Interpharm 2009

Mehr als nur Wirkstoffe

Mit den Festbeträgen fing es an. Sie waren das erste Instrument im Arzneimittelmarkt, das Anreize für die Preisbildung der Hersteller und das Verordnungsverhalten der Ärzte schaffen sollte. Bis heute sind sie ein wichtiger Teil in dem kaum noch überschaubaren Mit- und Gegeneinander der Steuerungsmechanismen. Doch trotz einiger Vorteile steckt im Konzept der Festbeträge ein grundlegendes Missverständnis, das in viele neuere Regelungen ausstrahlt – bis in die Rabattverträge: Es ist die Fixierung auf den Wirkstoff, der praktisch zum alleinigen Kriterium für die Unterscheidung von Arzneimitteln erhoben wurde. Diese Rigorosität lässt keinen Platz für die pharmazeutische Technologie. In den Frühzeiten der Festbeträge mögen die kleinen, therapeutisch manchmal kaum relevanten Differenzen in der Bioverfügbarkeit zwischen zwei ähnlich konzipierten Tabletten auch den Apothekern eher lästig gewesen sein. Denn sie träumten von großzügigen Aut-idem-Regeln mit Vorteilen für die Lagerhaltung statt kleinlichen Diskussionen mit den Ärzten. Doch nicht immer sind die Unterschiede so geringfügig. So wurde damals versäumt, bei Politikern das nötige Bewusstsein für die Galenik zu schaffen. Als Konsequenz werden heute Arzneimittel trotz unterschiedlicher Darreichungsformen für austauschbar erklärt oder in eine Festbetragsgruppe eingeordnet. Dies führt beispielsweise zu einer paradoxen Situation, die kürzlich Prof. Jörg Breitkreutz beim Frühjahrskongress der Apothekerkammer Schleswig-Holstein darstellte (siehe DAZ 13, S. 88): Die EU fordert die Entwicklung kindgerechter Arzneiformen, die Industrie erarbeitet solche Konzepte, aber sie werden dann von nationalen Instanzen nicht bezahlt. Ein international weit verbreitetes Arzneimittel mit Antibiotika-Trinkhalmen wurde daher in Deutschland wieder aus dem Handel genommen.

Auch an anderer Stelle zeigt sich, was die Fixierung auf den Wirkstoff anrichtet. So wird für Somatropin-Biosimilars ein Festbetrag der Gruppe 1 eingerichtet (siehe DAZ 13), obwohl bei biotechnologischen Produkten der Herstellungsprozess das Produkt definiert. Hier wäre wohl eher ein Festbetrag für therapeutisch vergleichbare Arzneimittel angemessen. Die Ursache für solche Fehlentwicklungen nur in den mangelnden Kenntnissen der Mediziner, Juristen und Ökonomen zu suchen, dürfte zu kurz gegriffen sein. Es wäre die Aufgabe der Pharmazeuten gewesen, den Stellenwert der genuin pharmazeutischen Aspekte zu verdeutlichen.
Im Zusammenhang mit den Rabattverträgen gibt es dafür inzwischen immerhin zarte Ansätze. Mit dem Stichwort "pharmazeutische Bedenken" können Apotheker nun die allergrößten Auswüchse der rabattvertraglichen Austauschverpflichtungen von ihren Patienten abwenden. Dies könnte der Beginn eines Bewusstseinswandels sein. Doch die individuell begründeten pharmazeutischen Bedenken können nur eine letzte Notbremse sein. Bei der Diskussion zur Substitution auf der Interpharm wurden die Erfolge dieses Ansatzes deutlich, aber auch seine Grenzen. Angesichts der vielen Probleme beim Austausch erscheinen weitere grundsätzliche Beschränkungen der Austauschverpflichtungen angebracht. Denn neben individuellen Besonderheiten gibt es viele grundsätzliche Argumente gegen den Austausch - und die hängen nicht nur vom Wirkstoff ab, sondern vielfach von der Indikation und von der Arzneiform.
Thomas Müller-Bohn

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