Pharmakoökonomie

Rabattverträge der AOK – wirksam und unbedenklich?

Von Falk Hoffmann, Roland Windt und Gerd Glaeske

Seit dem 1. April 2007 haben Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen Einzug in die Versorgung gehalten und bis heute gibt es eine regelrechte Flut solcher Vereinbarungen. Die AOK war Vorreiter bei Rabattverträgen und startete zum 1. Juni 2009 für 63 Wirkstoffe neue Verträge. Mittlerweile liegen 27 Monate Erfahrungen unter realen Bedingungen hinter uns, die auch bei einigen AOKen durch unzählige Rabattverträge gekennzeichnet waren. Diese haben Einfluss auf die Präparateauswahl in der Apotheke und damit letztendlich auch auf den Versicherten.

Rabattverträge Ihre Umsetzung ist zeitaufwendig und ver­unsichert die Patienten. Auch die neuen Rabattverträge haben trotz gewisser Vorteile ihre Schwächen.

Foto: DAZ/diz

 

Mit großem Presseecho liefen zum 1. Juni 2009 die neuen Rabattverträge der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) an. Von einem nicht mehr aufzuhaltenden Paradigmenwechsel im Generikamarkt ist sogar die Rede [1]. Die AOK startete für insgesamt 63 Wirkstoffe Rabattverträge mit einer Laufzeit von zwei Jahren. Für mehr als die Hälfte (59%; 37 der 63 Wirkstoffe) erhielt bundesweit jeweils genau ein Hersteller den Zuschlag. Aufgeteilt auf fünf sogenannte Gebietslose teilen sich jeweils zwei Bieter für 22 Wirkstoffe (35%) und drei Hersteller für vier Wirkstoffe (6%) die Zuschläge [2]. Für Versicherte einer AOK existiert damit je Wirkstoff genau ein rabattierter Hersteller. Mit diesen Verträgen ist nach einer Übergangsfrist von einem Monat mit erheblichen Marktverschiebungen und Umstellungsproblemen zu rechnen, da die AOK mit 23,9 Mio. Versicherten mehr als ein Drittel (34%) der 70,2 Mio. gesetzlich Krankenversicherten ausmacht [3]. Alle bisher bestehenden Rabattverträge für besagte 63 Wirkstoffe wurden zum 1. Juni 2009 gekündigt.

Relevanz für die Versorgung haben Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen im generikafähigen Markt seit dem zum 1. April 2007 in Kraft getretenen GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG). Im Dezember 2008 hatten 215 Krankenkassen mit 116 Pharmaunternehmen insgesamt 5777 Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V abgeschlossen, was einem Zuwachs von 80,9% gegenüber dem Vorjahresmonat (Dezember 2007) entspricht. Auf Basis der Pharmazentralnummer (PZN) existiert eine unüberschaubare Anzahl von insgesamt 2.088.933 Rabatten. Im Vergleich zum Vorjahresmonat (November 2007) war dies ein Plus von 73,3% [4]. Seit dem GKV-WSG sind Apotheken bei der Rezeptbelieferung zur bevorzugten Abgabe eines rabattierten, wirkstoffgleichen Arzneimittels (Generikum) verpflichtet. Hiervon dürfen sie nur abweichen, wenn kein Rabattvertrag existiert, der Hersteller lieferunfähig ist, "pharmazeutische Bedenken" vorliegen, Dringlichkeit die unverzügliche Abgabe des Arzneimittels erforderlich macht (Notdienst, Akutversorgung) oder der Arzt eine Substitution durch ein Kreuz im Aut-idem-Kästchen ausgeschlossen hat [5].

Das Inkrafttreten der neuen AOK-Rabattverträge und die damit verbundene Kündigung der vorab bestehenden Vereinbarungen ermöglicht es nun, ein Bild vom Umfang und der Laufzeit dieser Verträge über 27 Monate zu zeichnen. Dies exemplarisch für wichtige Präparategruppen zu tun und damit mögliche Auswirkungen (z. B. Präparatewechsel) auf die Versicherten zu untersuchen, ist Anliegen dieser Arbeit.

Methodik der Untersuchung

Da im Generikamarkt eine erhebliche Konzentration auf wenige Wirkstoffe existiert – die zehn verordnungsstärksten Wirkstoffe machen bereits 25,7% des Absatzes aus (s. Tab. 1) – haben wir für diese Untersuchung exemplarisch die fünf verordnungsstärksten generikafähigen Wirkstoffe innerhalb der GKV ausgewählt, die seit April 2007 gemäß Rahmenvertrag bzw. der Anlage 5 der Arzneimittelrichtlinien substitutionsfähig waren. Nicht eingeschlossen wurde Levothyroxin, da es erst durch den neuen Rahmenvertrag und damit seit April 2008 als austauschbar definiert wurde.

Tab. 1: Die zehn verordnungsstärksten generikafähigen Wirkstoffe in der GKV im Jahr 2007 (nach [6])
Rang nach 
Verordnungen
WirkstoffVerordnungen (in Tsd.)Umsatz 
(in Tsd. €)
Bestandteil der neuen AOK-Rabattverträge
1Diclofenac17.532,2221.210,9Ja
2Ibuprofen14.645,9167.527,4Ja
3Metoprolol13.722,2283.131,9Ja
4Levothyroxin13.487,1201.288,0Nein
5Omeprazol13.422,7590.225,7Ja
6Simvastatin10.368,8353.300,2Ja
7Metamizol9.590,6133.227,5Nein
8Bisoprolol9.103,8164.188,8Ja
9Metformin8.874,7144.921,2Ja
10Ramipril8.041,4130.802,5Ja
Summe Rang 1 bis 10118.789,42.389.824,1 
Anteil an generikafähigem Markt25,7%19,9% 

Die Auswahl von austauschbaren Präparategruppen nach Wirkstoffstärken und Packungsgrößen haben wir aufgrund der Verordnungsrelevanz getroffen und je Wirkstoff die absatzstärkste ausgewählt. Unter der Annahme, dass sich die absatzstärksten Präparate innerhalb einer Gruppe nicht zwischen einzelnen Kassen unterscheiden, erfolgte diese Auswahl auf Basis von Arzneimittelroutinedaten der Gmünder ErsatzKasse (GEK) aus dem Jahr 2007. Es ergaben sich folgende Gruppen:

  • Diclofenac 50 mg, 20 Stk. (23,4% der Verordnungen)
  • Ibuprofen 600 mg, 20 Stk. (23,5% der Verordnungen)
  • Metoprolol 50 mg, 100 Stk. (37,0% der Verordnungen)
  • Omeprazol 20 mg, 30 Stk. (19,9% der Verordnungen)
  • Simvastatin 20 mg, 100 Stk. (38,3% der Verordnungen).

Informationen zu den jeweiligen Rabattarzneimitteln innerhalb dieser Gruppen haben wir der deutschen Spezialitätenliste, der sog. Lauer Taxe, entnommen [8]. Wir haben den Zeitraum von April 2007 (Beginn der "Rabattära") bis Juni 2009 (Beginn der neuen AOK-Rabattverträge) untersucht und alle möglichen Preis- bzw. Rabattstände jeweils zum 1. bzw. 15. Tag eines Monats berücksichtigt. Damit haben wir je Präparategruppe exakt das praktische Vorgehen in der Apotheke nachgebildet, wenn AOK-Versicherte die jeweiligen Rezepte eingelöst hätten.

Entwicklung der AOK-Rabattverträge

Bei der separaten Auswertung aller AOKen zeigten sich teils erhebliche Unterschiede. Wir werden in der folgenden Darstellung zunächst detaillierter auf die Verträge der mit 4,1 Mio. Versicherten größten AOK aus Bayern eingehen.

Die AOK Bayern

Abbildung 1 zeigt alle rabattierten Arzneimittel der fünf ausgewählten Präparategruppen für die AOK Bayern im Verlauf der 27 Beobachtungsmonate. Für alle Gruppen lagen ab April 2007 über 13 Monate zunächst keine (Diclofenac, Metoprolol) oder bis maximal drei verschiedene Rabattpräparate (Omeprazol, Ibuprofen, Simvastatin) vor. Für den Patienten bedeutet dies, dass bei nicht vorhandenem Rabattvertrag in der Apotheke weiterhin die "alte" Aut-idem-Regelung bedient wurde, d. h. es ist eines der drei günstigsten Präparate oder – was fast immer der Fall ist – das namentlich verordnete Arzneimittel abzugeben. Die Möglichkeit zur Verordnung unter der Wirkstoffbezeichnung wird von den Ärzten nur sehr wenig genutzt [9]. Bei Ibuprofen und Omeprazol bzw. Simvastatin waren ein bzw. drei Präparate für genau neun Monate rabattiert. Der Versicherte erhielt in der Regel eines dieser Mittel, wobei innerhalb der jeweiligen Rabattarzneimittelgruppe keine spezifischen Auswahlkriterien existieren und damit Präparatewechsel nicht ausgeschlossen sind. Für das erste Quartal 2008 lagen für keine der untersuchten Präparategruppen Rabattverträge vor, da die neuen Verträge zwar 2008 beginnen sollten, aber aufgrund von Verstößen gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften im Ausschreibungsverfahren juristisch gestoppt wurden [10]. Für Patienten mit Dauermedikation, die vorher rabattierte Arzneimittel erhielten, konnte dies erneut zu Präparatewechseln führen: Die bis Dezember 2007 rabattierten Omeprazol- und Simvastatinpräparate waren (z. B. zum 1.1.2008) nicht unter den drei günstigsten und ohne Rabattverträge greift die "alte" Aut-idem-Regelung, was bei nicht-namentlicher Verordnung zu einem Präparatewechsel führte. Von Mai 2008 bis Mai 2009 kam es dann zu einer unüberschaubaren Menge an Rabattverträgen bei den dargestellten Gruppen. Bei Omeprazol waren bis zu 36 Arzneimittel durch die AOK Bayern rabattiert. Der kürzeste Vertrag lief über zwei Monate. Durch die neuen Verträge zum Juni 2009 ist je Wirkstoff nur noch ein Rabattpartner vorhanden, so dass es aufgrund der bis Mai 2009 bestehenden Auswahlmöglichkeiten zu unvermeidbaren Umstellungen kommt.

Andere AOKen

Mittlerweile existieren 15 AOKen, wir werden uns in der Argumentation zunächst auf die fünf größten konzentrieren. Bei all diesen AOKen findet sich ab Mai 2008 für die ausgewählten Präparategruppen eine stetige Zunahme an Rabattarzneimitteln. Interessant ist allerdings, dass zwar die AOKen Bayern, Baden-Württemberg und PLUS (Sachsen/Thüringen) eine "Rabattlücke" im ersten Quartal 2008 aufweisen, nicht jedoch die AOKen Rheinland/Hamburg und Niedersachsen. Versicherte der AOK Rheinland/Hamburg beispielsweise, die im April 2007 auf SIMVA TAD 20 mg Filmtabl. eingestellt wurden, konnten dieses rabattierte Präparat bis Mai 2009 erhalten.

Für insgesamt 12 der 15 AOKen kam es ab Mai 2008 zu einer erheblichen Zunahme an rabattierten Präparaten, bei Omeprazol waren es beispielsweise bis zu 24 bis 38 je Kasse (jeweils im Mai 2009), was zu erheblichen Unsicherheiten bzw. Präparatewechseln beim Patienten führen kann. Die AOKen Brandenburg und Bremen/Bremerhaven hingegen hatten (mit Ausnahme im Mai 2007 bei Metoprolol und Diclofenac) für alle untersuchten Präparategruppen zwischen April 2007 und Mai 2009 durchgängig Rabattverträge mit höchstens vier Herstellern gleichzeitig. Für die AOK Westfalen-Lippe waren zwischen April 2007 und Mai 2009 bei Metoprolol und Diclofenac (mit Ausnahme im Oktober 2008 bei Metoprolol) überhaupt keine Rabattpartner gelistet. Bei Omeprazol, Simvastatin und Ibuprofen existierte zwischen Januar 2008 und 2009 eine "Rabattlücke" (erneut mit Ausnahme im Oktober 2008).

Sonderfall Omeprazol

Aus Abbildung 1 und Tabelle 2 wird ersichtlich, dass bei Omeprazol 20 mg, 30 Stk., welche bei diesem Wirkstoff mit 19,9% die verordnungsstärkste Gruppe ist, in den neuen AOK-Verträgen kein Präparat rabattiert ist. Da diese Vereinbarungen bei Omeprazol bundeseinheitlich mit dem Hersteller KSK geschlossen wurden, liegt aktuell bei keiner AOK für diese Gruppe ein Rabattvertrag vor. Lediglich die Packungsgrößen zu 15, 28, 56 und 98 Stück sind in den neuen Verträgen berücksichtigt. Tabelle 2 zeigt die Verordnungsanteile in der GEK im Jahr 2007 und es ist erkennbar, dass 83,4% des Marktes (nach Packungen) nicht in den Rabattverträgen der AOK berücksichtigt sind. Die Firma KSK hat zwar auch die relevanten Packungen mit 30, 50 und 100 Kapseln im Angebot, allerdings noch nicht zum Zeitpunkt der Ausschreibung, weshalb diese in den Verträgen unberücksichtigt blieben [11].

Tab. 2: Verteilung der Verordnungen von Omeprazol (oral) auf Packungsgrößen und Wirkstärken in der GEK im Jahr 2007; grau markiert sind von der AOK seit Juni 2009 rabattierte Präparategruppen
 10 mg20 mg40 mgSumme
7 Stk.0,1%1,3%0,2%1,6%
14 Stk.0,0%0,3%0,0%0,3%
15 Stk.0,4%12,6%3,4%16,4%
28 Stk.0,0%0,2%0,0%0,2%
30 Stk.0,4%19,9%6,2%26,5%
50 Stk.0,3%9,6%2,2%12,1%
56 Stk.0,0%0,2%0,0%0,2%
60 Stk.0,2%13,1%4,8%18,2%
90 Stk.0,1%0,4%0,0%0,4%
98 Stk.0,0%0,2%0,0%0,2%
100 Stk.0,5%18,4%5,0%24,0%
Summe2,1%76,2 %21,8%100,0%

Die "Rabattrealität"

Die neuen seit Juni 2009 bestehenden AOK-Rabattverträge weisen gegenüber den alten Vereinbarungen entscheidende patientenrelevante Vorteile auf: Der Versicherte erhält für einen klar definierten Zeitraum von zwei Jahren stets das gleiche Präparat. Auf der anderen Seite bedeutet nur ein einziger Hersteller, dass unter Umständen nicht alle theoretisch am Markt verfügbaren Wirkstärken, Packungsgrößen oder Darreichungsformen unter Rabatt stehen. Wie am Beispiel Omeprazol gezeigt wurde, kann es eigentlich nicht im Sinne der Kasse sein, dass ein erheblicher Verordnungsanteil nicht durch Rabattverträge abgedeckt ist.

Wir sehen bei den neuen AOK-Rabattverträgen noch einen weiteren entscheidenden Schwachpunkt: Nach unserem Wissen wurden in den Verträgen, um sowohl für Hersteller wie auch für die Kasse Planungssicherheit zu gewährleisten, feste Preise je Präparat vereinbart. Nur so ist es dann auch möglich, dass die AOK unter der Annahme bisheriger Verordnungsdaten abschätzen kann, pro Jahr 512,4 Mio. Euro einsparen zu wollen [2]. Die Sache hat den entscheidenden Haken, dass sie die Marktentwicklung nicht berücksichtigt. Wie das aktuelle Beispiel Risperidon zeigt, tendieren die Generikapreise nach unten (was als eine mögliche Reaktion auf die Rabattverträge gewertet werden könnte). Im April kostete beispielsweise das günstigste Präparat mit Risperidon 2 mg, 100 Filmtabletten im Apothekenverkaufspreis 73,32 Euro (Heumann). Die Firma Atid senkte dann zum 1.5.2009 ihr entsprechendes Präparat massiv auf 25,25 Euro. Zum 15.5.2009 zogen auch Heumann, AbZ und Almus – wenn auch deutlich weniger offensiv – nach und reduzierten den Preis auf 62,84 Euro. Mittlerweile scheint hier der Preiswettbewerb in vollem Gang zu sein, zum 15.7.2009 ist Almus mit 25,20 Euro (2 mg, 100 Stk.) das günstige Risperidon-Generikum, die Präparate von 1A Pharma und AbZ kosten nun genauso viel wie das von Atid (25,25 Euro), das nächstgünstige schlägt dann allerdings schon mit 59,79 Euro (Heumann) zu Buche. Somit ist es möglich, dass die AOK, die zwischen Juni 2009 und Mai 2011 für Risperidon mit Aliud und Stada Verträge geschlossen hat, irgendwann mit den in Rabattverträgen vereinbarten Preisen nicht mehr günstiger als unrabattierte Präparate ist. Die Rabattverträge haben also entgegen bisheriger Annahmen zu einem weiteren Preiswettbewerb beigetragen. Juristisch betrachtet wären in solch einem Fall aber weder Vertragskündigungen noch Rabattanpassungen zulässig, da die Kassen nicht einerseits (hohe) Rabatte erhalten und andererseits zusätzlich uneingeschränkt von sonstigen Marktentwicklungen profitieren können [12]. Im Klartext bedeutet das für die AOK: Die Kasse ist über die Vertragslaufzeit an die vereinbarten Preise gebunden, unabhängig davon, wie sich der Markt entwickelt. Da weder für Patienten noch für Arzt und Apotheker ersichtlich ist, welchen Preis die Kasse tatsächlich zahlt, ist deren Zutun für eine wirtschaftliche Versorgung eingeschränkt. Rabattarzneimittel per se als wirtschaftlich zu definieren, löst dieses Problem nicht. Hierzu bedarf es eines klar kommunizierten Preises je Präparat statt der abstrakten und wenig greifbaren Einsparsumme von 512,4 Mio. Euro. Ein konkreter Preis pro Präparat könnte allen Beteiligten die Sinnhaftigkeit von Rabattverträgen verdeutlichen. Dies gilt natürlich nicht nur für die Verträge der AOK. Da die Marktentwicklung in dieser Summe noch nicht berücksichtigt werden kann, muss zu Recht die Frage gestellt werden, wie viel davon letztendlich übrig bleibt bzw. ob vertraglich vereinbarte Rabatte auch tatsächlich Einsparungen bedeuten. Im Jahr 2008 wurden durch vertraglich vereinbarte Rabatte für alle GKVen nach Berechnungen des BPI nur 310 Mio. Euro (AOK: 154 Mio. Euro) von den pharmazeutischen Unternehmen erstattet, also wesentlich weniger als eigentlich erwartet [13]. Kosten für den zusätzlichen Verwaltungsaufwand und juristische Auseinandersetzungen sind hiervon noch nicht abgezogen.

Insgesamt müssen die alten AOK-Rabattverträge kritisch betrachtet werden. Verträge wie beispielsweise von der AOK Bayern für Omeprazol mit der Firma Actavis über nur zwei Monate scheinen für den Außenstehenden wenig nachvollziehbar. Kennt der Apotheker die Laufzeit, könnte er im Sinne des Patienten steuern und, wenn Auswahl besteht, kurze Verträge gar nicht bedienen. Die Laufzeit ist in der ihm verfügbaren Software allerdings nicht hinterlegt. Überhaupt ist die Auswahl ein kritischer Punkt: Für bis zu 38 von 47 möglichen Präparaten (inkl. 3, die bereits außer Vertrieb gelistet sind) bei Omeprazol 20 mg, 30 Stk., Rabattverträge abzuschließen, ist für den Patienten nicht zwingend nützlich und für die Kasse wahrscheinlich unwirtschaftlich. Zwischen diesen Präparaten gibt es nämlich erhebliche Preisunterschiede. Dem könnte auf den ersten Blick natürlich durch entsprechend höhere Rabatte bei teuren Präparaten entgegengesteuert werden. Grundlage für Rabatte ist der Herstellerabgabepreis. Um auf den GKV-relevanten Preis zu kommen, ist neben der Großhandelsmarge, dem Apothekenaufschlag auch die Mehrwertsteuer zu addieren. Die prozentualen Aufschläge beziehen sich aber immer auf den eigentlich fiktiven und unrabattierten Herstellerabgabepreis (s. Abb. 2). Nicht weiter vertieft werden soll an dieser Stelle, dass auch die Mehrwertsteuer auf den fiktiv zu hohen Preis entfällt und der Staat hier ein Stück eines Kuchens erhält, den es so eigentlich gar nicht gibt. Viel wichtiger ist, dass die feste Differenz zwischen Apothekenverkaufspreis und Herstellerabgabepreis von der Kasse zusätzlich zu tragen ist. In Abbildung 2 ist die Preisbildung für jeweils eines der günstigsten (dura) und teuersten (Sandoz) zuzahlungsbefreiten und rabattierten Präparate der AOK Bayern mit 30 Stück Omeprazol 20 mg (Stand: 15.05.2009) dargestellt.

Aus Tabelle 3 wird dann ersichtlich, dass aufgrund der zu berücksichtigenden Aufschläge der teuerste Rabattpartner erst bei utopischen 96,9% Rabatt tatsächlich preiswerter wäre, als der günstigste (ohne jeden Cent Rabatt). Wahrscheinlich ist der Abschluss von zahlreichen Rabattverträgen zwischen Mai 2008 und Mai 2009 eine Auswirkung der rechtlichen Schwierigkeiten am Anfang des Jahres 2008. Entscheidend sind hier allerdings nicht die vertraglichen Details (von denen nur wenig nach außen dringt), sondern die Auswirkungen für den Versicherten, denn dieser ist den Folgen solcher Rabattverträge (also den möglichen Präparatewechseln) nahezu "wehrlos" ausgesetzt.

Tab. 3: Verschiedene Rabattszenarien für OMEPRAZOL Sandoz 20 mg Kapseln magensaftr. (Preisstand: 15.05.2009)
RabattRabattierter Herstellerverkaufspreis 
(in €)
GKV-relevanter Preis (in €)
20%10,12 – 2,02 = 8,10+ 10,62 = 18,72
40%10,12 – 4,05 = 6,07+ 10,62 = 16,69
60%10,12 – 6,07 = 4,05+ 10,62 = 14,67
80%10,12 – 8,10 = 2,02+ 10,62 = 12,64
96,9%10,12 – 9,81 = 0,31+ 10,62 = 10,93

Fazit

Rabattverträge sind neben der Aut-idem-Regelung und den weiterhin diskutierten Zielpreisvereinbarungen ein Instrument zur Senkung der Arzneimittelausgaben. Im Vergleich zu den Rabattverträgen sind die anderen beiden Regulierungsinstrumente transparenter und kommunizierbarer, wurden aber bisher entweder nicht optimal genutzt (Aut-idem-Regelung) oder sind noch nicht abschließend durchdacht (Zielpreisvereinbarungen). Die neuen AOK-Rabattverträge gehen in die richtige Richtung, da genau ein Hersteller für eine fest definierte Zeit bevorzugt in der Apotheke abzugeben ist. Dies vermeidet rabattbedingte Präparatewechsel beim Patienten. An diesen schien allerdings bei den alten Verträgen kaum gedacht worden zu sein, da bei der Mehrzahl der AOKen eine unüberschaubare Zahl an Vereinbarungen mit teils kurzer Dauer bestand. Mit den Aussagen, dass die neuen Verträge aufgrund der längeren Laufzeit Planungssicherheit und Versorgungskonstanz gewährleisten [2], gibt die AOK indirekt zu, dass die bisherige Ausgestaltung für alle Beteiligten nicht optimal war. Auch die neuen Rabattverträge werden im Laufe der Zeit Probleme mit sich bringen. Wie exemplarisch für Risperidon gezeigt, ist hier vor allem eine sich entwickelnde Marktdynamik bei nicht für die AOK rabattierten Präparaten relevant. Auswirkungen der Rabattverträge auf die Therapietreue oder Einnahmeschwierigkeiten auf Seiten des Patienten wurden bisher nie systematisch untersucht [14, 15], da eine vorab oder begleitend durchgeführte Evaluation der neuen Regelungen nicht vorgesehen war. Die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Rabattverträgen ist deshalb bisher nicht ausreichend nachgewiesen. Wären Rabattverträge Arzneimittel, wären sie noch gar nicht zugelassen.

 

Quellen

[1] AOK-Bundesverband. Presseinformation vom 6. Mai 2009. AOK setzt auf enge Partnerschaft mit dem Deutschen Apotheker Verband (DAV). www.aok.de/assets/media/baden-wuerttemberg/final_pm_pk_6_5_09_aok_arzneimittel-rabattvertraege_stand_0505.pdf. 

[2] Hermann C. Rabattverträge der AOKs: Ausschreibungen 2009 ff. Vortrag zur Bundespressekonferenz Berlin, 06.05.2009. www.aok-bv.de/imperia/md/aokbv/politik/wettbewerb/charts_hermann_pk_060509.pdf.

 [3] BMG. Statistik über Versicherte, gegliedert nach Status, Alter, Wohnort, Kassenart zum 1. Juli 2008 (KM6-Statistik). www.bmg.bund.de/cln_153/nn_1168278/SharedDocs/Downloads/DE/Statistiken/Gesetzliche-Krankenversicherung/Mitglieder-und-Versicherte/KM6-juli-08,templateId=raw,property=publicationFile.xls/KM6-juli-08.xls.

 [4] progenerika. Der Arzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2008. www.progenerika.de/downloads/6387/090130_KurzanalyseDez.pdf.

 [5] Pfannkuche MS, Hoffmann F, Glaeske G. Rabattverträge für Arzneimittel. Noch mehr Intransparenz im Pharmamarkt? Dtsch Apoth Ztg 2007;147(22):2508 – 2512.

 [6] Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 SGB V in der Fassung vom 17. Januar 2008 zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband e. V. 

[7] Schwabe U, Paffrath D. Arzneiverordnungs-Report 2008. Springer Verlag, Heidelberg.

 [8] Lauer Taxe (2007-2009): WinApo Lauer Taxe. Lauer Fischer GmbH (Stand: 01.04.2007 – 15.06.2009).

 [9] Lindemann K, Neukirch B. Die Effekte der Aut-idem-Substitution auf die Arzneimittelausgaben des Jahres 2006 im Bereich der KV Nordrhein – eine retrospektive Analyse. Dtsch Ärztebl 2008;105(41):A1 – A6.

 [10] N.N. Landessozialgericht kippt 61 AOK-Rabattverträge. 2008. www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=31512&src=suche&p=Landessozialgericht+kippt+61+AOK%2DRabattvertr%E4ge.

 [11] apotheke adhoc. AOK-Rabattverträge: Apotheken kaufen Großhandel leer. 2009. www.apotheke-adhoc.de/Nachrichten/Markt/6519.html.

 [12] Kamann HG, Gey P. Die Rabattvertragssteitigkeiten der "zweiten Generation" – aktuelle Fragen nach dem GKV-OrgWG. PharmR 2009;31(3):114 – 122.

 [13] BPI. 2008 geringe Einsparungen durch Rabattverträge. BPI-Pressemitteilung vom 03.07.2009. www.bpi.de/popup/popup_content.aspx?p=1&tp_id=359&name=pm&control=popup.

 [14] Bausch J. Rabattvertrags-El Dorado Deutschland. Wissen alle immer, was sie tun? Arzneiverordnungen in der Praxis 2009;36(3):50 – 52.

 [15] Hoffmann F, Windt R, Glaeske G. Sparen, koste es, was es wolle: Rabattverträge aus Versichertensicht. Die Krankenversicherung 2009;61(02-03):35 – 38.

 

 Korrespondenzautor

 Dr. Falk Hoffmann, MPH; Universität Bremen, ZeS, Abteilung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung; Außer der Schleifmühle 35 – 37; 28203 Bremen; hoffmann@zes.uni-bremen.de

 

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