Arzneimittel und Therapie

Wie ungewöhnlich und gefährlich ist das neue Virus wirklich?

Als Ende März dieses Jahres die ersten Meldungen zu einer neuen humanpathogenen Variante des Erregers der Schweinegrippe mit bereits Hunderten von Erkrankten in Mexiko erschienen, warnte die Weltgesundheitsorganisation WHO kurze Zeit später vor einer bevorstehenden Pandemie. Zwei Kinder verstarben an einer Lungenentzündung und die Grippewelle griff auf die USA über. In einer Eilaktion wurden jetzt die klinischen Daten zu den ersten 643 Patienten veröffentlicht, die bis zum 5. Mai gemeldet wurden, zudem auch Daten zum Erreger selbst.

Es war leider irgendwann zu erwarten: Seit Jahren wird von Experten auf die Gefahr hingewiesen, dass sich die Virulenz des "klassischen" Schweinegrippe-Virus H1N1 erhöhen und dass es auch den Menschen befallen könne. Anfang dieser Woche war die Zahl der Schweinegrippe-Infektionen auf über 5100 Fälle weltweit angestiegen; bei 53 Menschen, die zwischenzeitlich verstorben sind, konnte das Virus nachgewiesen werden. In Deutschland wurde am 10. Mai 2009 bei einer 27 Jahre alten Frau aus Bayern der zwölfte Fall der neuen Grippe (Influenza A/H1N1) in Deutschland bestätigt. Das Robert Koch-Institut sieht derzeit für Deutschland eine gewisse Stabilisierung, nach wie vor kann aber keine Entwarnung gegeben werden, mit weiteren Erkrankungen in Deutschland muss gerechnet werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das neue Virus am 25. April 2009 als gesundheitliches Risiko von internationaler Bedeutung eingestuft, eine vergleichbare Einstufung gab es beim Auftreten von SARS 2003. Am 27. April wurde durch die WHO die pandemische Warnphase 4 und am 29. April 2009 die Phase 5 ausgerufen. Phase 5 wird charakterisiert durch eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung des Virus in mindestens zwei Staaten einer WHO-Region. Die WHO betont, dass die meisten Staaten weltweit noch nicht betroffen sind von der Neuen Grippe. Phase 6 ist definiert durch das zusätzliche Auftreten von "community level outbreaks" in zumindest einem weiteren Land in einer weiteren WHO-Region. Phase 6 würde darauf hinweisen, dass sich eine globale pandemische Situation aufbaut.

Die Besonderheiten des neuartigen Virus

Bereits 1998 wurde in North Carolina ein Virusstamm entdeckt, der ein sogenanntes "Triple-Reassortment" an genetischem Material besaß, also sowohl Komponenten von humanen Influenzaviren als auch von Schweine- und Vogelgrippeerregern. In den folgenden Jahren sind dann immer wieder derartige Viren nachgewiesen worden. Der jetzt identifizierte Virusstamm gehört ebenfalls zu dieser Gruppe, die Bezeichnung des ersten Isolats A/California/04/2009(H1N1) bestätigt: Infuenza A; Subtyp H1N1; im April 2009 in Kalifornien isoliert. Der Subtyp H1N1 war über längere Zeiten nicht als Erreger von Grippeepidemien in Erscheinung getreten, davor jedoch als Verursacher der Spanischen Grippe von 1918/19 mit mehr als 40 Millionen Toten. Zur gleichen Zeit gab es auch eine Epidemie unter Schweinen. Das neue Influenzavirus unterscheidet sich vom bekannten Schweinegrippevirus durch die Aufnahme eines zusätzlichen Virusgens. Auf der Suche nach dem Ursprung des neuen Virusstammes weisen die ersten Fälle auf eine Schweinefarm im mexikanischen Bundesstaat Veracruz; bei den Schweinen in diesem Betrieb und auch bei den dort beschäftigten Arbeitern konnte der Erreger jedoch nicht nachgewiesen werden.

Der Verlauf der aktuellen Neuen Influenza

Die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) haben nun erstmals die bisher vorliegenden klinischen Daten ausgewertet. Die aktuelle Veröffentlichung zu den klinischen Daten der bis zum 5. Mai bekannt gewordenen 642 Erkrankten weist auf einen eher milden Verlauf der Infektion hin; bei den beiden Todesfällen handelte es sich um Erkrankte mit Risikofaktoren. Das Alter der an Influenza Erkrankten lag zwischen drei Monaten und 81 Jahren; 60% waren 18 Jahre oder jünger. Die häufigsten Symptome waren mit denen einer saisonalen Grippeepidemie vergleichbar: Fieber (94%), Husten (92%), entzündeter Hals (66 Prozent), Diarrhö (25%) und Erbrechen (25%). Nur 36 (9%) von 399 Patienten wurden in einem Krankenhaus behandelt. Von 22 der Hospitalisierten, über die genauere Informationen vorlagen, wiesen zwölf Risikofaktoren auf, die auch beim Verlauf einer saisonalen Grippe Komplikationen hervorgerufen hätten: elf hatten eine Pneumonie und acht mussten auf einer Intensivstation behandelt werden. Bei den zwei verstorbenen Patienten handelte sich um einen Säugling, der an einer neonatalen Myasthenia gravis erkrankt war, einen Herzfehler (Ventrikelseptumdefekt) hatte und unter Schluckstörungen und einer chronischen Hypoxie litt sowie um eine 33 Jahre alte Frau, die in der 35. Woche schwanger war und zudem an Asthma, rheumatoider Arthritis und Psoriasis erkrankt war.

Keine Entwarnung!

Diese Daten sind jedoch kein Grund zur Entwarnung: Sie lassen noch keine Rückschlüsse auf das mögliche Potenzial des neuartigen Influenzaerregers für eine Pandemie zu, und auch der – wie es bislang scheint – vergleichsweise milde Verlauf der Erkrankung gilt nicht grundsätzlich für alle Patienten ohne Risikofaktoren. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass das genetische Material von gerade Influenzaviren erstaunlich variabel ist und dass immer wieder mit unerwarteten Überraschungen gerechnet werden muss. Zumal die Geschichte gezeigt hat, dass große Grippeepidemien bzw. -pandemien in verschiedenen Phasen abgelaufen sind, bei denen in den späteren Phasen vermehrt Menschen starben.

 

Quelle

 Novel Swine-Origin Influenza A (H1N1) Virus Investigation Team: Emergence of a Novel Swine-Origin Influenza A (H1N1) Virus in Humans; N. Eng. J. Med. 2009 (10.1056/NEJMoa0903810) v. 07.05.2009.Shinde, V. et al.: Triple-Reassortant Swine Influenza A (H1) in Humans in the United States, 2005–2009; N. Eng. J. Med. 2009 (10.1056/NEJMoa0903812) v. 07.05.2009.

 

 Situationseinschätzung zur Neuen Influenza des Robert Koch-Instituts www.rki.de, Stand 11. Mai 2009.

 

 

Dr. Hans-Peter Hanssen

 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.