Feuilleton

"Darwins Garten" – Evolution der Pflanzen

Zum Darwin-Jahr 2009 konzipierte der Verband Botanischer Gärten eine Ausstellung, die jetzt oder demnächst in 35 botanischen Gärten Deutschlands zu sehen ist. Neben Texten und Bildern zu Darwins botanischen Forschungen werden jeweils Pflanzen aus dem Bestand der botanischen Gärten gezeigt.

Charles Robert Darwin hatte in seinem 6,5 Hektar großen Garten von Down House in Kent verschiedene Kohlsorten angepflanzt. Aus den durch künstliche Bestäubung gewonnenen Samen zog der naturwissenschaftliche Autodidakt über 200 Pflanzen heran. Keine von ihnen stimmte mit den Elternpflanzen überein, die meisten waren noch nicht einmal als Gemüse zu verwenden. Dieses Experiment stützte Darwins Vermutung, dass alle Kulturformen des Kohls auf eine einzige Wildart zurückgehen und durch gezielte Auslese gezüchtet wurden.

Als Arzt untauglich

Als Sohn des wohlhabenden Arztes Robert Darwin 1809 in Shrewsbury zur Welt gekommen, sollte Charles Darwin ursprünglich Medizin studieren und die Familientradition fortsetzen. Schon sein Großvater Erasmus Darwin (1731 – 1802) war Arzt gewesen. Außerhalb der Praxis hatte dieser sich gern mit technischen Fragestellungen beschäftigt und unter anderem ein Wasserklosett sowie einen Raketenantrieb erfunden. Zudem hatte er schon die Theorie entwickelt, dass alle Tierarten von einem gemeinsamen Urtier abstammen, das eine wurmartige Gestalt gehabt und im Meer gelebt haben soll.

Der Enkel war für das Medizinstudium offenbar zu zart besaitet. Anstatt Leichen zu sezieren und bei Operationen – damals noch ohne Anästhesie – zu assistieren, erforschte er lieber die Lebensgewohnheiten wirbelloser Meerestiere. Dank seiner Geduld und kritischen Beobachtungsgabe gewann er sogar neue Erkenntnisse über deren Fortpflanzung.

Nach der vorzeitigen Exmatrikulation an der Medizinischen Fakultät Edinburgh wechselte Darwin nach Cambridge, um Theologie zu studieren. Auch dort blieb ihm offenbar noch genug Zeit, um sich mit Biologie und Geologie zu beschäftigen.

Die Teilnahme an einer Weltumsegelung auf der "Beagle" von 1831 bis 1836 bot dem jungen Theologen ausgiebig Gelegenheit, seinen naturkundlichen Neigungen nachzugehen. Darwin untersuchte unter anderem die Entstehung von Koralleninseln und Atollen. Auf den Galápagos-Inseln entdeckte er 13 endemische Finkenarten, die später nach ihm benannt wurden.

Alfred Russell Wallace hatte ähnliche Ideen

Daraus, dass die Darwin-Finken einander zwar sehr ähneln, aber dennoch unterschiedliche Eigenschaften aufweisen, folgerte Darwin später, dass alle 13 Spezies von einer einzigen Finkenart abstammen, die sich, vom südamerikanischen Subkontinent kommend, auf den Inseln angesiedelt hatte. Gemäß den verschiedenen vorhandenen Nahrungsangeboten hatten sich deren Nachkommen spezialisiert und ihre ökologischen Nischen gefunden. Sie hatten sich im Laufe der Generationen zum Körner- oder zum Insektenfresser entwickelt oder sogar an die Lebensweise von Spechten angepasst und dabei ihre Schnabelformen verändert.

Bereits zwei Jahre nach der Rückkehr notierte Darwin erstmals seine Gedanken über die Veränderlichkeit der Arten. Anfang der 1840er Jahre entstanden umfangreichere Manuskripte über die Evolutionstheorie. Allerdings ahnte der Forscher, dass eine Veröffentlichung das herrschende Weltbild erschüttern und heftige Diskussionen, insbesondere in klerikalen Kreisen, provozieren würde. Deshalb hielt er seine Texte unter Verschluss und versuchte, durch weitere intensive Forschungen weitere Erkenntnisse zur Variabilität der Arten und deren Abgrenzung zu erlangen.

Darwin war längst nicht der einzige Forscher gewesen, der sich tiefsinnige Gedanken über die natürliche Entstehung und Entwicklung der belebten Welt machte. Bereits um 1800 hatte der französische Botaniker und Zoologe Jean-Baptiste de Lamarck (1744 – 1829) eine Theorie publiziert, derzufolge die einfachsten Organismen durch Urzeugung entstanden sind. Sie entwickelten sich seiner Meinung nach zu immer komplexeren Formen, indem sie einem gemeinsamen Richtungssinn folgten. Nach Lamarck hatten die verschiedenen Klassen der Lebewesen zwar gleichartige, jedoch keine gemeinsamen Vorfahren. Sie sollen sich parallel, aber unabhängig voneinander entwickelt haben.

1858 erhielt Darwin ein Manuskript von seinem Landsmann Alfred Russell Wallace (1823 –1913), der im tropischen Südostasien zoologische Studien trieb und dabei gleichfalls eine Evolutionstheorie konzipiert hatte. Nun war für Darwin höchste Eile geboten, wenn er seine Evolutionstheorie als erster publizieren wollte. Aus seinen jahrelang aufgezeichneten Notizen entstand innerhalb eines Jahres das Werk "Vom Ursprung der Arten". Die erste Auflage mit 1192 Exemplaren für den Buchhandel erschien am 24. November 1859 und war innerhalb kürzester Zeit vergriffen.

Studien im eigenen Garten

Bereits 1842 hatte Darwin das Anwesen Down House in Kent erworben, auf dem er bis zu seinem Tod 1882 mit seiner Familie als Privatgelehrter lebte.

Für seine umfangreichen botanischen Forschungen beschäftigte er Gärtner und unterhielt ein Gewächshaus. Er beobachtete vier Jahrzehnte lang, wie Steine durch die Aktivitäten von Bodenorganismen – vor allem von Regenwürmern – allmählich im Boden versanken. Als Pflanzenfreund trug er durch eine großzügige Spende dazu bei, dass 1883 der zweibändige "Index Kewensis" erschien (ein Verzeichnis aller bekannten Blütenpflanzen, das bis 1996 durch 20 Ergänzungsbände kontinuierlich erweitert wurde).

Mit Untersuchungen zur Überlebensfähigkeit von Pflanzensamen im Meerwasser wies Darwin nach, dass eine Pflanze mit mehreren, durch Wasserflächen voneinander getrennten Verbreitungsgebieten einen einzigen geographischen Ursprung haben kann, weshalb es eher unwahrscheinlich ist, dass sie mehrmals erschaffen worden ist.

Koevolution von Blüten und Bestäubern

Der "nicht studierte" Botaniker Darwin machte sich insbesondere um die Erforschung der Blütenbiologie – zu seiner Zeit ein noch sehr junger Wissenschaftszweig – verdient. Bereits 1793 hatte Christian Konrad Sprengel (1750 – 1816) seine Erkenntnisse über den Bau und die Befruchtung der Blumen publiziert. Darwin war einer der wenigen Wissenschaftler, die sich mit dem kaum beachteten Werk des Spandauer Gymnasialrektors auseinandersetzten, denn er hatte sich schon früh mit Blüten – insbesondere von Orchideen – beschäftigt. In einem 1862 veröffentlichten Buch widerlegte er unter anderem die unter Wissenschaftlern verbreitete Hypothese, dass Orchideen sich selbst bestäuben. Auch erkannte er, dass viele Orchideen-arten auf einen bestimmten Bestäuber angewiesen sind, dass sich also Blüten und Insekten jeweils aneinander angepasst haben. So vermutete er, dass die Blüten des in Madagaskar heimischen Angraecum sesquipedale (der Artname bedeutet 1 1 /2 Fuß lang, was sich auf den Blütensporn bezieht) durch einen extrem langrüsseligen Nachtfalter bestäubt werden, und sagte dessen Existenz voraus.

Lange Zeit wurde Darwin deswegen belächelt. Doch 30 Jahre später wurde er posthum "rehabilitiert": Man fand tatsächlich einen Schmetterling, dessen Rüssel lang genug war, um bis zum Grund des ca. 40 cm langen Blütensporns vorzudringen und den dort produzierten Nektar zu saugen. Aber erst 1997 konnte eine Fotografie des Schmetterlings in Aktion Darwins "Vorhersage" zweifelsfrei bestätigen.

Evolution

Im Gegensatz zur Auslese durch den Menschen erfolgt die natürliche Selektion ohne bestimmte Zielsetzung. Sie bewirkt, dass sich Tier- und Pflanzenarten immer wieder aufs Neue den veränderten Umweltbedingungen anpassen und dadurch im Laufe von vielen Generationen neue Arten hervorbringen.

Fleischfressende Pflanzen

Dem Privatgelehrten gelang ferner am Beispiel von Primeln und des Blutweiderichs der Nachweis, dass Pflanzen durch Heterostylie – das heißt, dass ihre Blüten teils einen kurzen, teils einen langen Griffel ("stylus") haben – Selbstbestäubung vermeiden. Eine Befruchtung ist nur zwischen unterschiedlichen Infloreszenzen möglich. In Vergleichen zwischen aus Selbst- bzw. Fremdbestäubung gezogenen Purpur-Prunkwinden zeigte Darwin zudem, dass Inzucht die Vitalität der Nachkommen verringert.

Auch konnte Darwin die weitverbreitete Meinung widerlegen, Berichte über fleischfressende Pflanzen seien nur "Botanikerlatein". Linné hatte Karnivorie im Pflanzenreich noch als Verstoß gegen die gottgewollte Ordnung der Natur ausgeschlossen. Darwin belegte die Fangblätter des Sonnentaus mit kleinen Käse- und Fleischstücken und beobachtete, dass sie durch das Sekret von Blattdrüsen verdaut werden. Die Frage, durch welche Mechanismen die Fangbewegungen (z. B. das Zuklappen der Venusfliegenfalle) ausgelöst werden, konnte er indessen nicht beantworten. Noch heute besteht zu diesem Thema Forschungsbedarf. Zumindest ist mittlerweile bekannt, dass elektrische Signale eine Rolle spielen.

Pflanzenbewegungen

Auch der bis heute gebräuchliche Begriff "Circumnutation" geht auf Darwin zurück. Dieser hatte die unmittelbar nach dem Keimen einsetzenden pendelartigen Bewegungen fast aller Pflanzenteile während des Wachstums untersucht. Die Erforschung dieses Phänomens ist heute noch nicht abgeschlossen. Darwin vermutete, dass es sich um eine ursprüngliche Eigenschaft der Pflanzen handelt, aus der sich im Verlauf der Evolution andere Bewegungsformen entwickelt haben. Er war auch der erste, der sich eingehend mit den "Schlafstellungen" von Pflanzen beschäftigte. Zwar war über dieses Phänomen bereits in der Antike berichtet worden, und auch Linné hatte darüber ein Buch publiziert, doch Darwin konnte nachweisen, dass die "Schlafstellung" vor nächtlicher Kälte schützen soll.

Darwin fixierte die Blätter der Mimosa pudica = "Sinnpflanze" mit Nadeln, um das Zusammenfalten der Fiederblättchen bei einer Berührung zu verhindern. Heute weiß man, dass diese Bewegung aufgrund eines Druckabfalls in den Zellen auf der Unterseite der Blattgelenke erfolgt. Beim schnellen Zusammenklappen, die vermutlich Fraßfeinde abschrecken soll, sind wie bei manchen fleischfressenden Pflanzen offenbar elektrische Impulse im Spiel.

Reinhard Wylegalla

Infos

Darwins Garten – Evolution entdecken

Ausstellungsdaten der teilnehmenden Gärten:
Begleitende Broschüre mit 70 Seiten und Illustrationen: ISBN: 978-3-00-027668-2
Angraecum sesquipedale Die in Madagaskar heimische Orchidee besitzt an der weißen Blüte einen etwa 40 cm langen, grünen Sporn, in dessen unterstem Teil sie Nektar produziert. Ein einziges Insekt, der Schwärmer Xanthopan morgani , ist imstande, mit seinem langen Rüssel den Nektar zu saugen, wobei er die Blüte bestäubt. Der Schwärmer (rechts im Bild) rollt seinen Rüssel erst aus, wenn er die Blüte angesteuert hat. Bild von Linda Petchnick, www.orchidpainter.com.
Zwei fleischfressende Pflanzen Schlauchpflanze (Sarracenia sp., links) neben einer "Kanne" von ­Nepenthes xmixta
Foto: DAZ/cae
Die Kannenpflanze (Nepenthes ventricosa) hat die Enden ihrer Blätter als Wasserbehältnisse ausgebildet; deren Deckel klappen zu, wenn ein Insekt hineingeflogen ist. Danach wird das Insekt verdaut und versorgt die Pflanze mit Stickstoff.
Foto: DAZ/cae

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