Arzneimittel und Therapie

Methylphenidat-Informationen werden vereinheitlicht

Die Produktinformationen Methylphenidat-haltiger Arzneimittel müssen europaweit vereinheitlicht werden. Diese Notwendigkeit hat die Europäische Kommission im Rahmen eines Risikobewertungsverfahrens gesehen. Das BfArM hat nun einen Bescheid erlassen, nach dem mit Wirkung zum 1. September 2009 eine von der Europäischen Kommission erlassene Fachinformation und Packungsbeilage im Wortlaut zu übernehmen ist.

Im Juni 2007 hatte die Europäische Kommission ein Risikobewertungsverfahren für Methylphenidat beantragt. Hintergrund waren Sicherheitsbedenken. Es bestand der Verdacht, dass Methylphenidat vor allem das kardio- und zerebrovaskuläre Risiko erhöhen könnte. Das Sicherheitsbewertungsverfahren durch den EMEA-Ausschuss für Humanarzneimittel CHMP befasste sich daher schwerpunktmäßig mit diesen Risiken. Aber auch Daten zu psychiatrischen Störungen, Karzinogenität, Auswirkungen auf das Wachstum und die Auswirkungen einer Langzeitbehandlung wurden analysiert. Am 27. Mai 2009 hat die EU-Kommission aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse einen Entscheid erlassen, der eine EU-weite Harmonisierung von Fachinformationen und Packungsbeilagen Methylphenidat-haltiger Arzneimittel vorschreibt. Als Konsequenz daraus müssen nun Packungsbeilagen und Fachinformationen aller Methylphenidat-haltigen Arzneimittel vereinheitlicht werden. Mit Schreiben vom 22. Juni 2009 hat das BfArM daher im Rahmen des Stufenplanverfahrens Stufe II einen Bescheid erlassen, nach dem bis zum 1. September 2009 die Texte nach Anhang III der Kommissionsentscheidung im Wortlaut übernommen werden müssen. Welche Erkenntnisse die EMEA bislang gewonnen hat, ist den mit dem Kommissionsentscheid veröffentlichten wissenschaftlichen Schlussfolgerungen und Begründungen für die Änderung der Fachinformation und der Packungsbeilage zu entnehmen, die im Folgenden kurz zusammengefasst sind.

Kardiovaskuläres Risiko

Dass Methylphenidat den Blutdruck steigern, den Puls beschleunigen und zu Tachykardien führen kann, ist durch klinische Studien belegt. Diese Nebenwirkungen sind meist reversibel und werden auch in den Produktinformationen genannt. Unklar ist, in welchem Umfang sie auftreten und wie sie sich langfristig auf das kardiovaskuläre System auswirken. Hier fehlen entsprechende Studien. Spontanmeldungen betrafen vor allem Herzrhythmusstörungen, Hypertonie, Herzstillstand, Ischämie und QT-Zeit-Verlängerung, wobei auch über Todesfälle berichtet wurde. Der CHMP erkannte ein klares Sicherheitssignal für das Auftreten eines Raynaud-Phänomen und vermutet einen kausalen Zusammenhang mit der Methylphenidat-Therapie. Für die kardiovaskulären Wirkungen von Methylphenidat könnte neben der sympathomimetischen Wirkung auch eine direkte Schädigung der Herzgewebestruktur durch Methylphenidat verantwortlich sein. Das legen vorklinische Studien und epidemiologische Daten nahe. Insgesamt kommt der CHMP zu dem Schluss, dass ein potenzielles kardiovaskuläres Risiko unter Methylphenidat besteht und eine Evaluierung der Patienten vor der Behandlung sowie ein laufendes Screening und eine laufende Überwachung während der Behandlung erforderlich sind. Bei jeder Dosisanpassung und bei klinischem Bedarf und dann mindestens alle sechs Monate müssen Blutdruck und Herzfrequenz erfasst und dokumentiert werden. Bei vorbestehenden Herzerkrankungen ist Methylphenidat kontraindiziert, es sei denn, ein Kinderkardiologe hat die Therapie befürwortet. Entsprechende Ausführungen dazu müssen in den neuen Produktinformationen erhalten sein.

Zerebrovaskuläres Risiko

In klinischen Studien trat unter Methylphenidat vor allem Migräne als zerebrovaskuläres Ereignis auf. Spontanmeldungen bezogen sich dagegen vor allem auf Schlaganfall, Hirninfarkt und zerebrale Ischämie sowie weitere zerebrovaskuläre Vorfälle. Methylphenidat ist daher bei vorbestehenden zerebrovaskulären Erkrankungen kontraindiziert. Hervorgehoben wird, dass Methylphenidat nicht bei Patienten mit hemiplegischer Zerebralparese kontraindiziert ist. Langzeitdaten über den Einfluss von Methylphenidat auf zerebrovaskuläre Erkrankungen fehlen.

Psychiatrische Erkrankungen

Aggression, Agitation, Tics, Reizbarkeit, Manie und Suizidverhalten sind nur einige der psychiatrischen Erkrankungen, die unter Methylphenidat auftreten können. Es wird jedoch als schwierig erachtet, einen kausalen Zusammenhang zu beweisen, da ADHS selber oft mit psychiatrischen Störungen einhergeht.

Verzögertes Wachstum

Berichten zufolge soll es unter Langzeiteinnahme von Methylphenidat zu einer verringerten Gewichtszunahme und einem verzögerten Wachstum bei Kindern kommen. Die tatsächlichen Auswirkungen einer Methylphenidat-Behandlung sind jedoch unbekannt und werden zurzeit untersucht.

Engmaschige Kontrollen

Insgesamt wird das Nutzen/Risiko-Verhältnis von Methylphenidat zur Behandlung von Kindern mit ADHS als günstig angesehen. Fehlende Daten zu Langzeitauswirkungen erfordern jedoch eine engmaschige Kontrolle. Kinder und Heranwachsende, die länger als zwölf Monate mit Methylphenidat behandelt werden, müssen laufend auf ihren Herz-Kreislauf-Status, Wachstum, Appetit, neue psychiatrische Erkrankungen oder eine Verschlechterung bestehender psychiatrischer Erkrankungen hin untersucht werden. Besonderes Augenmerk sollte bei den psychiatrischen Erkrankungen auf motorische oder vokale Tics, aggressives oder feindseliges Verhalten, Depression, Agitiertheit, Angst, Psychose, Manie, Wahnvorstellungen, Reizbarkeit und mangelnde Spontaneität gelegt werden. Kontrolluntersuchungen sind bei jeder Dosisanpassung und dann mindestens alle sechs Monate sowie bei jedem Arztbesucht erforderlich.

 

Quelle

Stufenplan-Bescheid des BfArM vom 22. Juni 2009

EMEA-Entscheidung vom 27. Mai 2009

 

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