Aus Kammern und Verbänden

Alternative Heilverfahren unter der Lupe

Zur 17. Fachtagung der "Christen in der Pharmazie" am 20. bis 22. März waren Pharmazeuten aus den Bereichen Offizin, Krankenhaus und Industrie sowie Studierende nach Brotterode (Thüringen) gekommen. Das Schwerpunktthema war die Bewertung von alternativen Therapierichtungen und ihren Arzneimitteln.
Wolfgang Bittner
Foto: Sokoließ

Spiritualität ist modern, aber jeder versteht etwas anderes darunter. Deshalb ist es wichtig, genau hinzuschauen und nachzufragen, was jeweils gemeint ist. So lautete die Empfehlung von Dr. Wolfgang Bittner, Lehrbeauftragter für Christliche Spiritualität an der Freien Universität Berlin. Den wesentlichen Unterschied machte er am personalen Bezug fest. Während christliche Spiritualität, oft synonym mit Frömmigkeit verwendet, ein personales Gegenüber in Gott hat, ist esoterische oder fernöstliche Spiritualität apersonal.

Erst seit der methodischen Trennung von Materie und Geist, maßgeblich durch Isaac Newton beeinflusst, gibt es die exakten Naturwissenschaften. Ihr Vorgehen sei grundsätzlich korrekt, gebe aber nicht die ganze Wahrheit wieder, weil der Geist bzw. Gott ausgeklammert ist.

Ein weiteres Schlagwort der Esoterik- und Wellnessbewegung ist "Ganzheitlichkeit". Inhaltlich handelt es sich dabei um Harmoniekonzepte. Es wird die Harmonie mit dem Kosmos, der Erde, mit der eigenen Person und mit der eigenen Geschichte angestrebt. Diese Ganzheitlichkeit soll durch Energieausgleich oder heilenden Ausgleich bewirkt werden.

Laut Bittner ist die Sehnsucht nach Harmonie und Ganzheitlichkeit im tiefsten Grund eine Sehnsucht nach dem Paradies. Die Wirklichkeit zeige aber, dass wir mit der Gebrochenheit des Menschen leben müssen. Auch das biblische Menschenbild meint keinen autarken, in sich vollkommenen Menschen, sondern den auf Hilfe angewiesenen, immer auf ein Gegenüber ausgerichteten Menschen.

Nur Placeboeffekte

Für kaum eine "alternative" Methode oder ein Arzneimittel gibt es aussagekräftige Daten für die Wirksamkeit. Die "Wirkfaktoren" seien Placeboeffekte und die in der Medizin so wichtigen Rituale (z. B. Beziehung zum Therapeuten). Dies betonte die Internistin Dr. Barbara Burkhard, München. Sie ist langjährige Gutachterin beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Bayern und hat sich in Publikationen u. a. mit der Anthroposophischen Medizin kritisch auseinandergesetzt.

Auf die Frage, was er tun würde, um wieder Ordnung ins Reich zu bringen, hatte Konfuzius geantwortet: "Die Begriffe klären." Das sei auch beim Begriff "Gesundheit" nötig, so Burkhard. Zwischen der Definition der WHO, die Gesundheit als vollständiges körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden beschreibt, und der Definition nach dem Sozialversicherungsrecht, im Sinne der Arbeitsfähigkeit, liegen Welten.

Die Medizin befasst sich (kurativ oder palliativ) mit kranken Menschen. Auch die "Schulmedizin" soll den ganzen Menschen und nicht nur ein erkranktes Organ therapieren. Für gute Ärzte stehe das auch außer Zweifel. Dennoch äußerte sich Burkhard kritisch zu Vorstellungen von "Ganzheitlichkeit".

Behauptungen, die eigentliche Ursache der Krankheit liege im Bewusstsein und es müsse daher nur "gesund gedacht" werden, greifen zu kurz. Auch eine "Therapeutisierung" von Lebensproblemen führe nur selten zum Ziel, aber oft zur Abhängigkeit vom jeweiligen Therapeuten.

Der Anspruch auf Ganzheitlichkeit entspringe einem Denken der Machbarkeit. Dabei werden Leid, Tod, unheilbare Krankheiten oder Sinnloses einfach ausgeblendet. Es mangle an der Fähigkeit zu trauern, an der Einsicht in Schuld sowie an der Bescheidenheit des Nichtwissens.

TCM, Homöopathie, Anthroposophische Medizin

Während die Traditionelle chinesische Medizin (TCM) in China fast nur noch bei Bagatellerkrankungen und bei armen Leuten, die sich die (teure) westliche Medizin nicht leisten können, Anwendung findet, wird sie in Westeuropa als Verfahren mit jahrtausendalter Erfahrung gepriesen. Die TCM ist ein auf magischen Konzepten beruhendes, hochkomplexes, spekulatives System und kennt z. B. keine exakte Anatomie. Auch in der Praxis gibt es Probleme: Vergiftungen durch TCM-Arzneimittel aufgrund von Verwechslungen und Verunreinigungen (z. B. mit Schwermetallen) sind keine Einzelfälle.

Burkhard forderte dazu auf, die Erklärungsversuche der Homöopathie mit Logik zu hinterfragen. Nach fast 200 Jahren der Auseinandersetzung seien weitere Studien kaum sinnvoll, zumal Anhänger der Homöopathie die negativen Ergebnisse guter Studien – unter Mitwirkung von Homöopathen – ohnehin nicht akzeptieren.

Entgegen ihrem eigenen Anspruch, "eine kausale Therapie" zu sein, arbeite die Homöopathie rein symptomatisch (Simile-Prinzip, Arzneimittelbild). Scheinbar naturwissenschaftliche Erklärungsversuche für die Wirkung von Hochpotenzen sind spekulativ. So kann es kein "Gedächnis des Wassers" geben, da sich die Cluster in Nano- bis Femtosekunden umbilden.

Die von Rudolf Steiner begründete Anthroposophie basiert auf "Schauungen" und Erkenntnissen, die Steiner durch das Lesen im Weltgedächtnis (der virtuellen Akasha-Chronik) gewonnen haben will. Dies sei nur Menschen mit entsprechender Schulung und Bewusstseinserweiterung möglich. Tatsächlich findet man die Komponenten der Anthroposophie aber in östlichen Weisheitslehren, in der Alchemie usw.

Info


Die "Christen in der Pharmazie" sind eine Fachgruppe des Akademiker-SMD. Die bundesweiten Tagungen für Pharmazeuten finden seit 1993 einmal jährlich statt. Nähere Informationen und Berichte vergangener Tagungen unter www.pharmazie.smd.org.

Nutzen und Risiken nicht belegt

Laut Burkhard sind der Nutzen und die Risiken der vielfach propagierten Misteltherapie bei Krebs immer noch nicht belegt. So sei ein verstärktes Wachstum bestimmter Tumoren durch die vermehrte Ausschüttung entzündungsfördernder Zytokine nicht auszuschließen. Die viel beworbene "Studie" an 10.000 Krebspatienten, von der wiederholt Ergebnisse zu einzelnen Indikationen veröffentlicht wurden, weise schwerwiegende methodische Fehler auf, z. B. die retrospektive Festlegung von Kriterien, keine konkreten Angaben zu Art und Dauer der Therapie, unzulässige Selektion der Daten.

Ein indirektes Risiko alternativer Therapien ist das Versäumnis einer schulmedizinischen Diagnostik und Therapie, z. B. mit wirksamen Medikamenten. Gefährlich ist auch die – insbesondere in anthroposophischen Kreisen verbreitete – Ablehnung von Schutzimpfungen. Dadurch werden auch andere Personen Opfer einer vermeidbaren Infektion mit z. T. schwerem Verlauf.

Eine Synthese von Schulmedizin und Alternativmedizin bezeichnete Burkhard in Übereinstimmung mit dem Medizinhistoriker Axel W. Bauer als eine Sackgasse: Wegen gegensätzlicher Axiome und Denkstile sei kein wirkliches Miteinander möglich.

Jens Kreisel

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