Interpharm 2009

Sauber substituieren: Was dürfen wir, was müssen wir?

Die Umsetzung der Rabattverträge und das "richtige Substituieren" wurde in einer Gesprächsrunde diskutiert. Einig wurde man sich, dass das Ziel nicht Sparen um jeden Preis sei kann. Zwar begrüßte der Vertreter der Barmer das "verantwortungsvolle Umgehen" der Apotheker mit der Möglichkeit, pharmazeutische Bedenken anzumelden: In den Apotheken wird relativ wenig von einem Austausch abgesehen. Die Vertreter der Apotheker machten dagegen deutlich, dass sie als Heilberufler durchaus die Verantwortung haben, vermehrt pharmazeutische Bedenken anzumelden.
Diskussion um Rabattverträge Lohnt sich der enorme Einsatz an Zeit und manpower, den die Apotheker erbringen, um die Rabattverträge zu erfüllen und Einsparungen zu erwirtschaften, deren Ausmaß nicht bekannt ist?

Für die Apotheken besteht ausdrücklich die Möglichkeit, von der Verpflichtung zur Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel abzusehen, wenn der Abgabe aus Sicht des Apothekers im konkreten Einzelfall pharmazeutische Bedenken entgegenstehen. Diese bestehen, wenn durch den Präparateaustausch trotz zusätzlicher Beratung des Patienten der Therapieerfolg oder die Arzneimittelsicherheit gefährdet sind. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Arzneimittelauswahl sind:

  • gleicher Wirkstoff
  • gleiche Wirkstärke
  • gleiche Packungsgröße
  • gleiche oder austauschbare Darreichungsform
  • gleicher Indikationsbereich.

Wie weit reichen pharmazeutische Bedenken?

Pharmazeutische Bedenken sollten geäußert werden bei problematischen Arzneistoffen und Applikationssystemen, bei problematischen Hilfs- und Zusatzstoffen, bei lebensbedrohlichen Erkrankungen oder bei problematischen Patientengruppen. Prof. Dr. Martin Schulz beklagte, dass die pharmazeutischen Bedenken im Alltag noch zuwenig eingebracht werden. Inhalative Devices seien solche problematischen Applikationssysteme, bei denen ein schneller Austausch wohl überlegt sein will. Soll z. B. ein Autohaler gegen ein Dosieraerosol ausgetauscht werden, so gilt es ganz genau hinzuschauen. Kann der Patient die Technik bedienen? Schafft er die Umstellung auf ein anderes Inhalationssystem nach einer Erklärung der Inhalationstechnik in der Apotheke? Welche Gründe gab es, warum er dieses bestimmte Inhalationssystem verordnet bekommen hat? Wendet der Patient noch andere Arzneistoffe inhalativ an? Mit welcher Inhalationstechnik? Wie kommt er mit dem bisherigen Inhalationssystem zurecht? Könnte das Rabattarzneimittel sogar von Vorteil sein? Besonders bei Patienten mit Asthma bronchiale sollte kein schneller Austausch erfolgen, da es für den Patienten gefährlich werden kann. Als Beispiel für einen problematischen Arzneistoff führte Schulz die Verordnung von Fentanyl auf. Werden solche Arzneistoffe mit geringer therapeutischer Breite und hohem Nebenwirkungspotenzial verordnet, können pharmazeutische Bedenken angebracht sein. Eine Austauschbarkeit von Fentanyl-Pflastern ist nur möglich, wenn die Freisetzungsraten in μg/h und die Beladungsmenge, die Gesamtmenge an enthaltenem Wirkstoff identisch sind. Auch Applikationsdauer und Dosierungsintervall müssen beachtet werden.

Die Diskutanten:

Zum Thema "Sauber substituieren: Was wir wollen, wir dürfen, was wir müssen" diskutierten unter der Moderation von Dr. Thomas Müller-Bohn
Mathias Arnold, Lilien-Apotheke, Apothekerkammer Sachsen-Anhalt
Stefan Ceresato, Hauptverwaltung Barmer Ersatzkasse
Prof. Dr. Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel der ABDA
Prof. Dr. Harald G. Schweim, Lehrstuhl Drug Regulatory Affairs, Universität Bonn

Dokumentieren nicht vergessen!

Wird ein Rabattarzneimittel aufgrund pharmazeutischer Bedenken nicht abgegeben, dann muss dies dokumentiert werden: Auf das Rezept wird das Sonderkennzeichen aufgedruckt, das auch bei Nichtlieferfähigkeit und im Notdienst angewendet wird. Zusätzlich muss der Grund der Bedenken ausführlich erläutert werden. Schulz riet dazu, die Nichtabgabe und die Begründung dafür möglichst lückenlos zu dokumentieren, um im Falle einer späteren Retaxation gegenüber der Krankenkasse entsprechend argumentieren zu können. Auch die Kommunikation im Apothekenteam sei sehr wichtig, so Schulz. Eine Dokumentation des abgegebenen Arzneimittels bzw. Rabattarzneimittels in der apothekereigenen Software ist zum einen eine Unterstützung bei strittigen Fragen und zum andern kann sichergestellt werden, dass der Patient bei einer erneuten Verordnung das gleiche (Rabatt-)Arzneimittel wieder erhält, unabhängig davon, wer ihn berät. Schulz forderte die Apotheker auf, das Instrument pharmazeutische Bedenken verstärkt und verantwortlich im Sinne des Patienten zu nutzen. Damit zeigen sie heilberufliche Verantwortung und können auch wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Die ABDA und die Apothekerverbände seien zum Streiten bereit, betonte Schulz, um in strittigen Fragen unterstützend tätig zu werden.

Barmer: Die Rabatt-verträge haben Erfolg

Die Rabattphilosophie der Barmer erklärte der Sachgebietsleiter Stefan Ceresato. Für die Ersatzkasse stehe die Qualität der Rabattarzneimittel an erster Stelle. Darum seien mit einer Auswahl verschiedener Vertragspartner Rabattverträge geschlossen worden, darunter große, mittlere und kleine Hersteller. So stehen den Apothekern mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. Sie hätten die freie Wahl unter den Rabattprodukten der Partner und müssten nicht das Billigste auswählen. Er wertete die Rabattverträge als einen Erfolg. Ceresato begrüßte, dass die Apotheken offensichtlich sehr verantwortlich mit dem Instrument pharmazeutische Bedenken umgehen. Bundesweit werden die Rabattverträge zu 96,5% umgesetzt, wobei es regionale Unterschiede gibt: Nordrhein liegt mit 97,5% an der Spitze, während Sachsen mit "nur" 87,5% das Schlusslicht bildet.

Die Barmer stellt ganz konkrete Forderungen: Sie erwartet, dass die Apotheker die Rabattverträge und ihre Umsetzung unterstützen. Dass aufgrund pharmazeutischer Bedenken von der Verpflichtung zur Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel abgesehen wird, dürfe nicht zum Regelfall werden. Die Kasse werde eingebrachte pharmazeutische Bedenken akzeptieren, sie sollten aber der Ausnahmefall bleiben. In diesen Einzelfällen werde die Barmer keine Retaxierung vornehmen, retaxiert würden Apotheken, die systematisch gegen die Vorgaben aus den Rabattverträgen verstoßen.

Im Mittelpunkt der individuelle Patient

Vor allem in einer intensiveren Zusammenarbeit der Apotheker mit dem Arzt und den Patienten sieht Mathias Arnold die Zukunft. Nur der Apotheker vor Ort kann erkennen, ob ein konkretes Präparat ausgetauscht werden darf: ob eine Tablette geteilt werden kann oder nicht und ob der individuelle Patient in der Lage ist, mit dem Arzneimittel richtig umzugehen. In einem Therapiegespräch sollte in der Apotheke dem Patienten die Therapie erläutert werden. Ist etwas unklar oder kann der Patient die Medikation nicht einnehmen, so erfolgt eine Rückmeldung an den Arzt, der dann entsprechend intervenieren kann. Dies sei ein Beitrag, die Compliance zu erhöhen und den Therapieerfolg zu gewährleisten. Solch ein Medikationsmanagement müsste aber auch entsprechend honoriert werden, forderte Arnold. Denn neben der medizinisch-pharmakologischen Verantwortung, die gelebt werden muss, darf nicht die kaufmännische Verantwortung aus dem Auge verloren werden.

Pharmazeutische Aspekte stärker beachten

Seit langem wird im Zusammenhang mit der Aut-idem-Substitution über die Austauschbarkeit von Präparaten, Darreichungsformen, Packungsgrößen diskutiert. Dabei dreht sich vieles vorwiegend um den Wirkstoff. Vernachlässigt werden dagegen zu oft pharmazeutisch-technologische Aspekte. Dabei, so Schweim, kann es große galenische Unterschiede bei ein und demselben Wirkstoff geben. Ihm gehen die Regeln, nach denen pharmazeutische Bedenken geäußert werden können und ein Präparat nicht ausgetauscht werden darf, nicht weit genug. Sinnvoll seien stärkere Einschränkung der Verpflichtung zum Austausch. Ähnlich wie in der DPhG-Leitlinie Gute Substitutionspraxis sollten dabei u. a. technologische, galenische und biopharmazeutische Aspekte, die die Freisetzung eines Wirkstoffs erheblich beeinflussen können, stärker berücksichtigt werden. Dass ein Wirkstoff je nach Zubereitung, Darreichungsform oder Retardierung ein völlig unterschiedliches Auflöseverhalten zeigen kann und damit unterschiedlich anflutet und wirksam wird, sei primär eine fachliche Diskussion. Diese könnten die Pharmazeuten mit ihrer Hochschulausbildung mit am besten führen.

Schulz plädierte dafür, den Arzneistoff bevorzugt in den Mittelpunkt zu stellen. Er könnte sich gut eine Wirkstoffverordnung vorstellen. Das heißt, der Arzt stellt die Diagnose und entscheidet sich für einen bestimmten Wirkstoff in einer bestimmten Dosis. Der Apotheker sollte dann für die langfristige Therapieumsetzung verantwortlich sein. Ihm würde z. B. die Auswahl der Darreichungsform obliegen. Sehr kritisch äußerte sich Schulz zu der kürzlich vom Bundesgesundheitsministerium formulierten Interpretation der Substitutionsregeln für Rabattarzneimittel, nach denen ein Arzneimittel immer dann gegen ein wirkstoffgleiches Arzneimittel austauschbar sei, wenn auch nur eines seiner Anwendungsgebiete dem gemeinsamen Indikationsbereich angehört. Damit entstünde eine Diskrepanz zwischen dem arzneimittelrechtlichen Indikationsbereich und dem sozialrechtlichen Anwendungsbereich. Wenn daraufhin Arzneimittel über ihre arzneimittelrechtliche Indikation hinaus angewendet werden sollten, sei dies eine Aufforderung zum Gesetzesbruch, betonte Schweim. Darüber hinaus dürfe der zivilrechtliche Aspekt der Haftung nicht unterschätzt werden: Wird ein Präparat außerhalb der zugelassenen Indikation abgegeben, so greift im Schadensfall nicht mehr die Berufshaftpflichtversicherung. Die Haftung muss dann in vollem Umfang vom Apotheker übernommen werden.

Lohnen sich Rabattverträge?

In der Diskussion wurde deutlich, dass auf Seiten der Apotheker keiner genau weiß, welchen Nutzen die Rabattverträge gebracht haben. Der Vertreter der Barmer deutete eine Einsparung "im oberen zweistelligen Millionenbereich für die Barmer" an. Doch es fehlen eindeutige und nachvollziehbare Zahlen zur Kosten-Nutzen-Rechnung. Schulz und Schweim waren sich einig, dass die Compliance nur schwer quantifizierbar sei. Gleiches gilt für die Kosten einer Non-Compliance. Es falle schwer, die postulierten Einsparungen nachzuvollziehen. Man müsse sich die Frage stellen, womit und für welchen Preis man sich eine Einsparung erkauft, deren Umfang nicht bekannt ist. Was kostet es, wenn ein Patient ständig ein anderes Präparat erhält und es verunsichert gar nicht erst einnimmt? Was sind die Konsequenzen, wenn Patienten den Wechsel eines Präparates als Anlass nehmen, die Medikation komplett einzustellen? Wer kennt die Folgekosten einer gestiegenen Non-Compliance? Macht es Sinn, Millionen Euro durch Rabattverträge einzusparen, wenn das Zehnfache an Folgekosten durch Notfallbehandlungen entsteht, weil der Patient seine Medikation abgesetzt hat und z. B. der Blutzucker entgleist? ck

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