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Hersteller und AOK bleiben auf Konfrontationskurs

BERLIN (ks). Die Frage, ob und wann wirkstoffgleiche Arzneimittel, deren Indikationsbereiche nicht identisch sind, ausgetauscht werden können, sorgt schon seit einiger Zeit für erhitzte Diskussionen. Am 20. Juli traten Vertreter der vier großen Pharmaverbände vor die Presse, um ein Rechtsgutachten zu präsentieren, das ihre restriktive Auslegung der gesetzlichen Aut-idem-Regelung – §129 Abs. 1 SGB V – stützt. Die AOK konterte prompt und hielt den Verbänden "unnötige Panikmache" vor. Beim Deutschen Apothekerverband (DAV) hält man sich derzeit mit dezidierten Aussagen zurück – auch wenn die Apotheker im Zentrum der Problematik stehen.
Kampfansage Die vier großen Pharmaverbände wehren sich gegen die von BMG und AOK geforderte Ausweitung der Austauschbarkeit. (v.l.n.r): BPI-Hauptgeschäftsführerin Barbara Sickmüller, Pro Generika-Geschäftsführer Peter Schmidt, Rechtsgutachter Professor Christian Dierks, BAH-Rechtsanwältin Andrea Schmitz, VFA-Geschäftsführer Ulrich Vorderwühlbecke.

Foto: DAZ/Sket

Das Bundesgesundheitsministerium und zumindest ein Teil der Krankenkassen, so auch die AOK, stehen auf dem Standpunkt, dass das verordnete Arzneimittel bei Vorliegen aller anderen gesetzlich vorgeschriebenen Austauschkriterien immer dann substituiert werden kann, wenn es jedenfalls ein gemeinsames Anwendungsgebiet mit dem abgegebenen aufweist. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Pro Generika und der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) sehen dies anders und bemühen sich bereits seit einiger Zeit, Ministerium und Kassen davon zu überzeugen, dass eine derart extensive Auslegung Patienten wie auch Herstellern nicht zuzumuten ist. Um ihre Auffassung zu unterstützen, haben sie Professor Christian Dierks mit einem Rechtsgutachten zu dieser Problematik beauftragt. Darin kommt der Arzneimittelrechtler zu dem Ergebnis, dass die Forderung nach größtmöglicher Austauschbarkeit die "Kosteneffizienz in unzulässiger Weise über die Therapiesicherheit stellt". Nach seiner umfassenden rechtlichen Überprüfung und Auslegung der einschlägigen Vorschrift besteht nur dann eine Verpflichtung des Apothekers zur Substitution, "wenn das abgegebene Arzneimittel in allen Anwendungsgebieten des verordneten Ausgangspräparates arzneimittelrechtlich zugelassen ist."

Einsparungen auf Kosten der Compliance?

Dierks kritisiert, dass die ausufernde Substitution das Haftungsrisiko auf Ärzte und Apotheker verlagere. Denn die Herstellerhaftung greife nur bei einem "bestimmungsgemäßen Gebrauch" des Medikaments. Dieser sei beim Off-Label-Einsatz von Arzneimitteln – wie er hier vorliege – aber zumindest nicht generell gegeben. Um zu verhindern, dass Ärzte und Apotheker haften, müssten diese den Austausch der Arzneimittel grundsätzlich untersagen oder ablehnen. Dabei drohten ihnen jedoch finanzielle Sanktionen – auch durch die AOK. Dierks verwies aber auch auf die Probleme, die es mit sich bringen kann, wenn ein Patient ein Arzneimittel erhält, auf dessen Beipackzettel er seine eigene Erkrankung nicht wiederfindet – geschweige denn die für ihn nötigen Anwendungshinweise. Dies könne das Vertrauen der Patienten erschüttern und dazu führen, dass diese ihre notwendigen Medikamente nicht mehr einnehmen. Die Konsequenz sei eine schlechtere Versorgung bei höheren Kosten durch mögliche Folgebehandlungen. Dies könne auch nicht im Interesse von BMG und AOK sein.

Problem: Apotheker kennt die Diagnose nicht

Dierks verwies auf ein kürzlich ergangenes Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts zur Frage der Austauschbarkeit (Urteil vom 2. Juli 2009, Az.: 3 U 221/08 – rechtskräftig). Danach verfügt ein wirkstoffgleiches preisgünstiges Arzneimittel zwar bereits dann über den "gleichen Indikationsbereich" im Sinne des §129 Abs. 1 S. 2 SGB V, wenn es für diejenige Einzelindikation zugelassen ist, für welche das auszutauschende Arzneimittel verordnet wurde. Allerdings müsse feststehen, dass diese Indikation der konkreten Erkrankung entspricht. Sei die Substituierbarkeit wegen unterschiedlicher Indikationsbereiche unklar, dürfe der Apotheker das preisgünstige Arzneimittel gemäß §17 Abs. 5 Apothekenbetriebsordnung nicht abgeben, bevor die Unklarheit – etwa durch Rücksprache mit dem verordnenden Arzt – beseitigt ist, so das Gericht. Dierks hält es allerdings für praktisch kaum möglich, dass sich der Apotheker in jedem Einzelfall zunächst beim Patienten oder dessen Arzt Gewissheit über die Indikation verschafft.

AOK kann keine Probleme erkennen

Die AOK kann die beschriebenen Probleme hingegen nicht erkennen. "Wir lassen es nicht zu, dass die Pharmalobby mit ihren Angriffen den Arzt als Therapieverantwortlichen infrage stellt und dazu noch die Patienten verunsichert", sagte Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvize der AOK Baden-Württemberg und bundesweiter Chefunterhändler der AOK-Rabattverträge. Wer von seinem Arzt ein Medikament verordnet bekomme, "muss und kann" sich darauf verlassen, dass die Auswahl der Arznei vom Arzt stets unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes erfolge. "Wer hieran zweifelt, unterstellt dem gesamten ärztlichen Berufsstand mangelnde Verantwortung und Inkompetenz", so Hermann. Gäbe es tatsächlich ein Problem, so würden sich Patienten mit Recht massenhaft beschweren, erklärte der AOK-Vize weiter. Dies sei jedoch nicht der Fall: "Im Gegenteil: Die bestehende Arzneimittelsicherheit wird durch die AOK-Rabattverträge noch gestärkt, weil zwei Jahre lang ein Wechsel der Produkte entfallen kann". Hermann betonte zudem, dass der Arzt alle Möglichkeiten habe, die Verordnung von Medikamenten ganz auf den Patienten auszurichten: Sollte er im Bereich der Generika ausnahmsweise trotz Wirkstoffidentität ein bestimmtes Arzneimittel wegen einer "Nischenindikation" verordnen, könne er den Austausch durch den Apotheker ausschließen.

Schielen auf die Rahmenvertrags-Verhandlungen

Über die Äußerungen der Pro Generika-Verantwortlichen hat man sich bei der AOK Baden-Württemberg bereits so echauffiert, dass man versuchte, den Verband mit einer Unterlassungsverfügung zum Schweigen zu bringen. In einem ersten Schritt habe man dieses Ansinnen allerdings "abgeschmettert", erklärte Pro Generika-Geschäftsführer Peter Schmidt. Abgeschlossen ist die juristische Klärung der Angelegenheit allerdings noch nicht. Schmidt sieht keinen Anlass, klein beizugeben. Vielmehr fühlt er sich in seiner "renitenten Haltung" bestärkt. Er appellierte an den DAV, bei seinen am 29. Juli anstehenden Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband zum Rahmenvertrag, Durchsetzungskraft zu beweisen. Es müsse expressis verbis festgeschrieben werden, dass das abgegebene Arzneimittel mindestens das Anwendungsspektrum des verordneten Medikaments abdeckt, betonte der Pro GenerikaGeschäftsführer. Mit welchem Eifer sich der DAV hierfür einsetzen wird, bleibt abzuwarten. Grundsätzlich sieht man auch in der Apothekerschaft die von den Herstellern beklagten Probleme. Doch bei den Verhandlungen zum Rahmenvertrag wird die Frage der Austauschbarkeit nur ein Diskussionspunkt von mehreren sein. Und dass der GKV-Spitzenverband sich in dieser Sache nachgiebig zeigen wird, ist kaum anzunehmen.

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