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Nicotinersatztherapie sollte erstattet werden

BONN (hb). Die Nicotinersatztherapie (NET) sollte von den Krankenkassen erstattet werden. Das ist das Fazit einer Diskussionsveranstaltung, die die Initiative Raucherentwöhnung, ein Zusammenschluss der Anbieter von Präparaten zur NET, am 26. März 2009 in den Räumen des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in Bonn durchgeführt hat. Dort wurde eine neue gesundheitsökonomische Studie des Duisburger Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Jürgen Wasem vorgestellt, die nach ersten validen Studienergebnissen aus 2007 weitere Daten zum Nutzen und zur Kosteneffektivität der NET bereitstellt.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten sind Arzneimittel zur Nicotinersatztherapie als Pflaster, Kaugummi, Lutschtabletten in Deutschland zugelassen, seit Mitte der 90er Jahre auch für die Selbstmedikation. Erstattungsfähig sind sie bislang nicht. Vielmehr werden sie zusammen mit Mitteln zur Verbesserung der sexuellen Potenz und des Haarwuchses in die Gruppe der sogenannten "Lifestyle Drogen" eingeordnet (§ 34 SGB V), aus der Sicht der Experten eine erhebliche Diskriminierung der Präparate. Ungerechtfertigt vor allem deswegen, weil die Nicotinersatztherapie (NET) nicht nur von der WHO, sondern auch von zahlreichen Gesundheitsorganisationen, darunter das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) als sinnvoll anerkannt ist.

Die Initiative Raucherentwöhnung

Nichtsdestotrotz spielen sie in Deutschland nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Daher haben sich die Anbieter von Nicotinersatzprodukten in Deutschland vor drei Jahren aus dem BAH heraus zu der Initiative Raucherentwöhnung zusammengeschlossen mit dem Ziel, den Stellenwert des Nichtrauchens und die Akzeptanz der medikamentösen Raucherentwöhnungstherapie in Deutschland zu fördern. Dabei geht es letztlich auch darum, die Kassenerstattung der Präparate zu erreichen.

Benefit bei KHK, Diabetes und COPD

Dass die Erstattung gesundheitsökonomisch sinnvoll ist, zeigen die Untersuchungen von Prof. Dr. Jürgen Wasem, Universität Duisburg-Essen. Er hatte im Auftrag der Initiative Raucherentwöhnung bereits vor zwei Jahren eine erste Studie zur Kosteneffektivität der NET gegenüber Placebo ohne Fokus auf spezielle Folgeerkrankungen durchgeführt. Sie hat im Ergebnis für die NET einen besseren Outcome (höheren Gewinn an Lebensjahren) und niedrigere Kosten gegenüber Rauchstoppversuchen mit Placebo erbracht.

In einer zweiten Studie, durchgeführt von Wasem in Zusammenarbeit mit der Carem GmbH, Sauerlach1 , wurde nun argumentativ nachgelegt. Bei der Diskussionsveranstaltung präsentierte Wasem die Ergebnisse einer Modellierung für Patienten mit den Vorerkrankungen koronare Herzkrankheit (KHK), Diabetes mellitus Typ II sowie COPD. Die untersuchten Interventionsarme: NET versus Placebo (KHK und Diabetes mellitus) bzw. NET versus keine Intervention (COPD). Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 dargestellt.

In allen drei Gruppen lassen sich im Vergleich zum Verzicht auf NET Lebensjahre gewinnen und gleichzeitig die Gesundheitskosten langfristig senken. Hierbei sind die Kosten durch Passivrauchen noch nicht einmal berücksichtigt.

Wasems gesundheitspolitische Schlussfolgerung: Die Raucherentwöhnung mit NET ist kosteneffektiv, in den meisten durchgeführten Modellrechnungen sogar "dominant". Wie der Ökonom betonte, ist dies bei Kosteneffektivitätsanalysen eigentlich ein eher ungewöhnliches Ergebnis, denn meist müssen mehr Lebensjahre mit erheblich höheren Kosten erkauft werden. Als Beispiel führte er den Einsatz von Statinen in der Sekundärprävention an. Hier fallen pro gewonnenem Lebensjahr zwischen 9000 und 15.000 Euro an.

Tab. 1: Nutzen und Kosteneffektivität der NET bei Rauchern mit Vorerkrankungen
KHK
Diabetes
COPD
Durchschnittliche
GKV-Kosten*
im Indikationsgebiet bei …:
Kosten in
55 Jahren €
Gewonnene Lebensjahre
Kosten in
50 Jahren €
Gewonnene Lebensjahre
Kosten in
50 Jahren €
Gewonnene
Lebensjahre
… Rauchstoppversuch ohne NET
49.572
17,97
30.669
16,33
28.302
16,45
… Rauchstoppversuch mit NET
48.878
18,06
30.430
16,41
26.207
17,06
Differenz
694
0,09
239
0,08
2.095
0,61

*diskontiert (3%)

Rauchen immer noch zu "positiv" besetzt?

In einer Podiumsdiskussion wurden die wesentlichen Hemmschuhe für den verstärkten Einsatz der NET in der Raucherentwöhnung näher identifiziert und mögliche Auswege angedacht. Aus der Sicht von MdB Lothar Binding, dem Initiator des Nichtraucherschutzgesetzes 2007 ist Rauchen heute in der allgemeinen Vorstellungswelt offenbar immer noch mit Lifestyle verknüpft. Dabei würde allein die Einstufung der Nicotinabhängigkeit als Sucht eine Erstattung, wie sie auch bei der Alkoholsucht ohne wenn und aber anerkannt wird, bereits rechtfertigen. Hinzu kommen die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen.

NET bevorzugt unter Kontrolle des Arztes

Verhaltenstherapeutische Programme sind für Dr. Thomas Hering vom Bundesverband der Pneumologen allenfalls eine "homöopathische Maßnahme", und auch die NET in der alleinigen Verantwortung des Patienten, das heißt über die Selbstmedikation, hält er für insuffizient. Er fordert vielmehr eine medikamenöse Tabakentwöhnung in der Hand des Arztes. Speziell bei Patienten mit einer manifesten COPD führt für Hering an der NET als Therapie der ersten Wahl kein Weg vorbei. Als Beispiele dafür, dass mit der Aufnahme der Präparate in die Erstattung akut keine Kostenlawine für die Krankenkassen zu befürchten ist, nannte er die Länder England, Frankreich, Japan, wo die NET bereits erstattet wird.

NET im Regel-Leistungs-Katalog?

In der Frage, ob die NET zum Pflicht-Leistungs-Katalog gehören sollte, herrschte unter den Experten auf dem Podium kein Konsens. Nach Einschätzung des BAH-Gesundheitsökonomen Dr. Uwe May lässt sich das Problem über Zusatz-Beitrags-Tarife in der GKV jedenfalls wohl kaum lösen. Der BAH steht, wie May abschließend betonte, uneingeschränkt hinter einem Ansatz der Kosten-Nutzen-Bewertung, mit dem die Aufnahme in den Regel-Leistungs-Katalog zu erreichen sein müsste. Nach Wasems Ergebnissen gab er sich diesbezüglich optimistisch. "Die Frage lautet doch nicht: ‚Können wir es uns leisten, die NET zu erstatten‘, sondern ‚können wir es uns leisten, das nicht zu tun‘", so May.

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