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Kassen erstatten weniger OTC-Präparate für Kinder

Mit Inkrafttreten der neuen Arzneimittel-Richtlinie am 1. April hat es einige Einschränkungen bei der Erstattung verordneter OTC-Präparate für Kinder gegeben. Doch die schon seit April 2004 geltenden Ausschlüsse von der Erstattungsfähigkeit für Jugendliche über 12 Jahre sind ein weitaus gravierenderes soziales Problem, das die Politik sehenden Auges ignoriert
Foto: DAK

Niedergelassene Kinderärzte beurteilen die aktuellen Einschränkungen auf Nachfrage als weniger einschneidend. Trotzdem nutzte der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ) die neuen Ausschlüsse als Anlass, auf die generell unbefriedigende Situation hinzuweisen. In einer gemeinsamen Pressemeldung mit dem Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V. (BAH) bewerteten BVKJ-Präsident Dr. Wolfram Hartmann und der BAH-Vorsitzende Hans-Georg Hoffmann die Arzneimittel-Richtlinie als "eine Konterkarierung der besonderen therapeutischen Belange von Kindern und Jugendlichen". Der medizinische Versorgungsbedarf auch mit rezeptfreien Arzneimitteln werde bei diesen geschützten Patientengruppen ignoriert.

Seit Anfang April sind vor allem diverse Wirkstoffkombinationen nicht mehr erstattungsfähig, z. B. Hustenmittel, die sowohl Hustenreiz unterdrückende als auch schleimlösende und auswurffördernde Arzneistoffe enthalten. Auch Kombinationen von Analgetika mit nicht analgetischen Wirkstoffen sind von der Erstattung ausgeschlossen.

Ferner dürfen OTC-Präparate mit einem Alkoholgehalt ab 5 Vol.-% nicht mehr auf Kassenrezept verordnet werden. Bei den Antidiarrhoika für Kinder wird Tiorfan® (Wirkstoff Racecadotril) seit April nicht mehr von der GKV erstattet.

Auswirkungen für die Apotheke?

Welche Auswirkungen ergeben sich durch die Neuregelung für die Apotheken? Das Online-Portal Apotheke adhoc befürchtet "weitreichende Konsequenzen", weil die Produkte nicht mehr unter den Fixzuschlag fallen. Dabei ist sicher entscheidend, ob die Kinderärzte eine erstattungsfähige Alternative verordnen oder den Eltern ein grünes Rezept schreiben. Im letzteren Fall dürften nicht wenige Familien aus finanziellen Gründen auf das Mittel verzichten.

Von der ABDA war zu der Frage bislang keine Bewertung zu erhalten. Mit Blick auf den "Tag der Apotheke" 2009, der unter dem Motto "Von klein auf in besten Händen" steht, ist das etwas enttäuschend.

Die Lage bleibt kritisch

Auch wenn sich die Lage bei den bis zwölf Jahre alten Patienten nicht wesentlich verschärft haben mag, so besteht doch gerade für jugendliche Allergiker und Neurodermitiker nach wie vor eine gefährliche soziale Schieflage. Wer sich die Kosten für freiverkäufliche Antihistaminika nicht leisten kann, muss in der Pollensaison mit den teils gravierenden Symptomen leben, ist oft nicht schulfähig und riskiert zudem eine dauerhafte Asthmaerkrankung.

Auch die für Neurodermitiker notwendige Basispflege wird seit 2004 für Jugendliche nicht mehr von den Kassen übernommen. Sozial schwache Familien sind mit den Kosten häufig überfordert. Die medizinische Versorgung ist in diesem Bereich weder ausreichend noch sozial!

Bitte schreiben Sie uns Ihre Meinung und Erfahrungen zu diesem Thema – sei es aus pharmazeutischer Sicht, sei es als betroffener Elternteil: presse@adexaonline.de.

Dr. Sigrid Joachimsthaler

 

Spätfolgen garantiert
Welcher Unterschied besteht zwischen einem Zwölf- und einem Dreizehnjährigen hinsichtlich seines Bedarfs an Arzneimitteln oder seinen finanziellen Möglichkeiten? Sollen die Jugendlichen etwa in den Ferien jobben, um sich ihre Antihistaminika aus eigener Tasche kaufen zu können? Für die betroffenen Familien ist es eine Zumutung, für ihre heranwachsenden Kinder, die in der Regel noch nicht über ein eigenes Einkommen verfügen, dreistellige Beträge pro Pollensaison aufzubringen.
Hier werden Erkrankungen bagatellisiert und die unausweichlichen Spätfolgen heruntergespielt – ein sozialpolitischer Missstand, der immer wieder angeprangert gehört.
Auch wenn der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller sicher nicht uneigennützig argumentiert, wäre ein klares Wort von unserer Standesvertretung zu dem andauernden Ärgernis wünschenswert.
Barbara Neusetzer

Willkürliche Grenze
Durch den Wegfall von Kombinationen oder alkoholhaltigen Arzneimitteln für Kinder kommt es nicht zu einer pharmazeutischen Unterversorgung. Diese Präparate sind überwiegend verzichtbar. Der eigentliche Skandal ist der generelle Wegfall der nichtverschreibungspflichtigen AM aus der Verordnung und die willkürliche Festsetzung der Altersgrenze auf zwölf Jahre! Durch die weitere Einschränkung der Erstattungsfähigkeit sollen Eltern allmählich daran gewöhnt werden, auch für ihre Kinder ein "grünes Rezept" zu akzeptieren.
Ähnliches passiert schon durch die Änderung der Erstattung bei Medizinprodukten (z.B. Kochsalznasentropfen, Läuseshampoos, Pflegecremes für Neurodermitiker). Da nur noch die Positivliste für Medizinprodukte gilt, wird das gewohnte Präparat oft nicht mehr erstattet. Ärzte nehmen sich oft nicht die Zeit, die erstattungsfähigen Alternativen herauszusuchen. Wohl den Eltern, die eine Stammapotheke haben, die das für sie erledigt und mit dem Arzt Kontakt aufnimmt!
Elfriede Hoffmann

Sparen am falschen Ende
Als Ersatz für manche der jetzt ausgeschlossenen Arzneimittel – wie Kombinationen von Analgetika oder Hustenwirkstoffen und alkoholhaltige Arzneimittel – gibt es sinnvollere Präparate. Alle anderen in der Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossenen Arzneistoffgruppen sollten erstattungsfähig bleiben, da sie auch bei den Kindern einen hohen Leidensdruck lindern können – das gilt für Antidiarrhoika, Antihypotonika und Karminativa sowie für sinnvolle AM-Kombinationen. Wie auch bei Erwachsenen besteht sonst die Gefahr schwerwiegender Folgekrankheiten, die i.d.R. eine höhere finanzielle Belastung der Kassen bedeuten.
Mit der Nichterstattungsfähigkeit wird auch impliziert, dass diese Arzneimittel "nicht so gut wirken", weil die Kasse diese nicht mehr bezahlt. Die Information der Betroffenen wird dann wieder von den Apotheken geleistet – kostenlos, versteht sich.
Ulrike Fecke

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