Feuilleton

Die Rote Liste

Ein Gespräch zwischen einem Fachapotheker und einem pensionierten Oberlehrer.

Sie ist wieder da, die Rote Liste. Sie ist …

Sie meinen die Liste der bedrohten Wörter, wie Amtsschimmel, Backfisch, Chapeau Claque, Droschke, Eiertanz, Fersengeld, Gamaschen, Hahnrei, Isegrim, Junggeselle, Kaiserwetter, Larifari, Maulaffe, Nulpe, Oheim, Pantoffelheld, Quacksalber, Rauchwaren, Salbader, Trümmerfrau, Übelkrähe, Voluten, Wampe, Xanthippe, Yuppie oder Zimtzicke.

Nein, die meine ich nicht. Aber woher wissen Sie, was ein Maulaffe ist, und was verstehen Sie unter Rauchwaren?

Ich meinte nicht "Maulaffen feilhalten", d. h. dastehen und mit offenem Mund gaffen, sondern die großen, mehrere Liter fassenden Erlenmeyer-Kolben, die von Euch Apothekern zur Defektur benutzt wurden, und Rauchwaren sind nicht die fälschlicherweise so bezeichneten Tabakwaren, sondern fertig gegerbte und zugerichtete Pelze.

Was haben die denn mit Rauch zu tun, die Felle werden doch nicht geräuchert?

Der Begriff ist vom mittelhochdeutschen Wort ruoch abgeleitet, das so viel heißt wie rauh oder mit Haaren bewachsen und auch im Namen der Grimmschen Märchenfigur Allerleirauh steckt.

Kommen wir zurück zur Roten Liste, sie ist ein …

Sie ist eine Liste gefährdeter Arten, die …

Nein, die meine ich auch nicht. Meine Rote Liste ist ein Verzeichnis, …

das von der International Union for Conservation of Nature (IUCN), die 1948 in Fontainebleau gegründet wurde, jährlich veröffentlicht wird und die weltweit gefährdeten Tier- und Pflanzenarten nennt, deren Verschwinden durch menschliche Zivilisationsaktivitäten verursacht wird.

Meine Rote Liste ist ein Verzeichnis für …

gefährdete Antiken, die vom International Council of Museums (ICOM) herausgegeben wird und den Raub von oder den Schmuggel mit antiken Objekten verhindern soll. Gibt es denn noch eine andere Rote Liste?

Aber ja! Von der rede ich ja die ganze Zeit schon, besser gesagt, will ich endlich reden. Die Rote Liste ist ein Verzeichnis der in Deutschland – und teilweise EU-weit – zugelassenen Arzneimittel und bestimmter Medizinprodukte. Sie enthält Kurzinformationen zu Präparaten, die aus Fach-, Gebrauchs- und Produktinformationen erstellt werden. Sie richtet sich an medizinisch-pharmazeutische Fachkreise – Apotheker, Ärzte, Zahnärzte – mit dem Zweck, diese über im Handel befindliche Fertigarzneimittel zu informieren.

Ich für meine Person kenne außer den Roten Listen auch Gelbe Listen , z. B. die des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, eine Zusammenstellung der Verlage, die nur an den Endverbraucher per Vorkasse oder Nachnahme liefern, oder eine andere Gelbe Liste mit Vorschriften und Regelsammlungen zum Umweltschutz- und Technikrecht.

Mit einer Gelben Liste, die sich Pharmindex nennt, kann ich auch dienen. Sie ist ein Arzneimittelverzeichnis für Deutschland und wird von der Medizinische Medien Informations GmbH (MMI) in Neu-Isenburg herausgegeben. Sie enthält um die 40.000 Präparate mit allen wichtigen Informationen zu Anwendungsgebieten, Kontraindikationen, Wechselwirkungen, Nebenwirkungen, Dosierung, Packungsgrößen und Preisen. Eine Besonderheit ist die "Identa"-Suche, die eine Identifizierung von Tabletten und Kapseln anhand ihres Aussehens ermöglicht. Zusätzlich sind Informationen über die Teilbarkeit eines festen Arzneimittels enthalten.

Damit nicht genug. Wir kennen auch eine Blaue Liste, eine Graue Liste, Weiße Listen und Schwarze Listen und – um das Fass voll zu machen – sogar eine Rosa Liste. Neben der Max-Planck- oder der Fraunhofer-Gesellschaft gibt es auch eine Leibniz-Gemeinschaft (Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e. V.), die in einem Zusammenschluss deutscher Forschungsinstitute besteht und historisch betrachtet aus den "Einrichtungen der Blauen Liste" hervorgegangen ist. Die Blaue Liste bezeichnet ein Bund-Länder-Fördermodell und taucht jährlich bei der Erstellung des Bundeshaushalts auf. Der Name geht auf die blaue Farbe einer ursprünglichen Aktenanlage zurück.

Zur Grauen Liste möchte ich mal wieder zu Wort kommen. Sie nennt sich auch Homöopathische Liste und bietet Informationen zu allen homöopathischen Arzneimitteln und Präparaten alternativer Therapierichtungen. Sie umfasst derzeit über 74.000 Einträge und richtet sich an Heilpraktiker sowie Apotheker und Ärzte, die in diesem Bereich engagiert sind.

Wissen Sie eigentlich, was Arachnologen sind?

Natürlich. Das sind Menschen, die Spinnen halten oder züchten, etwas vornehmer ausgedrückt: Spinnenkundler.

Dann kennen Sie auch den Begriff Arachnophobie für Menschen die sich vor Spinnen ekeln oder fürchten.

Natürlich kenne ich das, aber ich leide nicht darunter.

Die Weiße Liste gibt Auskunft über Spinnenverkäufer oder -käufer, ihre Zuverlässigkeit und ihre Zahlungsmoral.

Im Allgemeinen bezeichnet eine Weiße Liste oder Positivliste (engl. whitelist) Personen, Firmen und Elemente, die nach Meinung der Verfasser vertrauenswürdig sind, im Gegensatz zu einer Schwarzen Liste (blacklist), die einen warnenden Charakter besitzt (Index). Eine spezielle Weiße Liste soll als Informationsplattform den Patienten helfen, das für sie am besten geeignete und am günstigsten gelegene Krankenhaus zu finden. Sie enthält einen Überblick der "Gesundheitsanbieter" und beurteilt deren Qualität.

Eine Schwarze Liste gibt Auskunft über die Luftfahrtunternehmen, gegen die in der Europäischen Union eine Betriebsuntersagung ergangen ist. Man erfährt, ob ihre Airline von der EU als unsicher eingestuft wird.

Die Schwarze Liste der Verbraucherzentrale Hamburg befasst sich mit unseriösen Anbietern von Nebenverdiensten. Sie enthält Merkmale, die betrügerische Angebote charakterisieren, und umfasst eine Warnliste von derzeit 90 unseriösen Firmen, die negativ aufgefallen sind. Darüber hinaus existieren Schwarze Listen über Pestizide, …

über bedenkliche Mieter, über Webseiten, die man nicht nutzen kann, über Fehlinformationen (Aktien), über Steuerparadiese etc. etc.

Bleibt noch zu erklären, wozu die Rosa Liste gut sein soll.

Sie war ein Verzeichnis, das von Strafverfolgungsbehörden geführt wurde und der Sammlung von Daten über tatsächliche oder vermeintliche Homosexuelle diente, um die Verfolgung von Straftaten gegen den – 1994 aufgehobenen – § 175 zu erleichtern. Weibliche Homosexuelle wurden darin nicht registriert, da sexuelle Handlungen zwischen Frauen nach § 175 nicht strafbar waren.

Doch die Zeiten haben sich geändert. So gibt es eine Rosa Liste München e. V. als schwul-lesbische WählerInnen-Initiative. Bei der Stadtratswahl am 2. Mai 1996 erreichte die Rosa Liste 1,77% der Stimmen und zog damit in das Münchner Rathaus ein.

Man(n) soll also die Hoffnung nicht zu früh aufgeben. – Was noch fehlt, ist eine Schwarze Liste über unseriöse Banken und Bänker. In der Hoffnung auf bessere Zeiten schließen wir nun den Reigen der farbigen Listen.

 

Autor

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth

Friedrich-Naumann-Str. 33, 76187 Karlsruhe

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