Medizin

Karoshi – plötzlicher Tod durch Überarbeitung in Japan

In Japan ist der durch – häufig jahrzehntelange – Überarbeitung bedingte Tod ("Karoshi", sprich: Karooschi) ein nationales Problem. Eine Richtlinie des japanischen Gesundheitsministeriums regelt die Anerkennung von Karoshi, dessen direkte Todesursache meistens ein Herzversagen ist, als Versicherungsfall. Es ist anzunehmen, dass die Zahl der durch Überarbeitung bedingten Todesfälle und Selbstmorde in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise noch deutlich steigen wird.
Die drei Schriftzeichen lauten und bedeuten (von links): ka = zu viel; rô = Arbeit; shi = Tod. Also: Tod durch zu viel Arbeit.

 

Wie in vielen westlichen Ländern gab es auch in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg ein Wirtschaftswunder. Es wurde begünstigt durch die traditionell hohe Arbeitsdisziplin, die die Japaner während ihrer Sozialisation erlernen und verinnerlichen, aber auch durch den Druck des Personalmanagements auf die Arbeitnehmer, sich ganz den ökonomischen Interessen ihrer Firma zu unterwerfen. In extremen Fällen können diese inneren und äußeren Zwänge zum völligen Verlust der Identität führen.

40-jährige Karriere einer Krankheit

 

Nachdem die Ölkrise Anfang der 70er Jahre auch in Japan zu einer deutlichen Rezession geführt hatte, wurden die Medien auf ungewöhnliche Todesfälle aufmerksam, die offensichtlich auf Überarbeitung zurückzuführen waren. Noch im selben Jahrzehnt wurde Karoshi als Endpunkt einer Berufskrankheit anerkannt [1].

 

1982 beschrieben drei japanische Ärzte "Karoshi" als Tod durch kardiovaskuläre Störungen infolge von Arbeitsstress. Als immer mehr Karoshi-Fälle bekannt wurden, begann das japanische Arbeitsministerium 1987, entsprechende Statistiken zu veröffentlichen, die aber nur einen Bruchteil der geschätzten Zahlen wiedergeben (s. u.). Es wird angenommen, dass in Japan jährlich mehr als 10.000 Menschen aufgrund von Stress am Arbeitsplatz Herzinfarkte oder Schlaganfälle erleiden.

 

Nachweis und Anerkennung von Karoshi-Fällen

 

Bei der Beurteilung, ob ein Karoshi-Fall vorliegt, wird die Belastung am Arbeitsplatz während der vorherigen sechs Monate analysiert. Dabei können verschiedene Faktoren eine Rolle spielen: mehr als 100 Überstunden im Monat oder mehr als 80 Überstunden monatlich über zwei bis sechs Monate vor der Erkrankung; unregelmäßige Arbeitszeiten, z. B. mit ungünstigem Schichtwechsel; lange Arbeitszeiten ohne Pause; hohe Arbeitsdichte; häufige Dienstreisen. Die betroffenen Personen werden auch als "endless workers" bezeichnet – dies ist zugleich der Titel eines Buches, das der Arbeitsrechtler Kazuya Ogura 2007 auf Japanisch publiziert hat.

 

In der Vergangenheit schreckten viele Angehörige von Karoshi-Opfern vor Anträgen auf Entschädigung zurück, da die Beweisführung sehr langwierig und die Erfolgschancen eher gering waren. Vor etwa 20 Jahre wurden noch 95 Prozent der Anträge abgelehnt, z. B. wenn ein Arbeitnehmer in der Woche vor dem Tod einen Tag frei gehabt hatte. Der wachsende öffentliche Druck auf die Firmen und Gerichtshöfe hat aber dazu geführt, dass 2007 "nur noch" 58 Prozent der Anträge abgelehnt wurden.

 

Die Hinterbliebenen eines potenziellen Karoshi-Opfers können sich jetzt auch in einem Beratungszentrum über die konkreten Todesumstände von Karoshi-Fällen informieren. Etwa 40 japanische Kliniken haben sich zwischenzeitlich auf die Versorgung von Patienten, die Karoshi-gefährdet sind, spezialisiert.

 

Als erster Karoshi-Fall …

 

… gilt ein 29-jähriger verheirateter Arbeiter, der 1969 an seinem Arbeitsplatz in der Versandabteilung einer Zeitung an einem plötzlichen Herzstillstand gestorben war.

Karojisatsu – Selbstmord wegen Überarbeitung

 

Eine häufige Variante des Karoshi ist der Selbstmord aufgrund von Arbeitsstress und überlangen Arbeitszeiten: Karojisatsu (sprich: Karoodschissatz). Das japanische Gesundheitsministerium meldete für das statistische Jahr von März 2006 bis März 2007, dass 355 Berufstätige durch ein Übermaß an Arbeit schwer erkrankt oder gestorben seien und dass 176 Personen wegen Überforderung am Arbeitsplatz einen Suizid oder einen Suizidversuch begangen haben [2]. Von diesen 176 Fällen wurden 66 Fälle als Karojisatsu anerkannt, sodass die Hinterbliebenen eine Entschädigung erhielten [3]. Nach Angaben der Polizei haben sich allerdings mehr als 2200 Japaner im Jahr 2007 wegen ihrer Probleme am Arbeitsplatz das Leben genommen, wobei anzumerken ist, dass Japan eine der höchsten Selbstmordraten der Welt hat. Es ist zu befürchten, dass die Zahl der Karoshi- und Karojisatsu-Opfer aufgrund der Wirtschaftskrise weiter steigt. Im Oktober 2008 gaben bei einer Umfrage des größten japanischen Gewerkschaftsverbandes Rengo 53% der Befragten an, dass der Stress in jüngster Zeit zugenommen habe.

 

Burnout in westlichen Ländern

 

Das aus dem Englischen übernommene Wort "burnout" (ausbrennen) umschreibt die psychovegetative Erschöpfung infolge chronischer, zumeist beruflich bedingter Überlastung, die – im Gegensatz zum Karoshi – "nur" unter besonderen Umständen tödlich endet. In den letzten Jahren hat es unterschiedliche Ansätze zur wissenschaftlichen Definition von "Burnout" gegeben. Auch wurden die spezifischen Situationen in verschiedenen Tätigkeitsbereichen genauer untersucht und Präventions- und Interventionsmöglichkeiten erarbeitet [4]. Der Hamburger Psychologe Matthias Burisch betont, dass es sich beim Burnout stets um ein sukzessives, langwieriges Krankheitsgeschehen handelt, das letztlich zur "existenziellen Verzweiflung" führt [5].

 

Obwohl das Burnout zuerst einmal eine persönliche und familiäre Tragödie ist, entwickelt es sich zunehmend auch zu einem gesellschaftlich relevanten Problem.

 

Literatur

[1] Tieste O. Der Tod durch Überarbeitung. Frankfurt a. M. 2003. 

[2] Berg C. Erschöpfungssyndrom – Wege aus der Burnout-Falle. Pharm Ztg 2007;152:3214.

[3] Kiesche E. Karojisatsu. der betriebsrat 2008;(3):21. 

[4] Hedderich I. Burnout – Ursachen, Formen, Auswege. C. H. Beck, München 2009.

 [5] Burisch M. Das Burnout-Syndrom – Theorie der inneren Erschöpfung. 3. Aufl. Springer, Heidelberg 2006.

 

 

Autoren: 

Dr. Hans-Peter Hanssen 
hans-peter.hanssen@hamburg.de

Markus Schmitz-Hübsch 
Rosen-Apoteke@hamburg.de

 

 

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