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Gemeinsam durch die Krise

BAD ZWISCHENAHN (tmb). Intelligente Verträge versprechen eher Erfolg bei der Begrenzung der Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel als bürokratisch bestimmte Höchstbeträge. Beim Zwischenahner Dialog am 24. April zeigten sich Vertreter aus Politik, Pharmaindustrie, Krankenkassen und Apotheken offen für eine Konsenslösung, die sich aus einem gemeinschaftlichen "Zwischenahner Prozess" ergeben könnte.
Im Krisengespräch (v.l.n.r) Dr. Ulrich Vorderwülbecke, VfA, ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf, Moderator Peter Buschmann, Birgit Fischer, stellv. Vors. der Barmer Ersatzkasse, Dr. Volker Steitz, stellv. Vors. der KV Niedersachsen.
Fotos: tmb

Die wichtigste internationale Herausforderung für die Politik ist die Bewältigung der Wirtschaftskrise, erklärte Ulrich Dietz, Ministerialrat im Bundesgesundheitsministerium. Dies erfordere massive Staatsinterventionen und werde auch die Gesundheitspolitik noch zwei bis drei Jahre beeinflussen. "Wir haben noch nie erlebt, dass die Einnahmebasis der GKV so rapide schmilzt", meinte Dietz. Die Beitragseinnahmen seien praktisch nicht mehr zu prognostizieren. Jetzt biete der Gesundheitsfonds einen großen Vorteil, weil die staatlichen Zuschüsse die Einnahmen der GKV sichern. "Nur der Fonds führt dazu, dass wir nicht schon ein Spargesetz haben", so Dietz. Allerdings sollte der staatliche Beitrag zur Liquiditätssicherung später zurückgezahlt werden. In dieser Ausnahmesituation würden in absehbarer Zeit keine Notopfer im Gesundheitswesen verlangt. Vielmehr sollten sich alle Beteiligten um einvernehmliche Lösungen bemühen.

Für den Arzneimittelbereich konstatierte Dietz, dass die Grundversorgung mit Festbetragsarzneimitteln recht erfolgreich gesteuert wird, doch gebe es eine enorme Dynamik bei patentgeschützten Arzneimitteln. Daher erwartet er eine weitere Entwicklung der Vertragsinstrumente. Rabattverträge würden auf "Me-too-Arzneimittel" mit vergleichbaren Wirkstoffen ausgedehnt. Als nächste Stufe sieht er flexible Vertragsformen zur Risikoteilung und schließlich Verträge über das komplexe Versorgungsmanagement im Sinne von Managed Care.

Dagegen forderte Prof. Dr. Günter Neubauer, München, die Patienten und Ärzte sollten selbst bestimmen, welche Leistungen eingekauft werden. Neubauer erwartet nach der Bundestagswahl ein Vorschaltgesetz zur Kostenreduzierung im Gesundheitswesen. Doch meinte Dietz, kurzfristige Kostendämpfungsmaßnahmen seien kurz nach einer Wahl ungeeignet, weil die Ausgaben dann in der Mitte der Legislaturperiode steigen.

Zwischenahner Dialog

Der Zwischenahner Dialog ist aus der früheren Fachtagung Gesundheitsökonomie entstanden und wird vom Landesapothekerverband Niedersachsen und vom Gesundheitspolitischen Arbeitskreis Nordwest der forschenden Arzneimittelhersteller veranstaltet. Am 23. und 24. April fand der 5. Zwischenahner Dialog in dem niedersächsischen Kurort statt.

Einheitspreise helfen nicht weiter

Neubauer sieht den Gesundheitsfonds als einen Schritt in Richtung auf eine staatliche Einheitskasse, weil die Krankenversicherung damit ihre Finanzhoheit verloren habe. Die Krankenkassen würden in ihrem Charakter umgewandelt, sie würden nun vom Fonds beauftragt, die Versorgung über Verträge zu organisieren. Der Staat übernehme die Verantwortung für das Geld, der Beitragssatz werde politisiert.

Diese "Verstaatlichung" solle durch eine wettbewerbliche Vertragsgestaltung kompensiert werden. Dabei stehen kollektive, selektive und exklusive Verträge nebeneinander. Neubauer kritisierte, dass auf zentraler Ebene einheitliche Preise festgelegt werden, die dann mühsam auf regionaler Ebene an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden müssten. Dies sei mit regionalisierten Kollektivverträgen ab 2010 vorgesehen. Dazu verwies er auf die grundlegende ökonomische Erkenntnis, dass einheitliche Preise ungeeignet sind. Vielmehr müssten Preise die jeweiligen Bedingungen von Angebot und Nachfrage berücksichtigen. Mit unterschiedlichen Mieten und Gehältern verursache auch die Behandlung gleicher Krankheiten an verschiedenen Orten verschiedene Kosten.

Auch Selektivverträge einzelner Gruppen von Leistungsanbietern für spezielle Versorgungsaspekte wie Modellvorhaben oder die hausarztzentrierte Versorgung bauen stets auf Kollektivverträgen auf. Doch könne die Honorierung solcher Selektivverträge problematisch werden, weil sie aus den Kollektivverträgen finanziert werden. Ein Beispiel für Exklusivverträge sind die Rabattverträge, weil sie die nicht beteiligten Pharmahersteller ausschließen. Am Konzept der Rabattverträge kritisierte Neubauer, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die optimale Preisbildung bei Ausschreibungen nicht berücksichtigt würden. So liefere eine Vickrey-Auktion (siehe Kasten) ökonomisch bessere Ergebnisse als die Vergabe zum niedrigsten Gebot.

Risikoteilung

Für patentgeschützte Arzneimittel, die nicht im Preiswettbewerb mit wirkstoffgleichen Vergleichsprodukten stehen, erscheinen Rabattverträge wenig aussichtsreich. Als Alternative werden auch international zunehmend Verträge mit Risikoteilung erprobt. Bei Cost-Sharing-Verträgen zahlen die Krankenkassen beispielsweise nur die Arzneimittelkosten bis zu einer Obergrenze pro Patient. Bei Risk-Sharing-Verträgen übernehmen die Hersteller eine Wirksamkeitsgarantie und zahlen den Arzneimittelpreis zurück, wenn der Patient innerhalb einer bestimmten Zeit eine bestimmte Komplikation erleidet, beispielsweise eine Organabstoßung oder einen osteoporosebedingten Knochenbruch. Die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten ermöglichen maßgeschneiderte Lösungen, erschweren aber auch die Vertragsverhandlungen.

Verträge – aber wie?

Nach Einschätzung von Dietz werden kollektive und selektive Verträge langfristig weiter nebeneinander bestehen bleiben, doch werde es immer mehr selektive Verträge geben.

Aus der Perspektive einer regionalen Versorgerkasse wandte sich Brigitte Käser, AOK Niedersachsen, gegen enge zentrale Vorgaben, nötig seien zentrale Rahmenbedingungen. Zugleich dämpfte sie die Erwartungen, es werde zu vielen neuen Verträgen kommen. Vor dem Hintergrund drohender Zusatzbeiträge seien die Krankenkassen sehr vorsichtig mit neuen Projekten, deren Refinanzierung sie nicht kalkulieren könnten.

Dr. Heinz Jarmatz, Vorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes Niedersachsen, meinte, "der Patient genießt das KaDeWe, das Kaufhaus der Wünsche". Daher sollte die Politik dafür sorgen, dass die Patienten auf ihrer Versichertenkarte vermerken lassen, bei welchen Ärzten sie schon welche Leistungen in Anspruch genommen hätten. Doch davor würden sich Politik und Krankenkassen scheuen.

Uwe Hansmann, stellvertretender Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, kritisierte den Arbeitsaufwand bei der Umsetzung immer wieder neuer Verträge. Die Apotheken würden durch die Rabattverträge mit Arbeit zugeschüttet. "Wie soll das weitergehen?", fragte Hansmann mit Blick auf die neuen AOK-Verträge mit Regionallosen und jeweils nur einem Hersteller pro Wirkstoff, aber auch auf mögliche künftige Regelungen für patentgeschützte Arzneimittel.

Verträge für patentgeschützte Arzneimittel

In der weiteren Diskussion zeigte sich ein breiter Konsens für die einvernehmliche Gestaltung intelligenter Verträge zur Risikoteilung (siehe Kasten) bei der Kostenübernahme für patentgeschützte Arzneimittel. Klaus Schlüter, Pfizer Deutschland, sieht im Generikabereich "die Zitrone ausgequetscht", doch bei Spezialpräparaten seien Risk-Sharing oder die Erfolgshonorierung durch die Krankenkassen denkbar. Auch Dr. Ulrich Vorderwülbecke, Verband forschender Arzneimittelhersteller, bevorzugt Konditionenverträge anstelle von Höchstbeträgen, die nur auf den Preis ausgerichtet sind. Dietz beklagte, jedes Pharmaunternehmen schlage bisher ein anderes Konzept vor. Stattdessen müsse einvernehmlich eine gemeinsame Plattform für solche Verträge geschaffen werden. Er schlug dazu vor, die Tagung zum Ausgangspunkt für einen "Zwischenahner Prozess" zum Umgang mit Innovationen zu machen. Innerhalb eines halben Jahres sollte gemeinsam mit der Selbstverwaltung ein Konzept erstellt werden.

Vickrey-Auktion

Die Vickrey-Auktion ist ein Verfahren zur Organisation von Ausschreibungen mit verdeckten Geboten. Den Zuschlag erhält der Anbieter mit dem niedrigsten Preisangebot. Dabei erhält er aber den Preis, den der Anbieter mit dem zweitniedrigsten Gebot eingereicht hat. Dahinter steckt die Vorstellung, dass alle Anbieter einen Preis bieten, bei dem sie gerade eben keinen Gewinn mehr erzielen. Wenn der Anbieter mit dem niedrigsten Gebot den zweitniedrigsten Preis erhält, erzielt er noch einen kleinen Gewinn. So erhält der Nachfrager einen fairen Preis, aber der Wettbewerb ist nicht ruinös für den Anbieter. Dies wiederum stellt die niedrigsten Angebote sicher.

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