Gentechnik

Pharming – Arzneimittel vom Bauernhof

Vom Schaf Polly bis zur Impfbanane - und was kommt dann?

Von Andreas Zielger

Spätestens seit im letzten Jahr der in transgenen Tieren erzeugte Wirkstoff Antithrombin alfa zur venösen Thromboembolieprophylaxe bei chirurgischen Eingriffen an Patienten mit angeborenem Antithrombin-Mangel zugelassen wurde, ist einer völlig neuen Form der Wirkstoffgewinnung der Durchbruch gelungen: dem sogenannten Pharming, einer Mischung aus Arzneimittelentwicklung (pharmaceuticals) und Landwirtschaft (farming). Pharming ist eine Anwendung der Biotechnologie, bei der man transgene Pflanzen und Tiere sozusagen als Wirkstoffproduzent benutzt. Wenngleich es sich um eine noch sehr junge Wissenschaft und auch eine relativ kleine Fachdisziplin handelt, sind doch viele Hoffnungen mit ihr verbunden. Allerdings sind derzeit noch viele wissenschaftliche und ethische Fragen in Zusammenhang mit dieser innovativen Technologie ungeklärt.

Nicotiana tabacum Kann Tabak zukünftig zur Prävention von Krankheiten genutzt werden? Geforscht wird an Tabakpflanzen, die einen HIV-spezifischen Antikörper produzieren und so als Wirkstofflieferant fungieren können.Foto: DAZ Archiv

Historisch könnte man die Wurzeln des Pharming mit der Herstellung der ersten transgenen Maus vor mehr als 20 Jahren ansetzen. Als eigentlicher Beginn des Pharming wird heute jedoch das transgene Schaf Polly angesehen, das der schottische Forscher Ian Wilmut im Jahr 1997 geschaffen hatte. Zwar stand Polly stets im Schatten des ebenfalls in Wilmuts Labor erzeugten Klonschafs Dolly, für die Wissenschaft war Polly jedoch mindestens ebenso wichtig. In Pollys Erbgut war nämlich ein menschliches Gen eingeschleust worden, das die Produktion eines bestimmten Proteins bewirkte. Um dieses zu gewinnen, brauchte man nur das Tier zu melken, das Protein aus der Milch zu isolieren und in der Folge zu einem Medikament zu verarbeiten. Zwar zog sich der Investor bald aus dem Projekt zurück und ein Großteil der Herde musste geschlachtet werden, die Grundlagen des Pharmings waren damit jedoch geschaffen.

Zahlreiche Wirkstoffe in der Pipeline

Doch Polly war erst der Anfang einer Entwicklung, die im Mai vergangenen Jahres mit der Zulassung des Anti-Thrombose-Mittels ATryn® seinen vorläufigen Höhepunkt fand. ATryn® enthält das rekombinante Protein Antithrombin alfa, das aus der Milch von Ziegen gewonnen wird. Eine ganze Reihe weiterer Produkte aus transgenen Tieren und Pflanzen befindet sich derzeit im Versuchsstadium. Unter anderem ein Komplementfaktor C1-Inhibitor, der von Kaninchen produziert und bei hereditärem Angioödem eingesetzt werden soll. In Mais ließe sich beispielsweise das Verdauungsenzym gastrische Lipase exprimieren, das etwa bei der Behandlung von Mukoviszidose eingesetzt werden könnte und aus Tabakpflanzen könnten Antikörper gewonnen werden, die Anheftung von Mikroben an die Zahnoberfläche verhindern und so die Ausbildung von Karies reduzieren. Selbst wenn wegen langwieriger Zulassungsverfahren noch lange nichts davon in der Apotheke zu haben ist, so steht die Arzneimittelerzeugung doch vor einer kleinen Revolution.

Billiger als konventionelle Wirkstoffgewinnung?

Die rege Pharming-Forschungstätigkeit in Europa sowie in den USA erklärt sich aus zwei Motiven. Zum einen sind viele therapeutisch-interessante Proteine zu komplex um sie mit gegenwärtig verfügbaren Methoden synthetisch herstellen zu können und biologische Produktionssysteme daher unabdingbar. Zum anderen könnte Pharming die Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln deutlich billiger machen. Nach Berechnungen der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich technischer Entwicklungen könnte die Herstellung von Pharmazeutika in Pflanzen und Tieren um den Faktor 10 billiger sein, als konventionelle Herstellungsmethoden. Dabei handelt es sich jedoch um Schätzungen, die noch nicht in der Realität überprüft werden konnten. Zwar erfordert der Aufbau einer Pharming-Produktionsstätte zahlreiche Genehmigungen sowie einen erheblichen finanziellen Aufwand, wenn das gewünschte transgene Tier oder die entsprechende transgene Pflanze jedoch erstmal existiert, geht es praktisch nur noch um die relativ preisgünstige Vergrößerung der Herde oder Anbaufläche. Im Prinzip scheinen die Kostenvorteile hier auf der Hand zu liegen, doch nicht nur die Produktion an sich ist zu berücksichtigen. Pflanzen und Tiere müssen isoliert gehalten werden, um Verunreinigungen zu verhindern. Behördlich auferlegte Sicherheitsmaßnahmen sowie die Beseitigung von Tieren, die sozusagen ausgedient haben und sterben oder entsorgt werden müssen, könnte so teuer sein, dass der jetzt vermutete Kostenvorteil gegenüber Zellkulturen oder traditionellen Herstellungsweisen erheblich zusammenschmilzt.

Beispiele für pharmazeutische Stoffe, die in "Pharmapflanzen" erzeugt werden können
pharmazeutischer StoffPflanze
Hormone und Zytokine 
Interferon (Zytokin)Reis, Kartoffel, Tabak
Interleukin 2, 4, 10, 12 und 18 
(Zytokine)
Kartoffel
WachstumshormoneTabak, Sonnenblume, Öldistel
EnkephalinRaps, Ackerschmalwand
Impfstoffe 
Cholera Toxin B/A2Tabak, Kartoffel, Tomate
Hepatitis-B-OberflächenantigenTabak
Enterotoxin BKartoffel, Tabak
Tollwut-Virus-GlykoproteinTomate
Norwalk-VirusKartoffel
Enzyme 
Alpha-AmylaseTabak, Erbse
XylanaseTabak, Raps, Erbse, Gerste
ZellulaseTabak
β-GlucuronidaseMais
Antikörper 
Antikörper gegen Herpes Simplex VirusSoja, Mais
Antikörper gegen Streptococcus mutansTabak
Antikörper gegen Respiratory Syncytial VirusMais
IgMTabak
IgGSoja

Akzeptanz hängt vom Nutzen ab

Doch neben dem finanziellen Aspekt ist der Erfolg des Pharming von einem weiteren sehr wichtigen Aspekt abhängig, nämlich von der Bereitschaft der Bevölkerung, Wirkstoffe aus transgenen Organismen anzunehmen. Entgegen den Erwartungen ist es dabei von untergeordneter Bedeutung, ob die Bevölkerung nachvollziehen kann, wie nun ein menschliches Gen etwa in Mais oder Kühe geschmuggelt wird und ob der Wirkstoff aus dem Korn oder aus Blättern bzw. aus der Milch gewonnen wird. Ablehnung und Befürwortung richten sich vielmehr danach, ob der Natur ein Eigenwert beigemessen wird oder ob sie als reines Material benutzt wird. So ist die Akzeptanz sehr viel höher wenn die Produktion eines Arzneimittels in einem transgenen Tier beispielsweise die einzige Möglichkeit ist, um schwerkranke Menschen zu therapieren, die andernfalls sterben würden, als wenn es lediglich darum geht ein Medikament billiger herzustellen.

Pharmazeutische Tierzucht

Während das Klonen von Tieren in weiten Teilen der Bevölkerung höchstumstritten war, stößt die Schaffung von transgenen Tieren anscheinend auf deutlich weniger Widerstand. Ein Grund dafür könnte sein, dass es sich zumeist nicht nachteilig auf die Gesundheit eines Tieres auswirkt, wenn es ein einziges anderes Gen in sich trägt. Beim Klonen kommen hingegen zwischen 5 und 25% der Tiere mit Missbildungen zur Welt. Häufig werden Tiere tot geboren oder sterben kurz nach ihrer Geburt. Außerdem sind gesundheitliche Langzeitschäden möglich, die letztlich durch das Klonen entstanden sind. Im Hinblick auf das Wohlergehen der Tiere, ist das Klonen also eine zwiespältige Sache. Doch zumindest ein Teil der transgenen Tiere für das Pharming wird derzeit ebenfalls geklont. Zwar erfolgt die Vermehrung von transgenen Tieren am unkompliziertesten durch natürliche Fortpflanzung, allerdings kann es sein, dass die Manipulation des Erbguts zu Unfruchtbarkeit bei den tierischen Arzneistoffproduzenten führt. Dann muss geklont werden. Doch mit der Erzeugung von transgenen Tieren allein ist es nicht getan, auch ihre Haltung will wohlüberlegt sein. Einerseits sollen sie nicht entlaufen und sich, sofern das biologisch möglich ist, mit genetisch unveränderten Nutztieren paaren können. Andererseits ist es wichtig, die Tiere art- und verhaltensgerecht zu halten und zugleich zu verhindern, dass das Produkt, das sie liefern nicht gefährdet oder kontaminiert werden kann. Denn das würde die Anwendung beim Menschen verhindern. Daher sind Pharming-Ställe in aller Regel relativ weit von der konventionellen Nutztierhaltung entfernt.

Probleme mit der Impfbanane

Einige Zeit wurde dem Pharming auch das Potenzial zugeschrieben die Arzneimittelversorgung in den Entwicklungsländern zu revolutionieren. Aufgrund von Lücken in der Kühlkette kommt es bei Transporten in die Dritte Welt nämlich immer wieder zur Inaktivierung von Impfstoffen. Essbarer Impfstoff, der beispielsweise in vor Ort angebauten Bananen produziert wird könnte hier Abhilfe schaffen. Solche und ähnliche Pläne stellten lange Zeit die Paradebeispiele für die Nutzung transgener Pflanzen dar. Doch aufgrund zahlreicher praktischer Probleme haben sich diese Hoffnungen bislang nicht erfüllt: So wie eine Banane, die viel Sonne abbekommen hat, anders schmeckt und aussieht, als eine die wenig Sonne abbekommen hat, so variiert auch der Impfstoffgehalt in Abhängigkeit äußerer Einflussfaktoren und führt demnach zu inakzeptablen Dosisschwankungen. Ein weiteres Problem in Entwicklungsländern ist die Anbaukontrolle. Zwar werden die Bananen zum Teil in großen Plantagen kultiviert, aber auf dem Land, also dem eigentlichen Einsatzgebiet der Impfbanane, werden Bananen auch in Vorgärten oder am Straßenrand angebaut, so dass eine Vermischung von Lebensmittelbananen und pharmazeutischen Bananen nicht ausgeschlossen werden kann.

Cross-Kontamination von Lebensmitteln vermeiden

Die mögliche Kontamination von Nahrungsmitteln mit arzneiproduzierenden Pflanzen ist allerdings nicht nur in Entwicklungsländern ein Problem. In den USA wird Pflanzen-Pharming schon seit den 1990er Jahren überwiegend mit Reis, Mais und Soja im Freilandanbau betrieben. Da Mais ein Windbestäuber ist, werden seine kleinen, leichten Pollen oft kilometerweit vertragen. Eine unbeabsichtigte Kreuzung mit Maispflanzen die zur Nahrungsmittelproduktion bestimmt sind, ist daher durchaus nicht unwahrscheinlich. Doch nicht nur der Pollenflug kann zu ungewollter Auskreuzung führen. Samen und ganze Pflanzen könnten durch Überschwemmungen oder Stürme verbreitet werden. So gibt es beispielsweise in Kansas, wo viel pharmazeutischer Reis angebaut wird, sehr häufig Tornados. Es sind demzufolge viele Möglichkeiten vorstellbar, wie Samen und Pflanzen sich verbreiten können, durch Wind, Wasser, auf dem Transportweg oder auch durch menschliches Versagen. Dass es sich bei diesen Szenarien nicht um bloße Schwarzmalerei handelt zeigt ein Fall aus dem Jahr 2002. Damals produzierte die Firma ProdiGene einen Impfstoff gegen Durchfall bei Schweinen mit Hilfe von Pharming in Mais. Unachtsamerweise wurde auf einem Feld in einem Jahr der Gen-Mais im nächsten Jahr jedoch Soja angebaut. Dabei sind jedoch auch ein paar Maispflanzen aus dem alten Saatgut des Vorjahrs mitgewachsen. So kam der Mais zwischen die Sojabohnen, und wurde gemeinsam mit diesen zu einer zentralen Sammelstelle transportiert. Als die Kontamination entdeckt wurde, waren bereits 20 Tonnen Sojabohnen verunreinigt und mussten vernichtet werden. Derzeit werden zwei denkbare Möglichkeiten zur Vermeidung solcher Nahrungsmittelverunreinigungen diskutiert:

  • Ein Verzicht auf Nutzpflanzen als Wirkstoffproduzenten.
  • Pharmapflanzen dürfen nur in Glashäusern gezüchtet werden.

Der Anbau im Gewächshaus dient dabei jedoch nicht nur dem Schutz der Nutzpflanzen in der Umgebung, sondern schirmt zugleich auch die transgenen Pflanzen gegen unerwünschte exogene Umwelteinflüsse ab. Von daher ist der Gewächshausanbau für alle Seiten vorteilhaft. Er ist zwar etwas teurer, bietet dafür aber kontrollierte Bedingungen und trägt so maßgeblich zur Qualitätssicherung des Zielproduktes bei.

HIV-Antikörper aus Tabak

Noch sind die USA im Pflanzen-Pharming führend. Das könnte sich durch das seit 2004 bestehende und mit zwölf Millionen Euro finanzierte EU-Projekt Pharma-Planta jedoch bald ändern. Führend beteiligt an diesem internationalen Forschungskonsortium ist auch das Fraunhoferinstitut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie in Aachen. Derzeit wachsen in den Aachener Gewächshäusern Tabakpflanzen, die einen HIV-spezifischen Antikörper produzieren. Die Forscher haben innovative Technologien entwickelt, die es ermöglichen mehrere 100 Kilogramm von Tabakmaterial zu prozessieren und die Proteine daraus zu isolieren. Schon in Kürze könnten die ersten präklinischen Studien durchgeführt werden. Die Antikörper sollen primär der HIV-Prävention dienen und in Form eines Gels verabreicht werden, das vor dem Geschlechtsverkehr in bzw. auf die Vagina aufgetragen wird. Im Rahmen der Entwicklung erwies sich der Tabak als besonders gut für die Wirkstoffproduktion geeignet, da das Up-Scaling in diesem System einfacher und auch billiger ist als beispielsweise in tierischen Zellkulturen. Allerdings hat der Tabak auch einen Nachteil. Da bei Pflanzen wie Mais oder Soja Wirkstoffe im Korn bzw. in der Bohne enthalten sind, tut selbst eine längere Lagerzeit der Qualität des pharmazeutischen Stoffes keinen Abbruch. Beim Tabak steckt das Medikament hingegen in den Blättern. Sobald diese welken, besteht die Gefahr, dass auch der Wirkstoff abgebaut wird. Daher muss Tabak stets schnell und zeitnah verarbeitet werden.

 

Quelle

 Bauer, A.: Transgene Pharma-Pflanzen, Institut für ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel (2006).

 Pharma-Planta - An EU Sixth Framework program, www.pharma-planta.org 

Amberger, M.: Biopharming, IQ-Wissenschaftsmagazin des Bayer. Rundfunk (2008).

 Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich technischer Entwicklungen, www.ea-aw.de 

Fraunhoferinstitut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie Aachen, www.ime.fraunhofer.de 

 

 

Anschrift des Verfassers

Apotheker Andreas Ziegler,
Flurstr. 2,
90613 Großhabersdorf

 

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