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Lehren aus Luxemburg

Am letzten Montag war es so weit: Als Konsequenz aus dem Apotheken-Urteil des Europäischen Gerichtshofs sah sich das Gesundheitsministerium des Saarlandes gezwungen, die Betriebserlaubnis für die DocMorris-Filialapotheke in Saarbrücken mit sofortiger Wirkung zurückzunehmen. Leicht ist das ihrem Fremdbesitz-Chefideologen, CDU-Staatssekretär Wolfgang Schild, offensichtlich nicht gefallen. Er gibt sich in der Sache betont uneinsichtig und tritt in Richtung Luxemburg nach. Aber das sollte uns nicht stören: Die Apotheke in der Kaiserstraße ist geschlossen, der Spuk ist vorbei – und damit auch der dreiste Versuch, mittels eines "Spiels über die Brüsseler Bande" Rechtspolitik zu betreiben. Dabei wollten die Heckens, Schilds und Oesterles doch so gerne (Apotheken-)Geschichte schreiben. Weder Zeit noch Geld hatten sie gescheut, das bestehende Apothekenrecht – am Bundesgesetzgeber vorbei - aus den Angeln zu heben. Unterstützt wurden die kreativen Zerstörer dabei von einem eng vernetzten Propaganda-Tross tatsächlicher und selbst ernannter "Experten": kein Managementkongress ohne die immergleichen Gesichter, kein Apotheken-Forum ohne die stereotype Botschaft: das Approbationsgebot für Apotheken-Eigentümer ist ein alter Standeszopf, den spätestens der EuGH abschneiden wird. Deregulierung, Liberalisierung, Marktöffnung stehen auf der Tagesordnung. Das Ziel der Ketten-Lobby war klar: Unsicherheiten verbreiten, Zweifel säen und die heilberuflichen Arzneimittelversorgungssysteme in Europa sturmreif schießen. Ob Glaeske/Chatzimarkakis/Bender oder Koenig/Streinz/Herrmann – die Spektren der Kettenfans waren (und sind) buntscheckig, ihre Koalitionen ebenso eigenwillig wie in sich inkompatibel.

Von alledem ließen sich die 16 Richter des EuGH nicht beeindrucken. Präzise, klar und eindeutig schlagen sie dem Gesundheits- und Verbraucherschutz eine breite Gasse. Der absurden Gleichsetzung Pille = Brille erteilen sie eine Absage und überlassen es den Mitgliedstaaten, selbst zu bestimmen, auf welchem Niveau der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zu gewährleisten ist. Ohne Wenn und Aber erklären sie Fremdbesitzverbote im Gesundheitswesen für rechtens – auch im Apothekenbereich. Ihre Botschaft: Nicht überall gilt das Primat der Ökonomie und des "freien" Binnenmarktes. Der EuGH hat, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung pointiert feststellt, mit seinem Urteil ein Kapitaldelikt am Apothekenwesen verhindert.

Was sind die Lehren, die aus dem Luxemburger Urteil zu ziehen sind?

Zunächst: Kämpfen lohnt sich und es lohnt sich, Kurs zu halten – auch gegen einen übermächtig erscheinenden Gegner und einen vermeintlichen Zeitgeist (dass sich letzterer schnell drehen kann, zeigt die weltweite Finanzkrise). Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs hat auf überzeugende Weise der Versuchung widerstanden, im Bereich des Gesundheitswesens dem Mantra der Deregulierung zu erliegen. Die Entscheidung ist eine schallende juristische Ohrfeige für die lautstarke Schar unter den Europarechtsspezialisten und Auftragsgutachtern, die das anmaßende Vorgehen des saarländischen Gesundheits- und Justiz(!)ministeriums im Fall Hecken/Schild/DocMorris rechtlich zu legitimieren versuchten. Sie stehen ziemlich nackt da, nachdem jetzt auch von höchster gerichtlicher Stelle festgestellt wurde: Die Betriebserlaubnis für die DocMorris-Fremdbesitzapotheke hätte von Anfang an nie und nimmer erteilt werden dürfen. Zunächst mit DocMorris in einer geheimen innerministeriellen Arbeitsgruppe über die Erteilung der Betriebserlaubnis für eine Fremdbesitzapotheke zu kungeln, um dann als bloße Verwaltungsbehörde per Sofortvollzug (!) Jahrzehnte altes Apothekenrecht (das Apothekengesetz mit seinem Fremdbesitzverbot ist 1960 in Kraft getreten) unangewendet zu lassen, ist nicht nur materiell-rechtlich ein starkes Stück, sondern auch rechtsstaatlich ein Skandal. Kann er ohne politische Konsequenzen bleiben?

Das Luxemburger Urteil zeigt aber auch: Richter lassen sich überzeugen, wenn unsere Argumente nachvollziehbar sind und mit dem Erfahrungshorizont des Gerichts in Einklang stehen. Deshalb ist die EuGH-Grundsatzentscheidung nicht nur Vertrauensbeweis, sondern auch Verpflichtung für eine heilberuflich orientierte Pharmazie. Der Anspruch, dieser Verpflichtung mit Engagement und Empathie nachzukommen, darf nicht bloße Standeslyrik sein. Sie muss gelebt werden, um die Zukunft unabhängiger Apotheken und ihre gesundheitspolitische Legitimität zu sichern. Und noch etwas scheint mir im Nachhall zur Luxemburger Entscheidung bemerkenswert: In seltener Einmütigkeit haben sich am 19. Mai das Bundesgesundheitsministerium, CDU/CSU, SPD, die Linke und die FDP auch politisch gegen die Etablierung von Apothekenketten und für die unabhängige inhaberbetriebene Apotheke ausgesprochen. Wir sollten die Politik beim Wort nehmen, ihr zuhören und auf Zwischentöne achten (und ihr nicht reflexartig bloße Wahlkampfrhetorik und mangelnde Glaubwürdigkeit unterstellen). Natürlich bestätigen auch hier, siehe Saarland, Ausnahmen die Regel. Aber insgesamt gilt: Unser Standing in Öffentlichkeit und Politik ist besser als auch viele von uns selbst meinen. Seien wir selbstbewusst und suchen wir das Gespräch mit "der Politik" (auch mit den Grünen – es gibt noch eine Ära nach Biggi Bender).

Klingt das alles zu optimistisch? Vielleicht. Aber eine besonders wichtige Lehre aus dem Luxemburger Urteil lautet auch: Defätisten und Berufspessimisten – auch in den eigenen Reihen – sind schlechte Begleiter, wenn es darum geht, die Institution der unabhängigen Apotheke rechtlich und politisch sturmfest zu machen. Zuversicht macht stark. Yes we can.


Christian Rotta

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