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DNA-Analysen in Forensik und Populationsgenetik

Der genetische Fingerabdruck ist in der Gerichtsmedizin schon länger etabliert. Neuerdings lassen sich durch Genom-Analyse auch Haut- und Augenfarben von unbekannten Tatverdächtigen mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen. Das nächste Ziel ist ein Phantombild des ganzen Menschen.

Schritt für Schritt offenbart das Genom des Menschen seine verborgenen Informationen. Aus nahezu jeder biologischen Substanz, aus einer frischen Speichelprobe ebenso wie aus einem Knochen des vor 5000 Jahren gestorbenen Eismannes Ötzi, lässt sich intakte DNA extrahieren. Das sind ideale Bedingungen für die forensischen Genetiker, um unbekannte Täter und Opfer zu identifizieren. Seit der Einführung des genetischen Fingerabdrucks (DNA-Fingerprinting oder DNA-Typisierung) Mitte der 1980er Jahre ist dieses Fachgebiet in starkem Aufwind. Für Vaterschaftsnachweise und den Abgleich von Tatortspuren mit Tatverdächtigen ist es eine ideale Technologie. Doch nun scheint die Zeit gekommen für ein neues Fernziel. Es lautet: DNA-Phantombild! Aus einer genetischen Spur soll ein Gesicht konstruiert werden.

Seit einigen Jahren schon wird versucht, einzelne äußere Merkmale des Menschen aus dem Buchstabensalat des Genoms herauszukitzeln. Die in riesigen und stetig wachsenden Gendatenbanken schlummernden DNA-Sequenzen fordern es geradezu heraus. Theoretisch können alle Gene, die die mehr als hundert Gesichtsmerkmale codieren, identifiziert werden. Doch die meisten Eigenschaften werden quantitativ, also von mehreren Genen vererbt und nicht von einem einzigen Gen oder von zwei Genen. Dies ist ein grundsätzliches Problem.

Kopplungsanalysen

Die Bestimmung der Körpergröße ist ein anschauliches Beispiel für die große Herausforderung. Francis Galton (1822 – 1911) und Ronald Fisher (1890 – 1962) hatten die Erblichkeit der Größe bereits vor hundert Jahren nachgewiesen. Ein europäischer Mann ist im Mittel 178 cm lang, eine Frau 165 cm, mit Standardabweichungen von jeweils 7%. Die Größe ist zu 80% erblich bedingt, die übrigen 20% hängen von der Ernährung, von Krankheiten usw. ab. 54 für die Körpergröße mitverantwortliche Gene und 20 mit ihnen gekoppelte molekulare Marker sind mittlerweile gefunden worden. Für dieses Ergebnis waren Studien mit mehr als 60.000 Menschen und die Prüfung von 500.000 molekularen Markern erforderlich.

Bei den molekularen Markern handelt es sich um auffällige Abschnitte der nicht codierenden DNA, die jeweils mit einem bestimmten Gen gekoppelt sind und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit über viele Generationen gemeinsam vererbt werden. Dazu zählen z. B.

  • Punktmutationen (single nucleotide polymorphisms, SNPs), die in der nicht codierenden DNA viel häufiger auftreten als in Genen, und
  • Mikrosatelliten, die aus STRs (short tandem repeats) bestehen, deren Grundeinheit drei bis vier Nucleotide lang ist und sich hundertfach wiederholt (bis 1000 Basenpaare).

Je stärker das Kopplungsungleichgewicht ist (engl. linkage disequilibrium, LD, ein Maß für die nicht-zufällige Assoziation von DNA-Abschnitten), umso näher liegen Gen und Marker auf dem Chromosom beieinander, und mit umso größerer Wahrscheinlichkeit werden sie gemeinsam vererbt. Moderne Hochdurchsatz-DNA-Mikrochips mit der entsprechenden Hochleistungs-Software können die gewaltigen Datenmengen bewältigen, die zur Erstellung von Kopplungskarten notwendig sind (LD-Mapping). Tausende von Datensätzen lassen sich relativ schnell als Marker für bestimmte phänotypische Eigenschaften testen.

Y-Chromosom-Typisierung

Seit einigen Jahren erweitert die intensiv betriebene Typisierung des Y-Chromosoms das Methodenarsenal. Das Y ist mit etwa 60 Mio. Basenpaaren nach dem X das kleinste Chromosom. Zwei Drittel seiner DNA bestehen aus Satelliten.

Kopplungskarten des Y-Chromosoms sind bisher vor allem bei relativ homogenen Völkern wie den Esten, Isländern oder den Yanomami-Indianern interessant. Hier geht es vor allem um die Detektion von Erbkrankheiten und Varianten des CYP-Systems. Auch Verwandtschaftsverhältnisse sowie historische Völkerwanderungen lassen sich durch LD-Mapping rekonstruieren. Für alle diese Untersuchungen ist am Institut für Rechtsmedizin an der Charité in Berlin eine Y-STR-Haplotypenreferenzdatenbank eingerichtet worden.

Erstmals wurde 1992 ein STR-Polymorphismus des Y-Chromosoms beschrieben: DYS19. Mittlerweile kennt man mehr als zehn davon mit teilweise Hunderten oder Tausenden Varianten (Allelen). Diese sind bei den einzelnen Völkern unterschiedlich verbreitet und werden weltweit erforscht. So haben sich 30 Labore aus 13 Ländern am Forensic Y-User Workshop 2004 in Berlin beteiligt. 3825 DNA-Proben von Männern aus 48 Völkern wurden typisiert und die Sequenzen der verschiedenen Allele ermittelt. Das Ergebnis für DYS19 lautet: Die Eskimos tragen Allel 13, die Westsamoaner Allel 16, die Europäer und Inder Allel 14, alle anderen Allel 15.

Stammbäume entstehen

Die Daten lassen sich mit Programmen wie AMOVA (Analysis of Molecular Variance) statistisch auswerten. So errechnet die Phi-Statistik die genetischen Unterschiede zwischen Völkern oder Bevölkerungsgruppen. Nur zehn Marker reichen aus, um Personen mit europäischer, asiatischer und afrikanischer Herkunft zu differenzieren. Manfred Kayser ist schon einen Schritt weiter. Der aus Berlin stammende Professor für forensische Molekularbiologie in Rotterdam hat im letzten Jahr Marker entdeckt, die die Abstammung eines Menschen aus Nord-, Süd-, West- oder Osteuropa belegen, und erstellt eine genetische Landkarte Europas.

Ein Nebenaspekt der Y-Haplotypenforschung ist die Suche nach "Adam". Nach aktuellen Analysen hat der jüngste gemeinsame Vorfahre aller jetzt lebenden Männer vor 60.000 bis 90.000 Jahren in Afrika gelebt. Damit wäre "Adam" mehr als 80.000 Jahre jünger als "Eva", die auf der Basis mitochondrialer DNA berechnet wurde.

Blaue Augen, rote Haare

In der Forensik geht es darum, das Aussehen eines Menschen aufgrund der DNA-Spur abzuschätzen. Hat er blaue oder braune Augen, rote oder schwarze Haare? Auch der Augenabstand oder angewachsene Ohrläppchen sollen irgendwann mit einer sinnvollen Wahrscheinlichkeit geschätzt werden können.

Bei der Schätzung der Augenfarbe sieht es viel besser aus als bei der Körperlänge. Die physische Basis ist die Menge an Melaninpigmenten und die Zahl der Melanosomen in der obersten Schicht der Iris. Eine braune Iris enthält mehr Pigmente und Melanosomen bei etwa der gleichen Anzahl Melanozyten. Die verantwortlichen Gene liegen auf Chromosom 15. Sie codieren entweder das braunschwarze Eumelanin oder das rotgelbe Phäomelanin. Starken Einfluss hat die Genregion OCA2. Doch Kayser hat mit HERC2C ein relevantes Gen außerhalb dieser Region gefunden und kann anhand der DNA mit 90%iger Wahrscheinlichkeit schätzen, ob eine Person blaue oder braune Augen hat. Für graue, grüne und hellbraune Augen erreicht er eine 75%ige Wahrscheinlichkeit.

Ähnlich ist die Situation bei der Hautfarbe. Hier gibt es Variationen sowohl innerhalb als auch zwischen Populationen. Mindestens acht Gene sind an der Pigmentierung beteiligt. Zwei weitere Gene sind lokalisiert worden, die für lichtempfindliche Haut und die Bildung von Sommersprossen verantwortlich sind. Bei der Haarfarbe kann Kayser derzeit nur rote Haare detektieren. Aber noch in diesem Jahr sollen braune und blonde Personen erkennbar werden.

Gesetzliche Regelungen

In Deutschland sind mittlerweile mindestens 700.000 DNA-Proben gespeichert, allerdings nur von Kapital- und Sittlichkeitsverbrechern und Serientätern. Großbritannien hat bereits etwa 4 Millionen DNA-Proben; von jedem Inhaftierten werden sie automatisch genommen und bleiben auch gespeichert, wenn er unschuldig ist. Mittlerweile wird sogar vorgeschlagen, jeden Bürger genetisch zu erfassen. Dagegen darf in Frankreich niemand gezwungen werden, eine DNA-Probe abzugeben. Doch die vom Tatverdächtigen ausgedrückte Zigarettenkippe kann ohne Weiteres mitgenommen und der enthaltene Speichel zur DNA-Analyse genutzt werden. In Italien wehrt man sich noch gegen DNA-Datenbanken. Die Furcht vor intimen Kenntnissen, beispielsweise über das noch bevorstehende Lebensalter oder über drohende Erkrankungen, ist groß.

In Deutschland dürfen außer dem Geschlecht keine genetischen Informationen zum Aussehen der Tatverdächtigen vor Gericht verwendet werden. Ganz anders in den Niederlanden. Kayser rechtfertigt dies so: Es gehe nicht nur darum, Personen zu verhaften, die dem DNA-Phantombild des mutmaßlichen Täters entsprechen, sondern auch darum, Personen aus dem Kreis der Verdächtigen auszuschließen. 

 

Literatur

Röwer L et al. Signature of recent historical events in the European Y-chromosomal STR haplotype distribution. Hum Genet 2005;116:279-291.

Visscher P. Sizing up human height variation. Nat Genet 2008;40:489-490.

Lao O et al. Proportioning Whole-Genome Single-Nucleotide-Polymorphism Diversity for the Identification of Geographic Population Structure and Genetic Ancestry. Am J Hum Genet 2006;78:680-690.

Han L et al. A Genome-Wide Association Study Identifies Novel Alleles Associated with Hair Color and Skin Pigmentation. PLoS Genetics, Vol. 4, 5, 1-10, Mai 2008.

Berns E. Statistische Probleme der forensischen DNA-Analyse. Diplomarbeit, Ruhr-Universität Bochum, 2006.

Kayser M et al. Three Genome-wide Association Studies and a Linkage Analysis Identify HERC2 as a Human Iris Color Gene. Am J Hum Genet 2008;82:411–423.

 

Autor

Dr. Uwe Schulte

Händelstraße 10, 71640 Ludwigsburg

schulte.uwe@t-online.de

 

 

Forensik im Netz

Der berühmteste deutsche Forensiker www.benecke.com

Forensische Molekularbiologie in Rotterdam www.erasmusmc.nl/fmb

Institut für forensische Medizin der Universität Frankfurt www.formed-ffm.de

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