Publikationen

Studientypen in der medizinischen Forschung

Teil 3 der Serie zur Bewertung wissenschaftlicher Publikationen*

Von Bernd Röhrig, Jean-Baptist du Prel, Daniel Wachtlin, Maria Blettner

Die Wahl des geeigneten Studiendesigns entscheidet über Qualität, Aussagekraft und Publikationswürdigkeit einer medizinischen Studie. Der Studientyp ist ein Bestandteil des Studiendesigns (siehe DAZ 28, S. 60) und muss vor Studienbeginn festgelegt werden. Der Studientyp wird durch die Fragestellung determiniert und entscheidet über den späteren Nutzen und die Interpretierbarkeit der wissenschaftlichen Untersuchung. Eine fehlerhafte Wahl des Studientyps ist nach Studienbeginn nicht mehr korrigierbar.

* Nachdruck aus: Dtsch Arztebl Int 2009;106(15):262–8. DOI: 10.3238/arztebl.2009.0262. Teil 1 in DAZ 27, S. 59–64; Teil 2 in DAZ 28, S. 60 – 65.

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Foto: DAZ/ekr

Nachdem in einer früheren Publikation Aspekte des Studiendesigns vorgestellt wurden, befasst sich dieser Aufsatz mit Studientypen in der Primär- und Sekundärforschung. Hier werden insbesondere Studientypen in der Primärforschung näher beschrieben. Denen der Sekundärforschung (Metaanalysen, Reviews) wird ein eigener Artikel gewidmet. Dieser Artikel nimmt eine Einteilung der einzelnen Studientypen vor. Durch Beispiele werden Konzeption, Durchführung, Vor- und Nachteile sowie Einsatzmöglichkeiten unterschiedlicher Studientypen aufgezeigt. Der Artikel basiert auf einer selektiven Literaturrecherche zum Thema Studientypen in der medizinischen Forschung und der Erfahrung der Autoren.

Einteilung der Studientypen

Prinzipiell unterscheidet man in der medizinischen Forschung Primär- und Sekundärforschung. Während in der Sekundärforschung schon vorhandene Studienergebnisse in Form von Reviews und Metaanalysen zusammengefasst werden, führt man in der Primärforschung die eigentlichen Studien durch. Man unterscheidet drei Hauptbereiche: medizinische Grundlagenforschung, klinische und epidemiologische Forschung.

Eine eindeutige Zuordnung der Studientypen zu einer dieser drei Hauptkategorien beziehungsweise auch Unterkategorien kann im Einzelfall schwierig sein. Auf die Darstellung spezieller Forschungsbereiche wie Versorgungsforschung, Qualitätssicherung sowie den Bereich der klinischen Epidemiologie verzichteten die Autoren hier bei gebotener Kürze zugunsten der didaktischen Klarheit. Grafik 1 gibt einen Überblick zu den verschiedenen Studientypen in der medizinischen Forschung.

Grundlagenforschung

Zu dem Bereich medizinische Grundlagenforschung (häufig synonym: experimentelle Forschung) gehören Tierversuche, Zellversuche, biochemische, genetische und physiologische Untersuchungen sowie Studien zu Arzneimittel- und Materialeigenschaften. In Experimenten wird in aller Regel mindestens eine unabhängige Variable variiert und deren Auswirkungen auf die abhängige Variable untersucht. Das Vorgehen und der Versuchsaufbau kann genau festgelegt und präzise realisiert werden [1]. Beispielsweise kann man Population, Anzahl der Gruppen, Fallzahlen sowie Behandlungen und Dosierungen genau festlegen. Wichtig ist ebenso die gezielte Kontrolle beziehungsweise Reduktion von Störgrößen. In Experimenten sollen spezifische Hypothesen untersucht und Kausalaussagen gemacht werden. Durch Herstellung standardisierter Versuchsbedingungen und einer geringen Variabilität bei den Beobachtungseinheiten (z. B. Zellen, Tiere und Materialien) wird eine hohe interne Validität erreicht (= Eindeutigkeit). Problematisch ist dagegen die externe Validität: Laborbedingungen können nicht immer auf den klinischen Alltag, Vorgänge in isolierten Zellen beziehungsweise Tieren nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen werden (= Generalisierbarkeit) [2].

Zur Grundlagenforschung zählt auch die Entwicklung und Verbesserung analytischer (z. B. analytische Bestimmung von Enzymen, Markern, Genen) und bildgebender Messverfahren (z. B. Computertomografie, Magnetresonanztomografie) sowie die Gensequenzierung (z. B. Zusammenhang Augenfarbe und bestimmte Gensequenz). Ebenso gehört die Entwicklung biometrischer Verfahren wie beispielsweise statistische Testverfahren, Modellierungen und statistische Auswertestrategien hierher.

Klinische Studien

Unter klinischen Studien fasst man sowohl interventionelle (= experimentelle) als auch nicht interventionelle (= beobachtende) Studien zusammen. Eine klinische (Arzneimittel-) Prüfung ist eine interventionelle klinische Studie und nach Arzneimittelgesetz (AMG) § 4 Abs. 23 definiert als "… jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen".

Zu den interventionellen Studien gehören auch Medizinproduktestudien oder Studien, in denen chirurgische oder physikalische oder psychotherapeutische Verfahren untersucht werden. Im Unterschied zur klinischen Prüfung gilt für nicht interventionelle Prüfungen nach AMG § 4 Abs. 23: "Eine nicht interventionelle Prüfung ist eine Untersuchung, in deren Rahmen Erkenntnisse aus der Behandlung von Personen mit Arzneimitteln gemäß den in der Zulassung festgelegten Angaben für deren Anwendung anhand epidemiologischer Methoden analysiert werden; dabei folgt die Behandlung einschließlich der Diagnose und Überwachung nicht einem vorab festgelegten Prüfplan, sondern ausschließlich der ärztlichen Praxis."

Ziel einer interventionellen klinischen Studie ist der Vergleich von Behandlungsverfahren in Patientenpopulationen, die sich abgesehen von der Behandlung möglichst wenig voneinander unterscheiden [4, e1]. Durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch randomisierte Zuteilung der Patienten auf die Gruppen, soll dies erreicht und dadurch Verzerrungen ("bias") des Ergebnisses vermieden werden. Die Therapie kann dabei ein Medikament, ein Operationsverfahren oder der therapeutische Einsatz eines Medizinprodukts (z. B. Stent), aber auch eine Physiotherapie, Akupunktur, psychosoziale Intervention, Rehabilitationsmaßnahme, Schulung oder Diät sein. Impfstudien gehören in Deutschland ebenfalls zu den interventionellen klinischen Studien und werden als klinische Prüfung nach AMG durchgeführt.

Interventionelle klinische Prüfungen unterliegen vielfältigen gesetzlichen und ethischen Anforderungen (z. B. Arzneimittelgesetz, Medizinproduktegesetz). Sie müssen im Fall von Medizinprodukten der zuständigen Behörde angezeigt und bei der Prüfung von Arzneimitteln auch von dieser genehmigt werden. Die zustimmende Stellungnahme der zuständigen Ethikkommission ist jedenfalls erforderlich. Die Durchführung einer Studie sollte nach den verbindlichen Regeln von "Good Clinical Practice" (GCP) erfolgen [5, e2 – e4]. Bei klinischen Prüfungen an Einwilligungsfähigen ist das Vorliegen einer Einverständniserklärung ("informed consent") des Patienten zwingend erforderlich [e2]. In den meisten klinischen Prüfungen wird eine Kontrollgruppe mitgeführt. Diese erhält ein anderes Behandlungsregime oder/und ein Placebo (Therapie hat keine substanzielle Wirkung). Die Wahl der Kontrollgruppe sollte sowohl ethisch vertretbar als auch für die Beantwortung der wichtigsten Fragestellungen der Studie geeignet sein [e5].

Idealerweise erfolgt in klinischen Prüfungen eine Randomisierung. Die Patienten werden hierbei rein zufällig den Therapiearmen zugeteilt. Diese Zufallsverteilung erreicht man durch Verwendung von Zufallszahlen oder Computeralgorithmen [6 – 8]. Durch Randomisierung lässt sich eine gleichmäßige Verteilung der Patienten in den Studiengruppen realisieren und der Einfluss möglicher Einflussgrößen wie zum Beispiel Risikofaktoren, Komorbiditäten und genetische Variabilitäten zufällig auf die Gruppen verteilen (Strukturgleichheit) [9, 10]. Die Randomisierung soll möglichst große Homogenität zwischen den Gruppen sichern und verhindert somit, dass beispielsweise Patienten mit einer besonders günstigen Prognose (z. B. junge Patienten in guter körperlichen Verfassung) eine bestimmte Therapie bevorzugt erhalten [11].

Die Verblindung ist eine weitere geeignete Technik zur Vermeidung von Verzerrungen. Man unterscheidet zwischen einfacher und doppelter Verblindung. Bei einfacher Verblindung weiß der Patient nicht, welche Therapie er erhält, bei doppelter Verblindung wissen weder Patient noch Untersucher, welche Behandlung vorgesehen ist. Die Verblindung von Patient und Untersucher schließt eine – eventuell auch unbewusste – subjektive Beeinflussung der Beurteilung einer bestimmten Therapie (z. B. Medikamentengabe versus Placebo) aus. Somit stellt die doppelte Verblindung Behandlungs- und Beobachtungsgleichheit der Patienten beziehungsweise Therapiegruppen sicher.

Es sollte immer der höchstmögliche Grad an Verblindung gewählt werden. Der Studienstatistiker sollte bis zur endgültigen Festlegung der Auswertungsdetails ebenfalls verblindet bleiben.

Auch die Fallzahlplanung gehört bei klinischen Prüfungen zu einem guten Studiendesign. Sie ermöglicht, dass der angenommene Therapieeffekt mit einer vorher festgelegten Wahrscheinlichkeit ("Power") auch als solcher erkannt wird, das heißt statistisch signifikant ist [4, 6, 12].

Wichtig bei der Durchführung einer klinischen Prüfung ist neben der genauen klinischen und methodischen Planung, die in einem Studienprotokoll [13] dargelegt wird, auch die Überwachung der protokollgerechten Durchführung der Studie und Erhebung der Daten ("Monitoring"). Die Sicherung der Datenqualität durch doppelte Dateneingabe, die Programmierung von Plausibilitätsprüfungen und die Auswertung durch einen Biometriker sind grundlegend für eine qualitativ hochwertige Studie. Internationale Empfehlungen zur Berichterstattung randomisierter, klinischer Studien finden sich im CONSORT-Statement ("Consolidated Standards of Reporting Trials", www.consort-statement.org) [14], das für viele Journale eine Grundvoraussetzung zur Publikation ist.

Sowohl aufgrund der erwähnten, vielfältigen methodischen Gründe als auch wegen der Berücksichtigung ethischer Grundsätze gilt die randomisierte, kontrollierte und verblindete klinische Prüfung mit Fallzahlplanung als Goldstandard bei der Prüfung von Wirksamkeit ("efficacy") und Verträglichkeit ("safety") von Therapien beziehungsweise Arzneimitteln [4, e1, 15].

Nicht interventionelle klinische Studien (NIS) sind demgegenüber patientenbezogene Beobachtungsstudien, in denen die Patienten eine individuell festgelegte Therapie erhalten. Die Therapie legt der behandelnde Arzt ausschließlich aufgrund der medizinischen Diagnose und dem Patientenwunsch fest. Zu den NIS gehören Therapiestudien (nicht interventionell), Prognosestudien, Anwendungsbeobachtungen von Arzneimitteln (AWB), sekundäre Datenanalysen, Fallserien und Einzelfallanalysen [13, 16]. In nicht interventionellen Therapiestudien werden analog zur klinischen Prüfung Therapien miteinander verglichen, die Behandlung wird jedoch ausschließlich nach ärztlichem Ermessen verordnet. Die Auswertung findet oft retrospektiv statt. In Prognosestudien wird der Einfluss prognostischer Faktoren (z. B. Tumorstadium, funktioneller Status, Body-Mass-Index) auf den weiteren Verlauf einer Erkrankung untersucht.

Diagnosestudien gehören gleichfalls zur Gruppe der beobachtenden Studien, in denen entweder die Güte einer diagnostischen Methode im Vergleich zu einer etablierten Methode (am besten einem Goldstandard) beurteilt oder ein Untersucher mit einem oder mehreren anderen Untersuchern (Interrater-Vergleich) oder mit sich selbst zu verschiedenen Zeitpunkten (Intrarater-Vergleich) verglichen wird [e1]. Tritt ein Ereignis sehr selten auf (z. B. seltene Krankheit, individueller Therapieverlauf), kann auch eine Einzelfalldarstellung oder Fallserie infrage kommen. Eine Fallserie ist eine Untersuchung an einer größeren Patientengruppe mit einer bestimmten Krankheit. Beispielsweise sammelte das Center for Disease Control (CDC) in den USA nach Entdecken des AIDS-Virus eine Fallserie von 1000 Patienten, um häufige Komplikationen dieser Infektion zu untersuchen. Nachteil von Fallserien ist das Fehlen einer Kontrollgruppe. Entsprechend eignen sich Fallserien in erster Linie für deskriptive Zwecke [3].

Epidemiologische Studien

In epidemiologischen Studien interessiert zumeist die Verteilung und zeitliche Veränderung der Häufigkeiten von Krankheiten sowie deren Ursachen. Analog zu klinischen Studien werden in der Epidemiologie ebenfalls experimentelle und beobachtende Studien unterschieden [16, 17].

Interventionsstudien sind experimenteller Natur und werden weiter in Feldstudien (Stichprobe stammt aus einem Gebiet, zum Beispiel einer größeren Region oder einem Land) und Gruppenstudien (Stichprobe stammt aus einer speziellen Gruppe, zum Beispiel einer bestimmten sozialen oder ethnischen Gruppe) unterteilt. Ein Beispiel wäre die Untersuchung der Jodierung von Speisesalz zur Vorbeugung des Kretinismus in einem Jodmangelgebiet. Allerdings eignen sich viele Interventionen aus ethischen, gesellschaftlichen oder politischen Gründen nicht für eine Untersuchung in (randomisierten) Interventionsstudien, weil die Exposition für die Probanden schädlich sein kann [17].

Epidemiologische Beobachtungsstudien lassen sich weiter in Kohortenstudien (Follow-up-Studien), Fall-Kontroll-Studien, Querschnittsstudien (Prävalenzstudien) sowie ökologische Studien (Korrelationsstudien oder Studien mit aggregierten Daten) aufteilen.

Demgegenüber beschränken sich Studien mit lediglich deskriptiver Auswertung auf die reine Darstellung der Häufigkeit (Inzidenz, Prävalenz) und Verteilung einer Erkrankung in einer Population. Ziel der Deskription könnte auch die regelmäßige Erfassung von Informationen sein (Monitoring, Surveillance). Zur Beschreibung von Prävalenz und Inzidenz eignen sich auch Registerdaten, wie sie etwa für die Gesundheitsberichterstattung des Bundes verwendet werden.

In Kohortenstudien werden im einfachsten Fall zwei gesunde Personengruppen über die Zeit beobachtet. Die eine ist exponiert gegenüber einer bestimmten Substanz (z. B. Arbeiter in einem Chemiebetrieb), und die andere ist nicht exponiert. Prospektiv, also in die Zukunft gerichtet, wird ermittelt, wie häufig eine bestimmte Krankheit (z. B. Lungenkrebs) in den beiden Gruppen auftritt (Grafik 2a). Die Inzidenz für das Auftreten der Krankheit kann dann in beiden Gruppen bestimmt werden. Außerdem kann man das relative Risiko (Quotient der Inzidenzraten) als ein sehr wichtiges statistisches Maß in Kohortenstudien berechnen. Als Vergleichsgruppe kann bei seltenen Expositionen auch die Allgemeinbevölkerung dienen [e6]. Alle Auswertungen berücksichtigen natürlich die Alters- und Geschlechtsverteilung in den jeweiligen Kohorten. Ziel von Kohortenstudien ist die detaillierte Erfassung von Informationen zur Exposition und zu Störfaktoren, zum Beispiel die Dauer der Beschäftigung, die Höhe und Intensität der Exposition. Eine bekannte Kohortenstudie ist die British Doctors Study, in der über Jahrzehnte prospektiv der Einfluss des Rauchens auf die Mortalität unter britischen Ärzten untersucht wurde [e7]. Kohortenstudien sind gut geeignet, ursächliche Zusammenhänge zwischen Exposition und Krankheitsentstehung zu erkennen. Andererseits sind Kohortenstudien oft zeitlich, organisatorisch und finanziell sehr aufwendig. Einen Sonderfall stellen sogenannte historische Kohortenstudien dar. Hier liegen alle Daten über Exposition und Wirkung (Krankheit) bereits bei Studienbeginn vor und werden rückblickend erhoben. Solche Studien werden beispielsweise zur Untersuchung arbeitsbedingter Krebserkrankungen verwendet. Sie sind in der Regel weniger kostenintensiv [16].

In Fall-Kontroll-Studien vergleicht man Fälle mit Kontrollen. Fälle sind Personen, die an der interessierenden Krankheit erkrankt sind. Kontrollen sind Personen, die nicht erkrankt sind, sonst aber vergleichbar zu den Fällen sind. Retrospektiv, also in die Vergangenheit gerichtet, wird erfasst, inwiefern Personen der Fall- beziehungsweise der Kontrollgruppe exponiert waren (Grafik 2b). Expositionsfaktoren können beispielsweise Rauchen, Ernährung und Schadstoffbelastung sein. Hierbei ist zu beachten, dass die Exposition hinsichtlich Intensität und Zeitdauer möglichst sorgfältig und detailliert erfasst werden sollte. Beobachtet man, dass die erkrankten Personen häufiger exponiert waren als die nicht erkrankten Personen, kann man daraus auf einen Zusammenhang der Krankheit mit dem Risikofaktor schließen. Das wichtigste statistische Maß bei Fall-Kontroll-Studien ist das Odds Ratio (Chancenverhältnis). Im Vergleich zu Kohortenstudien sind Fall-Kontroll-Studien meistens weniger zeit- und ressourcenaufwendig [16). Der Nachteil der Fall-Kontroll-Studie ist, dass die Inzidenzrate (Neuerkrankungsrate) nicht berechnet werden kann. Zudem ist die Gefahr für eine Verzerrung durch Auswahl der Studienpopulation (Selektionsbias) und für eine erinnerungsbedingte Verzerrung (Recallbias) hoch. Einen Überblick zur Auswahl epidemiologischer Studientypen gibt Tabelle 1 [e8]. Tabelle 2 informiert über Vor- und Nachteile von Beobachtungsstudien [16].

Tab. 1: Besonders geeignete Studientypen für epidemiologische Untersuchungen (nach [e8])
Ziel der UntersuchungStudientyp
Untersuchung seltener Krankheiten 
wie Tumorerkrankungen
Fall-Kontroll-Studien
Untersuchung seltener Expositionen wie industrielle ChemikalienKohortenstudie in einer Bevölkerungsgruppe, in der die Exposition vorhanden ist (z. B. Industriearbeiter)
Untersuchung multipler Expositionen wie etwa der gemeinsame Effekt von oralen Kontrazeptiva und Rauchen 
auf Herzinfarkt
Fall-Kontroll-Studien
Untersuchung multipler Endpunkte 
wie das Sterberisiko aufgrund unterschiedlicher Ursachen
Kohortenstudien
Schätzung der Inzidenzrate in exponierten Bevölkerungenausschließlich Kohortenstudien
Untersuchung von Kofaktoren, 
die sich über die Zeit verändern
vorzugsweise Kohortenstudien
Untersuchung von Effekten von InterventionenInterventionsstudien
Tab. 2: Vor- und Nachteile von Beobachtungsstudien (nach [16]): N, kommt nicht infrage; 1, gering; 2, mäßig; 3, hoch.*
 Ökologische StudieQuerschnittsstudieFall-Kontroll-StudieKohortenstudie
SelektionsbiasN231
RecallbiasN331
Loss-to-follow-upNN13
Confounding3221
Zeitaufwand1223
Kosten1223
* Abweichungen von dieser Aufstellung sind im Einzelfall möglich.

 

Diskussion

Die Wahl des geeigneten Studientyps ist ein wichtiger Aspekt des Studiendesigns (siehe 2. Teil in DAZ 28, S. 60). Doch nur wenn Planung und Durchführung einer Studie auf qualitativ hohem Niveau erfolgen, kann die Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellungen in korrekter Weise erfolgen [e9]. Die Berücksichtigung oder möglicherweise Elimination potenzieller Störgrößen (beispielsweise Confounder) ist sehr wichtig, da sonst das Ergebnis nur unzureichend interpretiert werden kann. Störgrößen sind Merkmale, deren Einfluss auf die Zielgröße nicht primär interessiert, die jedoch den Zusammenhang zwischen Zielgröße und interessierenden Einflussfaktoren beeinflussen. Der Einfluss von Störgrößen kann durch Standardisierung der Durchführung, Stratifizierung [18] oder Adjustierung [19] minimiert oder ausgeschaltet werden.

Für die Entscheidung, welcher Studientyp zur Klärung der Hauptfragestellung verwendet wird, sind neben wissenschaftlich-inhaltlichen Gründen auch Fragen der Ressourcen (Personal, Finanzmittel), klinikinterne Kapazitäten und Möglichkeiten der Durchführung entscheidend. Bei epidemiologischen Studien kann der Zugriff auf Registerdaten entscheidend für die Realisierbarkeit sein. Bei beobachtenden Studien sollten die Anforderungen an die Planung, Durchführung und statistische Auswertung genauso hoch sein wie bei experimentellen Studien. Besonders strenge Anforderungen mit gesetzlich festgelegten Vorschriften (z. B. Arzneimittelgesetz, Good Clinical Practice) werden an Planung, Durchführung und Auswertung klinischer Prüfungen gestellt. In interventionellen und auch in nicht interventionellen Studien muss ein Studienprotokoll erstellt werden [6, 13]. Das Studienprotokoll beinhaltet a priori Informationen zu den Voraussetzungen, der Fragestellung (Zielsetzung), den verwendeten Messmethoden, der Durchführung, der Organisation, der Studienpopulation, zum Datenmanagement, zur Fallzahlplanung und der biometrischen Auswertung sowie zur klinischen Relevanz der Fragestellung [13].

Wichtige und berechtigte ethische Überlegungen können die Möglichkeit limitieren, unter wissenschaftlichen und statistischen Gesichtspunkten optimale Studien durchzuführen. Eine randomisierte, unter streng kontrollierten Bedingungen durchgeführte Interventionsstudie zur Auswirkung eines schädlichen Expositionsfaktors (z. B. Rauchen, Strahlenexposition, fetthaltige Diät) ist aus ethischen Überlegungen nicht möglich und nicht zulässig. Als Alternative zu Interventionsstudien kommen Beobachtungsstudien infrage, obwohl Aussagekraft und Kontrollierbarkeit letzterer stark eingeschränkt sein können [17].

Eine medizinische Studie sollte immer in einem Peer-Reviewed Journal veröffentlicht werden. In Abhängigkeit vom verwendeten Studientyp gibt es für die Darstellung der Ergebnisse (z. B. Beschreibung der Population, Umgang mit fehlenden Werten und Confoundern, Angabe statistischer Kenngrößen) Empfehlungen und Checklisten. Empfehlungen und Leitlinien für klinische Prüfungen [14, 20, e10, e11], für Diagnosestudien [21, 22, e12] und für epidemiologische Studien [23, e13] liegen vor. Für klinische Studien fordert die WHO seit 2004 zudem die Registrierung in einem öffentlichen Register (z. B. www.controlled-trials.com oder www.clinicaltrials.gov). Gestützt wird diese Forderung vom International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE [24]), das die Registrierung der Studie vor Einschluss des ersten Teilnehmers als unabdingbare Voraussetzung für die Publikation der Studienergebnisse festlegt [e14].

Für die Festlegung des Studientyps und des Studiendesigns ist es bei medizinischen Studien unabdingbar, mit einem erfahrenen Biometriker zusammenzuarbeiten. Durch die gemeinsame Planung aller wichtigen Details kann die Qualität und Aussagekraft der Studie entscheidend verbessert werden [12, 25].

Zusammenfassung

Hintergrund: Die Wahl des geeigneten Studientyps ist ein wichtiger Aspekt des Designs medizinischer Studien. Das Studiendesign und somit auch der Studientyp entscheiden über wissenschaftliche Qualität und Aussagekraft einer Studie.

Methode: Der Artikel beschreibt die Einteilung und Strukturierung von Studien in Primärforschung und Sekundärforschung sowie die weitere Unterteilung von Studien der Primärforschung. Dies geschieht anhand einer selektiven Literaturrecherche zu Studientypen in der medizinischen Forschung und auf Basis der Erfahrung der Autoren.

Ergebnis: Bei Studientypen können die drei Hauptbereiche medizinische Grundlagenforschung (häufig synonym: experimentelle Forschung), klinische und epidemiologische Forschung unterschieden werden. Eine weitere sinnvolle Unterteilung von Studientypen in der klinischen und epidemiologischen Forschung ist die Einordnung in interventionelle und nicht interventionelle Studientypen.

Schlussfolgerung: Für die Entscheidung, welcher Studientyp zur Klärung der Hauptfragestellung geeignet ist, sind neben wissenschaftlich-inhaltlichen Gründen auch Fragen der Ressourcen, Kapazitäten und Realisierbarkeit der Durchführung entscheidend.

 

Literatur

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[18] Fleiss JL. The design and analysis of clinical experiments. New York: John Wiley & Sons 1986:149–85.

 [19] Fleiss JL. The design and analysis of clinical experiments. New York: John Wiley & Sons 1986:186–219.

 [20] Moher D, Schulz KF, Altman DG. Das CONSORT-Statement: Überarbeitete Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Reports randomisierter Studien im Parallel-Design. Dtsch Med Wochenschr 2004;129:16–20.

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 [24] International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE). Clinical trial registration: a statement. www.icmje.org/clin_trial.pdf; letzte Version: 22.5.2007.

 [25] Altman DG, et al. Statistical guidelines for contributors to medical journals. Br Med J (Clin Res Ed) 1983;286: 1489–93.

 

 

Korrespondierender Autor: 

Dr. rer. nat. Bernd Röhrig, 
MDK Rheinland-Pfalz, 
Referat Rehabilitation/Biometrie, 
Albiger Straße 19 d, 
55232 Alzey, 
bernd.roehrig@mdk-rip.de
 

 

 

Grafik 1: Einteilung verschiedener Studientypen *1 häufig synonym verwendet: Experimentelle Forschung; *2 analoger Begriff: interventionell; *3 analoge Begriffe: nicht interventionell/nicht experimentell.
Grafik 2: Grafische Darstellung einer prospektiven ­Kohortenstudie [einfachster Fall: a) und einer retro­spektiven Fall-Kontroll-Studie (b)].

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