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Kammerpräsident Burggasser: "Wir können gerade noch leben"

WIEN (diz). Das Apothekenwesen im Nachbarland Österreich erscheint aus deutscher Perspektive mit weniger Problemen belastet zu sein als in Deutschland. Doch auch der Alpenstaat steht im Fokus der Europäischen Kommission. Und die österreichischen Apothekerinnen und Apotheker müssen sich mit einem Dispensierrecht der Ärzte arrangieren. Wir sprachen mit dem Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, Heinrich Burggasser. Das Interview führte DAZ-Chefredakteur Peter Ditzel.
DAZ: Herr Burggasser, der Europäische Gerichtshof hat das Fremdbesitzverbot bei deutschen Apotheken für zulässig erklärt. Ist Österreich nun auch erleichtert?

Burggasser: Wir haben mit großer Freude festgestellt, dass das Fremdbesitzverbot vom EuGH sowohl in Deutschland als auch in Italien bestätigt wurde. Ich möchte aber nicht verhehlen, es hat ebenso Freude gemacht, dass das Arzneimittel als Ware besonderer Art anerkannt wurde. Ein wesentlicher Punkt ist auch, dass der Apotheker als vom Ethos geleiteter Gesundheitsdienstleister anerkannt wurde. Nicht das Gewinnstreben steht im Vordergrund, sondern die Verantwortung für den Mitbürger ist ein zentraler Punkt seiner Tätigkeit, insbesondere die Beratungsleistung und die Verantwortung und Möglichkeit, Nein zu sagen und die Abgabe eines Arzneimittels zu verweigern. Dass dies vom Gericht anerkannt wurde, halte ich für eine weitreichende und weitblickende Entscheidung.

DAZ: Für Österreich steht formal noch eine Entscheidung in dieser Sache aus?

Burggasser: Ja, für Österreich läuft bei der Kommission noch ein Mahnverfahren. Noch sind wir nicht verklagt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Kommission dieses Verfahren zunächst auf Eis legt und wartet, was bei der geografisch/demografischen Entscheidung im spanischen Asturien herauskommt. Nach dem Schlussantrag des Generalanwalts am 10. September erwarten wir kurz vor Weihnachten oder im Januar das Urteil. Dann wird man wissen, ob diese Beschränkungen prinzipiell auch Landessache sind oder ob es hier andere Sichtweisen gibt. Die Situation in Asturien ist natürlich vollkommen anders als bei uns. Daher wäre auch ein Urteil, das für die spanischen Kollegen negativ ausginge, dennoch nicht auf uns übertragbar.

DAZ: Wenn wir als deutsche Apotheker zu unseren Kolleginnen und Kollegen nach Österreich schauen, sehen wir sie immer auf einer Insel der Glückseligen. In Österreich bewegt sich die Apotheke noch weitgehend in einer heilen Welt – aus unserer Perspektive. Wie schätzen denn die österreichischen Apothekerinnen und Apotheker ihre Lage selbst ein?

Burggasser: Wir sind in einem Bereich, wo wir sagen: Wir können gerade noch leben. Wir haben spaßeshalber das Honorarsystem der deutschen Apotheker mal auf die österreichische Situation übertragen: da hätten wir den doppelten Gewinn. Die deutschen Apotheken haben aus unserer Sicht eine sehr positive Entwicklung genommen. Wir in Österreich haben immer wieder intensive Verhandlungen mit unseren Sozialversicherungsträgern, auch mit der Regierung gehabt. Wir werden sehr kurz gehalten. Wir haben eine sehr schmale Ertragslage, wenn ich den Unternehmerlohn abziehe. Aber wir können unseren Versorgungsauftrag noch erfüllen und das tun wir sehr gerne. Wir versuchen auch innovativ zu sein, Stichwort Arzneimittelsicherheitsgurt, um der Bevölkerung eine klare Positionierung der Apotheke zu bringen.

DAZ: Zum Stichwort Arzneimittelsicherheitsgurt frage ich später noch nach. Unlängst las man in der Österreichischen Apotheker Zeitung, dass Apotheken schon als Nebenerwerbsquellen eine Poststelle in der Apotheke aufmachen. Wie sieht dies die Kammer?

Burggasser: Unsere Haltung dazu: Wenn in einem kleinen Dorf ein Geschäft, beispielsweise ein Lebensmittelgeschäft eine Poststelle hinzunehmen möchte, raten wir unseren Kolleginnen und Kollegen, dies den anderen Geschäften zu überlassen. Sollte sich kein Geschäft zur Verfügung stellen, kann die Poststelle auch die Apotheke übernehmen. Insoweit ist dies von unserer Seite aus akzeptiert.

DAZ: Was sind denn derzeit die größten Probleme für die österreichischen Apotheken? Wo fühlen sie sich am meisten unter Druck gesetzt oder bedroht?

Burggasser: Im Gegensatz zu Deutschland müssen wir mit dem Spezifikum der Hausapotheken-führenden Ärzte leben. Das ist eine Art Dispensierrecht für Ärzte.

DAZ: Ist das beschränkt auf bestimmte Regionen, beispielsweise auf Bergdörfer?

Burggasser: Ja, so war es einmal konzipiert. Heute darf ein Arzt in Orten ohne Apotheke und in Orten, die mehr als sechs Kilometer von einer Apotheke entfernt sind, als Vertragsarzt eine Hausapotheke beantragen. Und er bekommt sie auch. Das heißt, wir haben derzeit 955 ärztliche Hausapotheken und 1240 öffentliche Apotheken. Sie sehen also, dass diese Hausapotheken eine bedeutende Rolle spielen. Es gibt zurzeit einen massiven Versuch der Ärzteschaft, das Dispensierrecht für alle Ärzte einzuführen, was allerdings den Tod der Apotheke bedeuten würde. Das sind schon Probleme, die uns tief betreffen. Positiv: Zurzeit gibt es in der Politik kein Verständnis für diesen Wunsch und eine große Wertschätzung der Leistungen der Apotheke für die Bevölkerung.

DAZ: Was in Deutschland immer wieder versucht wird, hat Österreich unlängst erreicht: Die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel wurde von 20 auf 10 Prozent reduziert.

Burggasser: Das hat uns wieder einmal deutlich gezeigt, wo wir eigentlich in Europa zu Hause sind. Wir waren mit 20 Prozent an der Spitze der Mehrsteuersätze auf Arzneimittel und wir haben in den ersten vier Monaten einen Rückgang der Krankenkassenausgaben um acht Prozent.

DAZ: Wie kam die Mehrwertsteuer-Reduktion in der Bevölkerung an?

Burggasser: Natürlich positiv. Allerdings hat dies nicht zu einem Mehrverbrauch von Arzneimitteln geführt.

DAZ: In Deutschland schielen die Drogeriemärkte und -ketten derzeit sehr stark auf den Arzneimittelmarkt und versuchen, Möglichkeiten zu finden, daran zu partizipieren. Ist eine solche Richtung auch in Österreich festzustellen?

Burggasser: Hier hat schon seit langer Zeit die Drogeriekette "dm" den Wunsch, auch rezeptfreie Arzneimittel vertreiben zu wollen. Doch unsere bisherigen Gesundheitsminister haben uns die Stange gehalten. Sie gehen davon aus, dass es für die Bevölkerung wichtig ist, sich in der Selbstmedikation beraten zu lassen. Einen Selbstkauf von Arzneimitteln in einer Drogerie ohne Beratung halten sie für zu gefährlich und nicht sinnvoll. Daher ist die Politik auf unserer Seite und sagt Nein dazu. Selbstmedikation darf nur mit Beratung durch den Apotheker stattfinden.

DAZ: Gibt es in Österreich das Problem der Pick-up-Stellen in Drogeriemärkten?

Burggasser: Da in Österreich das Versandverbot für rezeptpflichtige und rezeptfreie Arzneimittel besteht, ist das bei uns kein Thema.

DAZ: Glückwunsch, hier ist die Welt in Österreich in Ordnung. Wie steht es mit den Themen Fortbildung und Qualitätsmanagement der österreichischen Apothekerinnen und Apotheker? Ist das auch in Österreich ein Thema?

Burggasser: Das ist bei uns schon immer ein Thema gewesen. Wir haben bei 5200 Apothekern in unserem Land bei der Frühjahrs- oder Herbsttagung jeweils um die 1000 Kolleginnen und Kollegen, die daran teilnehmen. Daran sehen Sie, wie groß das Interesse an Fortbildung ist. Daneben laufen noch sehr viele Fortbildungen auf lokaler Ebene, wo die Bundesländer selbst Fortbildungsabende für ihre Mitglieder organisieren. Darüber hinaus starten wir jetzt eine Offensive "Lernen und punkten", wo wir Wissen für die Beratung des Kunden vermitteln und auffrischen und mit Tests überprüfen.

DAZ: In Deutschland werden Apotheken nicht selten durch kritische Fernsehmagazine oder durch die Stiftung Warentest überprüft. Ist dieses Phänomen auch in Österreich festzustellen?

Burggasser: Das gibt es zeitweise auch bei uns. Wir haben den VKI, den Verein für Konsumenten-Information, der in der Regel einmal im Jahr auch die Apotheken testet. Die Tests schauen wir uns natürlich genau an, vor allem, mit welchem Ziel sie durchgeführt wurden. Dennoch, wir können immer noch besser werden und uns immer wieder selbst überprüfen.

DAZ: Herr Burggasser, ich möchte gerne auf den Begriff des Arzneimittelsicherheitsgurts zurückkommen, den Sie erwähnten. Was versteht man in Österreich unter diesem Begriff?

Burggasser: Es handelt sich hier um einen Check auf Wechselwirkungen, Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Komplikationen zwischen verordneten und in der Selbstmedikation erworbenen Arzneimitteln. Die Patientendaten, die Arzneimittelkäufe und Verordnungen werden hierfür in der Apotheke computergestützt erfasst.

Die Bundesgesundheitskonferenz hat den Sozialversicherungsträgern den Auftrag erteilt, dass wir gemeinsam mit der Ärztekammer und den Spitälern diesen Arzneimittelsicherheitsgurt, wie wir dieses System nennen, verstärkt umsetzen.

Alle Medikamente, die ein Patient von verschiedenen Ärzten verschrieben bekommt oder privat kauft, werden in der Apotheke gespeichert. Mit diesen Informationen kann ein persönliches Medikamentenprofil erstellt werden. Mögliche Wechselwirkungen des Medikamenten-Mixes werden durch die Sicherheits-Software geprüft. Der Apotheker kann sofort beraten und warnen. Auch Doppelverordnungen werden dadurch vermieden. Zusätzlich unterstützt der Arzneimittelsicherheitsgurt die Compliance, da sich mithilfe des Programms leicht errechnen lässt, wie lange die verordnete Arzneimittelmenge reichen müsste. Die Teilnahme des Patienten ist freiwillig, er kann selbst entscheiden, ob er sich den Arzneimittelsicherheitsgurt anlegen will oder nicht.

DAZ: Wo werden die Daten gespeichert und wie erfolgt der Zugriff?

Burggasser: Die Daten werden über die Apotheken in der pharmazeutischen Gehaltskasse, unserem sozialen Verrechnungsinstitut, abgespeichert. Arzt und Apotheker können darauf zugreifen, wenn sie der Patient dazu ermächtigt. Dies geschieht über die eCard des Patienten, die als Schlüsselkarte funktioniert.

DAZ: Läuft das System schon bundesweit in Österreich?

Burggasser: Nein, wir sind gerade im Aufbau. Vom Ministerium wurde Geld für das e-Medikationssystem zur Verfügung gestellt.

DAZ: Herr Burggasser, vor dem Hintergrund der europäischen Entwicklungen: Wo hat in Zukunft die Apotheke in Österreich ihren Platz? Wo soll es hingehen? Ihre Vision, bitte.

Burggasser: Ich glaube, dass die Apotheke in der Begleitung der Behandlung eine größere Bedeutung erlangen wird. Das Fachwissen der Apotheker sollte für den Bereich der Therapie stärker genutzt werden. Die Ärzte sollten sich bei der Auswahl der Arzneimittel mehr mit den Apothekern beraten. Es wäre gut, wenn die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker verstärkt würde. Als Herausforderung für die Zukunft sehe ich: Wie kann man das Wissen der Apotheker stärker für das Gesundheitswesen nutzen.

DAZ: Herr Burggasser, vielen Dank für das Gespräch!

Apothekenwesen in Österreich (Stand 2007)

1233 öffentliche Apotheken (eine öffentliche Apotheke versorgt 6739 Einwohner)
18 Filialapotheken (eine öffentliche Apotheke darf maximal 1 Filiale betreiben)
46 Krankenhausapotheken
962 ärztliche Hausapotheken
4991 Apothekerinnen und Apotheker üben in Österreich ihren Beruf aus (der Frauenanteil liegt bei 78%).Dies bedeutet 1666 Einwohner pro Apotheker.
5230 pharmazeutisch-kaufmännische Assistentinnen
3545 sonstige Beschäftigte.
Insgesamt waren 2007 13.766 Personen in Österreichs Apotheken beschäftigt; der Frauenanteil liegt damit in Österreichs Apotheken bei 90%.

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