Medizin

Was steckt eigentlich hinter … Haarausfall?

Einhundert Kopfhaare pro Tag: das ist die Menge, die Dermatologen noch als physiologisch-regenerativen Haarausfall bezeichnen. Hier ist es gut, Betroffene zu beruhigen, vor allem dann, wenn der Blick auf das Kopfhaar keine Pathologie erahnen lässt. Denn wirklich krankhafter Haarausfall ist eher selten.

Haare durchlaufen drei Phasen: 90% aller Haarfollikel befinden sich normalerweise in der Anagenphase, der Wachstumsphase. Die etwas zwei Wochen dauernde Katagenphase (Übergangsphase) führt zur Telogenphase, der Ruhephase, in der sich die Haare am Kopf ca. drei Monate befinden. Im Trichogramm (Haarwurzelstatus) können Änderungen der Verteilung und der Morphologie Hinweise auf die Ursache von Haarausfall geben.

 

Androgener Haarausfall

Der androgene Haarausfall ist in ca. 95 % der Fälle verantwortlich. Unter dem Einfluss männlicher Geschlechtshormone wandeln sich die kräftigen Terminalhaare in feinere Vellushaare. Ein Mann mit Haarausfall verfügt über gleich viele Haarbälge wie einer mit vollem Haarschopf, nur dass sich die Wachstumsphase der Haare sehr stark verkürzt. Später schrumpfen die Haarbälge und atrophieren.

 

Bei Männern sind Zeitpunkt, Ausbildung und Ausmaß der Glatzenbildung genetisch festgelegt, hängen aber auch von äußeren Faktoren wie der Ernährung ab. Zunächst entstehen Geheimratsecken, dann lichtet sich zusätzlich das Haar des Hinterkopfs (Tonsur), woraufhin die kahlen Flächen zusammenfließen, bis schließlich nur noch ein hufeisenförmiger Haarkranz übrig bleibt.

 

Der androgene Haarausfall kann schubweise schnell voranschreiten, aber auch in jedem Stadium für längere Zeit stoppen oder sogar beendet sein. Da die Haarbälge verkümmern, ist die Wiederherstellung der ursprünglichen Haartracht im Gegensatz zum diffusen Haarausfall nicht möglich.

 

Diffuser Haarausfall

Betroffen sind meist Frauen, die zu hohe Androgenspiegel haben, Medikamente mit Androgenwirkung einnehmen oder sehr Androgen-empfindliche Haarfollikel haben. In der Regel ist der vordere Scheitel betroffen, wobei typischerweise an der Stirn ein Streifen von etwa 2 cm unverändert bleibt.

 

Die Ursache ist oft ein Enzymdefekt im Produktionsweg des Cortisons, der als Nebeneffekt zu einer erhöhten Androgenproduktion führt. Weitere Auslöser können sein:

 

  • Medikamente, z. B. Allopurinol, Betablocker, Cumarine, Tretinoin
  • Vollnarkosen
  • Hormonumstellungen während der Schwangerschaft, Pubertät oder Wechseljahre
  • Kontrazeptiva
  • Störungen der Schilddrüsenfunktion
  • Stress.

 

Auch viele Zytostatika führen zu einem vorübergehenden Ausfall aller Haare, die allerdings nach dem Ende der Chemotherapie wieder nachwachsen.

 

Schwangere Frauen freuen sich oft über ihre schönen, dichten Haare während der Schwangerschaft. Durch die Hormonumstellung verharren die Haare in der Telogenphase – und fallen nach Ende der Schwangerschaft dann vermehrt aus. Das ist normal, die Frauen sollten ggf. darauf hingewiesen werden. Eine Substition, z. B. mit Zink, Selen und Eisen, ist oft nicht nötig.

 

Therapie

Für die medikamentöse Therapie von Haarausfall stehen zwei gesicherte Wirkstoffe zur Verfügung: Finasterid und Minoxidil.

 

Jüngere Männer können durch die langfristige Einnahme von täglich 1 mg Finasterid den Haarausfall meist stoppen, einige erreichen sogar eine Verdickung der verbliebenen Haare. Die Wirkung setzt in der Regel nach 3 – 6 Monaten ein. Nachteilig sind jedoch die jahrelange, selbst zu zahlende Einnahme und die noch nicht abschließend beurteilbaren Langzeitrisiken eines Eingriffs in den Hormonhaushalt. Daher sind regelmäßige Laborkontrollen erforderlich. Für Frauen ist Finasterid wegen seiner Nebenwirkungen nicht zugelassen. Beim Absetzen des Wirkstoffs fallen die Haare aus, die während der Einnahme "zurückgehalten" wurden. Die Glatzenbildung lässt sich demnach nur verhindern, solange das Medikament eingenommen wird. Bei Männern jenseits des 50. Lebensjahrs ist die Wirkung nicht belegt.

 

Für Männer und Frauen wird Minoxidil als äußerlich anzuwendende Lösung in verschiedener Stärke eingesetzt. Sie wirkt jedoch nicht gegen Geheimratsecken.

 

Bei nachgewiesenem Enzymdefekt in der Cortisonproduktion oder auch Ex juvantibus kann bei Frauen eine niedrigdosierte Cortisontherapie versucht werden. Bei jüngeren Frauen können Östrogene und Antiandrogene eingesetzt werden. Hier ist eine konsequente Verhütung zwingend.

 

Bei starkem Leidensdruck oder vollständigem Haarverlust kommen eine Eigenhaar-Transplantation oder Perücken in Frage.

 

Das Angebot an Haarwassern, Haartonika und Wundermitteln aller Art ist groß. Den Beweis für ihre Wirksamkeit sind sie aber meist schuldig geblieben.

 

Bei diffusem Ausfall hilft eine konsequente Schonung des Haars: milde Shampoos, Verzicht auf Fönen, Tönungen, Dauerwellen oder Färbung, auf Zöpfe oder fest gebundene Pferdeschwänze. Ein stressarmer Lebensstil wie auch die Einnahme der Mineralstoffe Zink, Selen und Eisen wirken unterstützend.

 

Meist kann der androgene Haarausfall nur unzureichend therapiert werden, man sollte also auch von komplementärmedizinischen Maßnahmen nicht allzu viel erwarten. Unterstützend können Kieselerde oder Gelatinekapseln eingenommen werden. Die Durchblutung der Kopfhaut wird durch Massagen mit Haartonika aus Rosmarin oder Thymol angeregt. Auch Lavendelöl und Aufgüsse aus Brennnesselblättern können einmassiert werden. Bei androgenem Haarausfall kann die Kopfhaut täglich mit Birkensaft oder Klettenwurzelöl behandelt werden, bei diffusem Haarausfall zusätzlich noch mit Zinnkrautessenz, Arnikatinktur oder Rosmarinöl.

 

Alopecia areata

Es handelt sich um einen Verlust der Haare in einem umschriebenen, meist kreisförmigen Bezirk ohne Narben. Die Ausprägung kann sehr unterschiedlich sein und von einem einzelnen zentimetergroßen Herd bis zum Verlust aller Haare reichen. Betroffen sind oft junge Menschen. Auch ohne Behandlung heilt die Erkrankung meist aus.

 

Innerhalb einiger Wochen entstehen runde kahle Stellen im Kopfhaar- und Bartbereich oder an den Augenbrauen, selten an anderen Körperstellen. In 20% der Fälle bestehen gleichzeitig Nagelveränderungen wie Tüpfel oder weiße Einschlüsse.

 

Wissenschaftler vermuten, dass Autoimmunprozesse sowie eine genetische Disposition beitragen. Des Weiteren besteht ein Zusammenhang mit Krankheiten des atopischen Formenkreises, aber auch mit Stress.

 

Außer dem Haarausfall bestehen meist keine anderen Beschwerden. Bei geringem Haarausfall kann auf die Selbstheilungskräfte des Körpers vertraut und 3 – 6 Monate abgewartet werden. Bei Bedarf werden Corticoide lokal als Tinkturen oder Cremes angewandt, um Autoimmunprozesse zu unterdrücken. Ebenso können kristalline Corticoide in die Oberhaut gespritzt werden.

 

Bei längerem Verlauf und höheren Schweregraden muss nach Grunderkrankungen gesucht werden. Auch Lösungen mit dem Haarwuchsmittel Minoxidil finden Verwendung. In schweren Fällen versucht der Arzt eine systemische Cortisonbehandlung. Auch Fumarsäureester und das Sulfonamid Dapson (DAPS) sind in Einzelfällen erfolgreich.

 

Quellen

P. Fritsch: Dermatologie und Venerologie für das Studium , 1. Aufl.

I. Moll: Dermatologie, 6. Aufl.

 A. Schäffler (Hrsg.): Gesundheit heute, Knaur, München. 2. Aufl.

 

 

Autor

Schäffler & Kollegen, 
Augsburg, 
www.schaeffler.cc

 

 

Beschwerdebild
Was steckt dahinter?
Gesteigerter täglicher Haarausfall
(> 100 Haare), abnehmende Haardichte

Häufig bei Männern: Glatzenbildung

Selten bei Frauen

Bildet sich nicht zurück
Androgener Haarausfall. Ursache für ca. 95% der Fälle
Vorübergehender, diffuser Haarausfall

Meist vorderer Schläfenbereich betroffen
Diffuser Haarausfall, z. B. bei
Enzymdefekt bei Cortisonproduktion

Schwangerschaft, Stillzeit, Kontrazeptiva

Schilddrüsenerkrankungen

Stress

schweren Allgemeinerkrankungen

Magersucht

Mangel an Biotin, Zink, Eisen, Selen oder Eiweiß
Rasch auftretender, vorübergehender, herdförmiger Haarausfall

Manchmal Verlust der gesamten Kopfhaare, Augenbrauen, Wimpern, der Bart- und/oder Körperhaare

Evtl. Nägel mit Tüpfel

Spontane Rückbildungstendenz
Alopecia areata. Vermehrtes Vorkommen bei
Atopikern: Patienten mit Neurodermitis, Heuschnupfen oder allergischem Asthma

Schilddrüsenerkrankungen

Autoimmunerkrankungen
Umschriebener Haarausfall oder Haarbruch
Zug- oder Biegebelastung der Haare, z. B.
intensives Tragen straffer Frisuren, etwa Pferdeschwanz oder Knotenfrisuren

zwanghaftes Haareausreißen
Vorübergehender, diffuser Haarausfall bei Medikamenteneinnahme

Spontane Rückbildungstendenz
Nebenwirkung, z. B. von
Medikamenten wie ACE-Hemmern, Allopurinol, Betablockern, Cholesterinsenkern, Cumarinen, NSAR , Tretinoin

Zytostatika

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