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Drahtlose Stromübertragung

Die Idee der drahtlosen Stromübertragung ist hundert Jahre alt. Seit ein paar Jahren arbeiten wieder einige Wissenschaftler daran, sie zu realisieren. Am Ende soll das kabellose Haus stehen.

Mikrowellen erhitzen seit Jahrzehnten kontaktlos Speisen. Mobile Kommunikation ist heute selbstverständlich. In Zukunft soll auch die drahtlose Stromversorgung von Industrierobotern und Haushaltsgeräten Wirklichkeit werden. Die Idee kommt aus den USA und wird dort flapsig "Goodbye Wires" –auf gut deutsch "Tschüss Stromkabel" – genannt. Das erste bescheidene Ziel ist es, Handys, tragbare Rechner oder Schreibtischlampen kabellos mit Elektrizität zu versorgen. Am vorläufigen Ende soll das komplett kabellose Haus stehen, in dem weder die Bohrmaschine noch der Staubsauger sichtbar mit Strom versorgt werden.

Stromkrieg

Der Stromkrieg zwischen Edison und Tesla wurde mit aller Härte geführt. Edison ließ sogar den ausgewachsenen Elefanten Topsy öffentlichkeitswirksam mit Wechselstrom töten, um auf die Gefahren des Wechselstroms hinzuweisen.

Eine alte Idee

Die Idee der drahtlosen Stromübertragung stammt von dem genialen Ingenieur und Tüftler Nikola Tesla (1856 – 1943). Der in der Donaumonarchie im heutigen Kroatien geborene Serbe hatte zwar in Graz studiert, war aber sehr schnell in die USA ausgewandert und hatte 1891 die US-Staatsbürgerschaft angenommen. Ihm verdanken die USA die Einführung des Wechselstroms, die er im "Stromkrieg" gegen den massiven Widerstand Thomas Edisons (1876 – 1935), der den Gleichstrom favorisiert hatte, durchsetzte. Zuhilfe war ihm dabei Oskar von Miller (1855 – 1934) gekommen. Dieser hatte 1882 gemeinsam mit dem Franzosen Marcel Depréz (1843 – 1918) erstmals elektrischen Strom über eine Strecke von 60 km geschickt – von Miesbach nach München. Weltweites Aufsehen erregte von Miller 1891, als er Drehstrom von Lauffen am Neckar nach Frankfurt am Main über eine Strecke von 175 km übertrug. Dazu musste die Spannung von 55 Volt auf 15.000 Volt transformiert werden. Das bedeutete den internationalen Durchbruch für den Wechselstrom.

Tesla war weltberühmt für seine spektakulären Versuche. 1899 jagte er 40 m hohe Blitze in den Nachthimmel. Mit Spannungen von 100 Millionen Volt hatte er das Elektrizitätswerk von Colorado Springs niedergebrannt. 1898 begann er, mit Radiowellen zu experimentieren. Der Bankier John Pierpont Morgan finanzierte das Projekt, Funkwellen um die Erde zu schicken, mit 150.000 Dollar. Damit ließ Tesla auf Long Island vor New York den Wardenclyffe Tower bauen, einen 57 m hohen Radiosender. Als aber Guglielmo Marconi (1874 – 1934, Physiknobelpreis 1909) Ende 1901 die erste transatlantische Funkübertragung von Neufundland nach Cornwall in England gelang, glaubte Morgan nicht mehr an den wirtschaftlichen Erfolg von Teslas Projekt und zog sich zurück.

Der Wardenclyffe Tower wurde 1905 dennoch fertiggestellt, nun aber nicht als Radiosender, sondern mit der Absicht, von dort Strom zu versenden. Die Organisatoren der Weltausstellung von 1904 in Saint Louis hatten – bescheidene – 3000 Dollar für die erste drahtlose Stromübertragung ausgelobt, doch Tesla konnte seinen Traum nicht verwirklichen. Seine Anlage ging nie in Betrieb; der Turm wurde 1917 sogar gesprengt, angeblich wegen der Gefahr deutscher Spionage. Tesla selbst war maßlos verschuldet und musste seine Experimente einstellen. Er starb einsam und verarmt. Seine Entdeckungen und Erfindungen dienen aber noch heute als Basis für die Elektrotechnik und Signalverarbeitung.

Teslas Spule

Tesla hatte insbesondere die Teslaspule entwickelt, auch Teslatransformator genannt. Ein normaler Transformator besteht aus zwei Spulen mit Wicklungen aus Kupferdraht, die über einen Eisenkern miteinander in Verbindung stehen. Tesla entfernte den Eisenkern, der das bei Stromfluss durch die Primärwicklung entstehende Magnetfeld weiterleitet und induktiv die zweite oder Sekundärspule zur Stromerzeugung anregt. Bei angelegtem Wechselstrom wirkt das sich permanent ändernde Magnetfeld wie ein Generator.

Um die Sekundärspule ohne Eisenkern anzuregen, bedarf es hoher Frequenzen, die Tesla mit unterschiedlichen Windungszahlen erzielte. Besteht die Primärwicklung aus beispielsweise 100 Windungen und die Sekundärwicklung aus 1000, verzehnfacht sich die Spannung. Tesla arbeitete mit Frequenzen von bis zu 500 kHz und erzielte Spannungen von 100 Megavolt. An die Sekundärspule koppelte er einen Kugelkondensator. Mit diesem erzeugte er meterlange Blitze, sogenannte Koronarentladungen.

Tesla will dabei zu seinem eigenen Erstaunen festgestellt haben, dass die ausgesandten Impulse unvermindert zurückkehren, und schlussfolgerte, dass sie ähnlich wie Schallwellen in der oberen Atmosphäre reflektiert werden. Demnach postulierte er, dass sie – anders als übliche elektromagnetische Wellen – in der Ausbreitungsrichtung schwingen, ungefähr so wie sich ein Regenwurm in der Kriechrichtung zusammenzieht und streckt; dies würde jedoch den Maxwellschen Gleichungen widersprechen. Nur wissenschaftliche Außenseiter glauben heute an die Existenz elektromagnetischer Longitudinalwellen, die auch als Skalarwellen bezeichnet werden; beispielsweise ist Professor Konstantin Meyl von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Furtwangen überzeugt, dass sie aus elektrischen Potenzialwirbeln bestehen. Solche Vorstellungen spielen übrigens eine wichtige Rolle in einem esoterischen Bereich der Medizin: Die Skalarwellenmedizin behauptet, sie könne damit Krebs heilen, Tumoren "einschmelzen" oder Wasser energetisieren und ihm irgendwelche Informationen einprägen.

Nikola Tesla

Um den Ingenieur ranken sich hartnäckige Verschwörungstheorien. Der US-Geheimdienst soll beispielsweise seine Unterlagen beschlagnahmt haben, um die Öffentlichkeit nicht in den Genuss kostenloser Energie kommen zu lassen.

Zusammenspiel mit der Ionosphäre

Tesla plante die weltweite Installation von Sendern, die stehende Resonanzwellen zwischen Erdoberfläche und Ionosphäre erzeugen sollten, um die ganze Welt mit Strom zu versorgen. Drei Patente hatte er dazu angemeldet. Nach Teslas Bankrott entwickelte der Brite John Hettinger die Idee 1919 mit folgendem Konzept weiter: Auf hohen Türmen wollte er mit Quecksilberdampflampen gebündeltes UV-Licht in die Atmosphäre strahlen. Von dort sollte die Energie mittels hoher Antennen abnehmbar sein, auch für Flugzeuge und Schiffe. Er ging davon aus, dass oberhalb der atmosphärischen Luftschicht eine "strata" aus ionisiertem Plasma liegt, die elektrisch leitfähig ist. Mit dem UV-Licht wollte Hettinger die strata weiter aufladen. Die Luftschicht zwischen ihr und der ebenfalls leitenden Erdoberfläche stellte er sich als Isolator vor.

Doch auch Hettingers mit Patenten geschützte Idee versank in der Versenkung. Aus heutiger Sicht war sein Konzept falsch. Die Ionosphäre liegt oberhalb der damals nicht bekannten Stratosphäre und beginnt in etwa 160 km Höhe. Die Luft ist dort oben bereits so dünn, dass von einer effektiven elektrischen Leitung nicht gesprochen werden kann. Allerdings wurden stehende Resonanzwellen zwischen Erdoberfläche und Ionosphäre 1954 nachgewiesen, nachdem der Physiker Winfried Schumann (1888 – 1974) ihre Existenz zwei Jahre zuvor postuliert hatte.

Von der RFID zur elektronischen Warensicherung

Teslas Entdeckung, mit magnetischen Wechselfeldern drahtlos Energie zu übertragen, wurde hingegen erfolgreich weiterentwickelt. Der große Vorteil ist, dass der Empfänger das Maß der abgegriffenen Leistung selbst bestimmt. Es treten an dieser Stelle keine Energieverluste auf, während bei elektromagnetischen Wellen die ungenutzte Leistung in Wärme umgewandelt wird. Der große Nachteil magnetischer Wechselfelder ist ihre geringe Reichweite (s. u.).

1901 hatte Tesla der US-Marine vorgeschlagen, eine Technik zu entwickeln, die vor der Küste operierende Schiffe identifiziert. Möglicherweise war das die Idee der RFID (Radio Frequency Identification, Identifizierung mithilfe elektromagnetischer Wellen). Diese Technik diente im Zweiten Weltkrieg zur Erkennung von Panzern und Flugzeugen. Ende der 1960er Jahre kam das von Siemens entwickelte SICARID (Siemens Car Identification) zur Identifizierung von Eisenbahnwagen und Autoteilen auf Fließbändern hinzu. Ein weiterer wichtiger Schritt war die elektronische Warensicherung, die mittlerweile in Kaufhäusern üblich ist.

Heute werden hochfrequente magnetische Wechselfelder mit induktiver Stromübertragung bei der Erkennung von Milchkühen ebenso eingesetzt wie bei Skipässen oder elektronischen Schlössern. Die Technik besteht jeweils aus einem Transponder und einem Lesegerät. In der Regel erzeugt das Lesegerät ein elektromagnetisches Hochfrequenzfeld geringer Reichweite, vorzugsweise mit Induktionsspulen. Damit werden nicht nur Daten übertragen, sondern der Transponder wird auch mit Energie versorgt. Nur wenn größere Reichweiten erzielt werden sollen, werden aktive Transponder mit eigener Stromversorgung eingesetzt.

Witricity – wireless electricity

Zu Teslas Zeiten wären die hochfrequenten magnetischen Felder ein gesundheitsgefährdendes Problem gewesen. Heute wird es mit der gekoppelten Resonanz gelöst. Das heißt, dass nur die Empfangsantenne Energie von der Sendeantenne erhält, weil beide auf dieselbe Frequenz eingestellt sind. Alle Objekte, die nicht in Resonanz mit der Sendeantenne stehen, nehmen keine Energie auf. Allerdings beträgt der Wirkungsgrad derzeit erst 30% der konventionellen Energieübertragung durchs Stromkabel.

Marin Soljacic erforscht die "Witricity" (wireless electricity, drahtloser Strom) am Massachusetts Institute of Technology, kurz MIT, und ist mittlerweile in der Lage, eine 60-Watt-Glühbirne in ca. 2 m Entfernung von der Stromquelle zum Glühen zu bringen. Dabei müssen die beiden Spulen exakt planparallel ausgerichtet sein, damit möglichst viel Energie übertragen wird. So muss beispielsweise die Sekundärspule im Boden einer Schreibtischlampe genau über der Primärspule im Tisch liegen, und die Lampe darf nicht verschoben werden. Zudem muss die Frequenz möglichst hoch sein, ohne dass sie den ganzen Raum mit Elektrosmog verseucht.

Breiter Einsatz vielleicht in zehn Jahren

Während Soljacic mit 4 Megahertz arbeitet, beschränkt sich Axel Hoppe vom Institut für Automation und Kommunikation in Magdeburg (IFAK) auf den 100-Kilohertz-Bereich, um eine hohe Magnetfeldbelastung zu vermeiden. Er hält es für möglich, ein kabelloses Haus mit Strom zu versorgen, indem man komplizierte Spulensysteme verwendet. So könne man Spulenverschiebungen mit größeren Sekundärspulen ausgleichen. Nicht parallel ausgerichtete Stromabnehmer sind prinzipiell mit einem System aus drei Spulen in drei Achsen machbar.

Im Vordergrund stehen jedoch industrielle Anwendungen, beispielsweise Flurfördersysteme, die selbstfahrende Roboter über den Boden mit Strom versorgen, oder andere Bereiche der Robotik. Das Problem ist aber auch hier der geringe Wirkungsgrad. Die Frage ist jeweils, ob der höhere Stromverbrauch durch die Verschleißfreiheit drahtloser Systeme – keine Kabelbrüche – und sonstige Vorteile ausgeglichen wird.

Frühestens in zehn Jahren könnte Witricity großflächig zum Einsatz kommen.

 

 

Autor

Dr. Uwe Schulte

Händelstraße 10, 

71640 Ludwigsburg

schulte.uwe@t-online.de

 

 

IFAK
Kontenda – ein Unternehmen mit ersten Produkten
Marin Soljacic vom MIT
web.mit.edu/physics/ facultyandstaff/faculty/ marin_soljacic.html

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