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Profitable Geschäfte

Doris Uhl

Die rasante Verbreitung des neuen Influenza-Erregers A/H1N1 führt drastisch vor Augen, dass eine Pandemie, ausgelöst durch einen neuartigen Erreger, nur schwer unter Kontrolle zu bringen ist. Es ist also Schadensbegrenzung angesagt und die Hersteller, die über wirksame Arzneimittel verfügen oder schnell einen Impfstoff entwickeln können, dürfen sich auf ein profitables Geschäft freuen.

Seit über einem Jahr erreichen uns in regelmäßigen Abständen Pressemeldungen zu einem ganz besonderen pflanzlichen Medizinprodukt, das völlig nebenwirkungsfrei Viren, insbesondere Influenzaviren, am Eindringen in den Körper hindern soll. Es handelt sich dabei um Cystus052, einen speziellen Zistrosenextrakt, unter anderem enthalten in den Präparaten Cystus052-Infektblocker® und Cystus052® Gurgellösung. Er soll im Falle einer Pandemie einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Bevölkerung leisten. So hat die Unternehmensgruppe Tengelmann im März 2008 verkündet, dass sie im Rahmen der internen Vorsorgemaßnahmen zu der zu erwartenden Grippeepidemie neben der Bereitstellung von Hygienematerialen auch nach einem geeigneten antiviralen Infektblocker Ausschau gehalten habe. Gefunden wurde nicht etwa Tamiflu® oder Relenza® , sondern Cystus052 Infektblocker® , der dann auch für den Pandemiefall zum Schutz der Mitarbeiter eingelagert worden sein soll. Vertrieben werden die Cystus052-Präparate von der Firma Dr. Pandalis Urheimische Medizin GmbH & Co. KG mit Sitz in Glandorf. Einer der Kommanditisten ist die Tengelmann Warenhandelsgesellschaft KG, Mülheim/Ruhr. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Tengelmann tatsächlich so überzeugt von den umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Zistrosenextrakt war oder ob man sich mehr als nur den Schutz der Mitarbeiter von der medienwirksamen Einlagerung versprochen hat.

Als wissenschaftliche Referenzen für Cystus052 werden das Institut für Molekulare Virologie der Universität Münster und deren Leiter Prof. Dr. Stefan Ludwig sowie das Friedrich-Löffler-Institut in Tübingen (Prof. Dr. Oliver Planz) genannt, aber auch die Berliner Charité. Hier sollen die klinischen Tests durchgeführt worden sein.

Als im Frühjahr diesen Jahres Cystus052 wieder verstärkt angepriesen wurde, diesmal zum Schutz vor der drohenden Schweinegrippe, haben wir uns an Prof. Dr. Theo Dingermann und Dr. Ilse Zündorf von der Universität Frankfurt gewandt, mit der Bitte, das Studienmaterial einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Das Ergebnis dieser Recherche haben wir in der DAZ 19/2009 veröffentlicht. Zusammen mit Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Universität Frankfurt und Prof. Dr. Thomas Winckler von der Universität Jena kamen Dingermann und Zündorf zu dem Schluss, dass aufgrund der ausgewerteten Studien nicht überzeugend abzuleiten ist, dass man sich durch Gurgeln oder Lutschen von Cystus052-Präparaten wirksam vor einer Influenza-Infektion schützen kann. Als Reaktion auf die kritische Bewertung reichte Professor Ludwig ein Manuskript bei der DAZ ein, das anhand von neuen Studienergebnissen die besondere Eignung von Cystus052 zur Influenzaprophylaxe untermauern und Zweifel an der Wirksamkeit ausräumen sollte. Coautor ist neben Prof. Dr Oliver Planz auch Prof. Dr. Dr. Holger Kiesewetter. Kiesewetter ist Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin der Berliner Charité, das wegen eines pflanzlichen Potenzmittels im Frühjahr in die Schlagzeilen geraten war. Ein Doktorand von Kiesewetter hatte in Aussicht gestellt, dass schon bald ein pflanzliches "Viagra® " auf den Markt kommen werde. Das Ganze entpuppte sich als PR-Coup und rief die Staatsanwaltschaft auf den Plan. Sie soll inzwischen gegen Mitarbeiter der Berliner Charité wegen des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz ermitteln (Spiegel online vom 12. Juni 2009). Kiesewetter war schon in der Vergangenheit wegen umstrittener Studien zu pflanzlichen Arzneimitteln und lukrativer Beraterverträge mit Pharmafirmen in den Verdacht geraten, Medizinisches mit Geschäftlichem zu vermischen (Spiegel online vom 26. März 2009). Doch nach wie vor ist Kiesewetter an der Berliner Charité tätig und nach wie vor scheint es Firmen und Kollegen zu geben, die an seiner Seriosität nicht zweifeln.

Vor diesem Hintergrund haben wir Dingermann, Zündorf, Schubert-Zsilavecz und Winckler gebeten, sich das eingereichte Manuskript zu Cystus052 näher anzusehen und mit ihnen über die neuen Daten gesprochen. Das Interview finden Sie neben den Ausführungen von Ludwig, Kiesewetter und Planz auf den Seiten 44 ff. Machen Sie sich Ihr eigenes Bild! Entscheiden Sie selber, ob Cystus052-Präparate ideale Produkte sind, um bestehende Konzepte der Influenza-Seuchenkontrolle sinnvoll und bevölkerungsnah zu ergänzen oder ob hier das profitable Geschäft mit der Angst im Vordergrund steht.


Doris Uhl

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