Arzneimittel und Therapie

Degarelix zur Behandlung des hormonabhängigen Prostata-Ca

Der GnRH-Antagonist Degarelix ist seit Juni 2009 unter dem Namen Firmagon® in Deutschland erhältlich und ist zur Behandlung des fortgeschrittenen hormonabhängigen Prostatakarzinoms zugelassen. Er ermöglicht eine schnelle, deutliche und lang anhaltende Testosteron-Suppression und PSA-Reduktion und ist dabei gut verträglich.
Antagonisten von Gonadorelin (auch GnRH, Gonadoliberin oder LHRH) wie das neue Degarelix (Firmagon®) blockieren sofort und kompetitiv die hypophysären LHRH-Rezeptoren. Dadurch kommt es zu einem schnellen und reversiblen Abfall der Gonadotropine und Androgene. Gonadorelin-Agonisten senken die ­Testosteronspiegel im Blut innerhalb weniger Tage auf Kastrationsniveau.

Das Prostatakarzinom steht in Europa mit jährlich ca. 240.000 Neuerkrankungen an erster Stelle der malignen Tumore des Mannes. In Deutschland sind es alleine 60.000 Männer, wobei das mittlere Erkrankungsalter bei 69 Jahren liegt. Wenn der Tumor durch eine Prostatektomie oder Bestrahlung nicht mehr entfernt bzw. zerstört werden kann oder sich bereits Metastasen gebildet haben, wird der Patient einer endokrinen Therapie zugeführt.

Schlüsselrolle des Testosterons

Das Prinzip einer Hormontherapie ist das Ausschalten der Testosteronproduktion. Der Androgendeprivation kommt bei der Behandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem und metastasierendem Prostatakarzinoms große Bedeutung zu, da Testosteron einen wesentlichen Einfluss auf die Proliferation von Tumorzellen in der Prostata hat. Die Testosteronproduktion wird über die Peptidhormone GnRH (Gonadotropin-releasing Hormon) und LH (Luteinisierendes Hormon) reguliert: GnRH stimuliert die Freisetzung von LH und weiterer Follikel-stimulierender Hormone aus der Hypophyse. LH seinerseits regt die Testosteronsynthese an. Im Zytoplasma der Zielzellen in der Prostata bindet Testosteron an die Androgenrezeptoren. Dies geschieht zum einen direkt, aber auch indirekt, indem Testosteron in 5α-Dihydrotestosteron umgewandelt wird, das eine deutlich höhere Bindungsaffinität zu den Androgenrezeptoren besitzt. Der Testosteronrezeptorkomplex dringt in den Zellkern ein und beeinflusst dort die Genexpression.

Androgenentzug mittels Hormontherapie

Ziel der Hormontherapie ist die Hemmung der androgen vermittelten Tumorzellstimulation des Prostatakarzinoms. Dabei gilt ein Erreichen des Kastrationsbereiches mit Testosteronwerten unter 0,2 ng/ml als Zielwert der androgendepriven Therapie. Dieser kann auf zwei Weisen erreicht werden. Zum einen durch die Entfernung der Hoden (Orchiektomie), die das Hormon produzieren, und zum anderen durch die Gabe von Hormonen, die das für das Karzinomwachstum verantwortliche Testosteron hemmen.

Bis in die 80iger Jahre war die operative Kastration der Goldstandard in der Behandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem und metastasierendem Prostatakarzinom. Der Vorteil der Entfernung der Hoden liegt darin, dass es sich um eine einmalige Maßnahme handelt und der Testosteronspiegel innerhalb weniger Stunden abgesenkt wird. Doch aufgrund der psychischen Belastungen und der einhergehenden erektilen Dysfunktion wird diese Methode heute kaum noch angewendet.

Hormonentzug mit Agonisten

Stattdessen wird inzwischen der medikamentöse Androgenentzug eingesetzt, wobei zunächst LHRH-Agonisten wie beispielsweise Leuprorelin, Goserelin oder Buserelin alleine oder in Kombination mit einem Antiandrogen wie z. B. Bicalutamid, Flutamid oder Cyproteronacetat zur Anwendung kamen. Bei den LHRH-Agonisten handelt es sich um chemische Substanzen, die dem Testosteron-steuernden Hormon GnRH sehr ähnlich sind, aber eine höhere biologische Wirkung haben. Sie binden nicht-kompetitiv an die entsprechenden LHRH-Rezeptoren in der Hypophyse und bewirken zunächst eine vermehrte Ausschüttung der Gonadotropine. Diese initiale Überstimulation von LH führt zu einer gesteigerten Testosteronproduktion. Dieser sogenannten Testosteron-Surge erhöht aber nicht nur das Risiko des unerwünschten Tumorwachstums, sondern kann auch dazu führen, dass krankheitsbedingte Beschwerden zunehmen (Flare-Symptomatik). Unter Folgeinjektionen werden Microsurges, also kurzfristige Testosteronerhöhungen beobachtet, welche die Krankheitsprogression beschleunigen und somit die Gesamtüberlebenszeit verschlechtern könnten.

GnRH-Antagonisten als neue Therapieoption

Mit den neuen GnRH-Antagonisten, auch GnRH-Blocker genannt, steht jetzt eine alternative Therapieoption zu Verfügung. Gegenüber den LHRH-Agonisten haben die Antagonisten den Vorteil, dass sie keinen Testosteron-Surge induzieren. GnRH-Blocker blockieren die GnRH-Rezeptoren kompetitiv in der Hypophyse, die das LH sowie FSH ausschütten. Da die Blocker die Rezeptoren im Gegensatz zu den Agonisten blockieren und sie nicht initial stimulieren, tritt die Wirkung der GnRH-Blocker sofort ein. Die Gonadotropinausschüttung wird dadurch sofort direkt blockiert und der Testosteronspiegel im Serum sinkt innerhalb weniger Tage nach Therapiebeginn deutlich und anhaltend ohne initialen Testosteronschub ab – ähnlich, wie dies von der Orchiektomie bekannt ist.

Überzeugende Studienergebnisse mit Degarelix

Daten aus der Phase-III-Studie, die über zwölf Monate mit 610 Prostatakarzinom-Patienten durchgeführt wurde, belegen, dass der neue GnRH-Antagonist Degarelix (Firmagon®) im Vergleich zu Leuprorelin 7,5 mg eine signifikant schnellere Testosteronsuppression und PSA-Reduktion bewirkt. Das neue Medikament hat gegenüber LHRH-Analoga den Vorteil, dass es keinen initialen Testosteronanstieg hervorruft. Bis zum Tag 3 der Studie waren die Testosteronwerte bei 96,1% der Patienten in den beiden Degarelix-Armen der Studie auf ≤ 0,5 ng/ml (das Kastrationsniveau, das für die Zulassung Voraussetzung ist) gesunken, verglichen mit 0% im Leuprorelin-Arm. Die niedrigen Testosteronwerte konnten über die gesamte Studiendauer aufrecht erhalten werden, ohne dass Microsurges oder sogenannte Breakthrough-Escapes beobachtet wurden. Der mediane Testosteronwert lag bei 0,08 ng/ml. Unter dem GnRH-Blocker wird der PSA-Wert ebenfalls signifikant schneller als unter Leuprorelin abgesenkt, die niedrigen Werte werden über die gesamte Studiendauer aufrechterhalten. Eine explorative Folgeanalyse der Zulassungsstudie zeigt, dass bei Patienten unter Degarelix (240/80 mg) der Zeitraum des PSA-progressionsfreien Überlebens signifikant länger als unter Leuprorelin ist.

Erfahrungen aus der Praxis

Degarelix verfügt durch die zuverlässig schnelle, deutliche und lang anhaltende Senkung des Testosteronspiegels ohne initialen Testosteronanstieg sowie durch die lang anhaltende PSA-Reduktion genau über die für einen Therapieerfolg entscheidenden Eigenschaften. Die Behandlung mit dem neuen GnRH-Blocker bietet sich besonders bei Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung mit und ohne Metastasen an, da keine Flare-Symptomatik auftritt und auf eine initiale Begleitmedikation mit einem Antiandrogen verzichtet werden kann. Besonders bei Patienten mit Metastasen können die initial erhöhten Testosteronspiegel eine Verschlechterung der klinischen Situation bewirken.

Gute Verträglichkeit

Degarelix ist nach Studienlage gut verträglich. Es gibt keine Belege für systemische allergische Reaktionen vom Soforttyp. Die meisten unerwünschten Wirkungen, die bei der Behandlung auftreten, sind auf den Androgen-Entzug zurückzuführen. Zu den häufigsten beobachteten Nebenwirkungen, vergleichbar der LHRH-Agonisten, gehören Hitzewallungen, Gewichtszunahme, Rückenschmerzen und Bluthochdruck.

Ausblick

Aktuell ist ein umfangreiches klinisches Phase-IIIb-Studienprogramm gestartet, im Rahmen dessen unter anderem der therapeutische Nutzen von Degarelix bei der intermittierenden Therapie überprüft wird. Bei der Intermittierenden Hormontherapie wechseln mehrmonatige Behandlungsphasen mit therapiefreien Intervallen ab. Während dieser Intervalle wird regelmäßig der PSA-Wert kontrolliert, um zu überprüfen, ob der Tumor wieder weiter wächst. Steigt der PSA-Wert in der therapiefreien Zeit, so beginnt man erneut mit der Hormon-Therapie. Ein Vorteil dieser Behandlung ist, dass die Patienten in den therapiefreien Intervallen nicht unter den Nebenwirkungen der Hormontherapie leiden, was zu einer Steigerung der Lebensqualität führen kann.

 

Quelle

Prof. Dr. Kurt Miller, Berlin; Dr. Christoph Rüssel; Prof. Johannes Maria Wolff, Viersen: "Neue Ära in der Behandlung des hormonabhängigen Prostatakarzinoms. Der Kreis schließt sich: erster weltweit eingeführter GnRH-Rezeptor-Blocker", Hamburg, 14. Mai 2009, veranstaltet von der Ferring Arzneimittel GmbH, Kiel.

 

 

Apothekerin Gode Meyer-Chlond

 

 

Steckbrief: Degarelix

Handelsname: Firmagon
Hersteller: Ferring Arzneimittel GmbH, Kiel
Einführungsdatum: 1. Juni 2009
Zusammensetzung: Jede Durchstechflasche enthält 80 bzw. 120 mg Degarelix (als Acetat). Nach Rekonstitution enthält jeder ml Lösung 20 bzw. 40 mg Degarelix. Sonstige Bestandteile: Pulver: Mannitol (E 421); Lösungsmittel: Wasser für Injektionszwecke.
Packungsgrößen, Preise und PZN: Firmagon 80 mg: 1 Durchstechflasche, 204,53 Euro, PZN 9043258. Firmagon 120 mg: 2 Durchstechflaschen, 340,95 Euro, PZN 9043241.
Stoffklasse: Hormon-Antagonisten. ATC-Code: L02BX02.
Indikation: Gonadotropin-Releasing-Hormon-(GnRH)-Antagonist zur Behandlung von erwachsenen männlichen Patienten mit fortgeschrittenem hormonabhängigem Prostatakarzinom.
Dosierung: Zu Beginn: zweimal 120 mg als subkutane Injektionen in den Abdominalbereich; Erhaltungsdosis: einmal monatlich 80 mg subkutan. Die erste Erhaltungsdosis sollte einen Monat nach der Anfangsdosis gegeben werden. Da Degarelix keinen Testosteronanstieg induziert, ist die zusätzliche Gabe eines Antiandrogens zu Beginn der Therapie nicht erforderlich.
Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile.
Nebenwirkungen: Sehr häufig: Hitzewallungen, unerwünschte Ereignisse an der Injektionsstelle. Häufig: Schlaflosigkeit; Schwindelgefühl, Kopfschmerzen; Übelkeit; erhöhte Lebertransaminasen; Hyperhidrose (inkl. Nachtschweiß); Schüttelfrost, Pyrexie, Asthenie, Müdigkeit, grippeähnliche Symptome.
Wechselwirkungen: Da eine Androgen-Deprivationstherapie das QTc-Intervall verlängern kann, ist die gleichzeitige Anwendung von Degarelix mit Arzneimitteln, die das QTc- Intervall verlängern, oder Arzneimitteln, die Torsades de pointes hervorrufen können, sorgfältig abzuwägen.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Da eine Langzeit-Androgen-Deprivationstherapie das QT-Intervall verlängern kann, muss bei Patienten mit korrigiertem QT-Intervall über 450 ms in der Vorgeschichte und bei Patienten mit einer Vorgeschichte von oder Risikofaktoren für Torsades de pointes das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Degarelix sorgfältig abgewogen werden. Während der Behandlung sollte die Leberfunktion von Patienten mit bekannten oder Verdacht auf Lebererkrankungen überwacht werden. Vorsicht ist bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung angezeigt. Es ist zu erwarten, dass eine Langzeit-Testosteronsuppression bei Männern Auswirkungen auf die Knochendichte hat. Bei Diabetikern sollte während der Androgendeprivationstherapie der Blutzucker häufiger kontrolliert werden. Müdigkeit und Schwindelgefühl sind häufig auftretende Nebenwirkungen, die die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit, Maschinen zu bedienen, beeinträchtigen können.

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