieb hin zu einem Gesundheitswesen mit mehr Prävention und Gesundheitsförderung." Ein wirksames Präventionsgesetz soll die finanziellen Voraussetzungen dafür schaffen, dass bereits bestehende Angebote in den Kommunen eine verlässliche Basis erhalten und qualitativ weiterentwickelt werden können.
Auch die wohnortnahe Versorgung und Betreuung chronisch kranker Menschen – gerade in einer alternden Gesellschaft – will die Partei verbessern: "Dazu gehört die Förderung der Zusammenarbeit von ÄrztInnen, ApothekerInnen, anderen Gesundheitsberufen sowie Krankenhäusern" – dies bleibt im Übrigen die einzige Erwähnung der Apotheker im Wahlprogramm. Die hohen Barrieren zwischen verschiedenen Teilen des Gesundheitssystems sind aus Sicht der Partei ein Kennzeichen des deutschen Gesundheitssystems und einer der wesentlichen Gründe für seine fehlende Effizienz. "Sie müssen überwunden werden." Die Grünen wollen den Patienten zudem die Wahl unter unterschiedlichen Behandlungsarten lassen – auch unter Einbeziehung anerkannter alternativer Behandlungsmethoden. "Naturheilmedizin und komplementärmedizinische Angebote müssen einen gleichberechtigten Stellenwert in der gesundheitlichen Versorgung erhalten."
Herzstück der grünen Gesundheitspolitik ist die Einführung einer Bürgerversicherung, die alle Menschen in die solidarische Finanzierung einbezieht und damit die "Zwei-Klassen-Medizin" abschafft. "Das heißt für uns, dass der Gesundheitsfonds der Großen Koalition zügig wieder abgewickelt werden muss." Die politische Festsetzung eines einheitlichen Beitragssatzes sieht die Partei als "Einstieg zu einer zusätzlichen kleinen Kopfpauschale", der zu einem Druck auf die Krankenkassen führe, ihren Versicherten notwendige Leistungen vorzuenthalten. "Mehr Wettbewerb zwischen den Kassen in einem bundeseinheitlichen Wettbewerbsrahmen und mehr Qualitätswettbewerb zwischen Leistungsbringern zugunsten der Patientinnen und Patienten ist dabei sinnvoll, darf aber nicht zulasten der Beschäftigten im Gesundheitswesen gehen", heißt es weiter. In die Bürgerversicherung soll jeder nach seiner Leistungsfähigkeit einzahlen – auch die bislang PKV-Versicherten. Neben dem Lohneinkommen sollen auch andere Einkommensarten wie Kapitaleinkommen und Einkommen aus gewerblicher Vermietung und Verpachtung in die Finanzierung einbezogen werden. Für die zusätzlichen Einkommensarten sollen Freigrenzen eingeräumt werden, zudem soll die Beitragsbemessungsgrenze angehoben werden.
Den Einstieg in die Bürgerversicherung wollen Bündnis 90/Die Grünen mit "wichtigen Strukturreformen" verbinden: Dazu zählen sie die Stärkung der hausarztzentrierten Versorgung und den Ausbau der Integrierten Versorgung. Um den "nach wie vor exorbitant" hohen Arzneimittelkosten zu begegnen, will die Partei mit einer "Positivliste für Medikamente eine wirksame Maßnahme zur Dämpfung der Kosten durchsetzen". Zudem müssten Entscheidungen über Neuzulassungen von Medikamenten "nachvollziehbar und transparent" und mit einer Kosten-Nutzen-Bewertung verbunden sein.
Medikamentenzuzahlungen und die von ihnen mit eingeführte Praxisgebühr wollen Bündnis 90/Die Grünen abschaffen – "weil sie für arme Menschen große Hürden darstellen und deshalb in nicht wenigen Fällen zur Verschleppung notwendiger Behandlung führen".
Das komplette Wahlprogramm finden Sie im Internet unter: http://gruene.de/partei/programm.html

Bündnis 90/Die Grünen und die Apotheke

Das Verhältnis der Partei zu den Apothekern ist – jedenfalls auf Bundesebene – schon lange angespannt. Auch ihre Bundestagsfraktion hatte im Jahr 2003 mitbeschlossen, den Versandhandel mit Arzneimitteln zuzulassen. Bis heute stehen sie zu dieser Entscheidung. Vor allem aber haben sie sich – allen voran die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, Biggi Bender – immer wieder für den Fremd- und Mehrbesitz von Apotheken ausgesprochen. Im aktuellen Wahlprogramm finden sich derartige Forderungen allerdings nicht.

Daten und Fakten

Die Bundespartei Die Grünen wurde Anfang 1980 in Karlsruhe gegründet. 1993 haben sich die im Bündnis 90 zusammengeschlossenen Bürgerrechtsbewegungen der ehemaligen DDR und die westdeutschen Grünen zur jetzigen Partei Bündnis 90/Die Grünen vereinigt. Die Partei hat rund 45.000 Mitglieder. Bei den letzten Bundestagswahlen erhielt Bündnis 90/Die Grünen 8,1 Prozent der Wählerstimmen.

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