Kinder

Kindersprechstunde – wenn der Nachwuchs krank ist …

"Kinder sind keine kleinen Erwachsenen." – Diese scheinbar abgedroschene Phrase wird immer wieder durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigt und fasst die Herausforderung an die Therapie von Kindern zusammen. Denn Indikationen, Dosierungen und Behandlungskonzepte bei Kindern können sich erheblich von der Situation bei Erwachsenen unterscheiden - mit teilweise lebensbedrohlichen Folgen. Eine Übersicht über vielfältige Aspekte der Behandlung von Kindern und Jugendlichen vermittelte der Frühjahrskongress der Apothekerkammer Schleswig-Holstein am 14. und 15. März im Ostseebad Damp.
Gesunde Kinder – kranke Kinder Die Arzneitherapie von Kindern soll sich wesentlich verbessern. Dafür hat die EU 2007 die gesetzliche Grundlage geschaffen.
Foto: Wyeth Pharma/M. Schwartz

Zu vielen etablierten Arzneimitteln existiert nur sporadisches Wissen über den Einsatz bei Kindern. Erst 2007 trat eine bindende EU-Verordnung in Kraft, die die pharmazeutische Industrie zur systematischen Prüfung der Arzneimittelanwendung an Kindern verpflichtet, erläuterte der Tagungsleiter Prof. Dr. Walter Raasch, Lübeck. Prof. Dr. Stephanie Läer, Düsseldorf, betrachtet die neue Forderung als Ergebnis eines langen Prozesses. Denn einerseits sollen Kinder vor möglichen Risiken von Arzneimitteluntersuchungen geschützt werden, andererseits können systematische Risiken von Kindern nur ferngehalten werden, wenn systematisch Daten über den Einsatz von Arzneimitteln bei Kindern erhoben werden.

Alle Betrachtungen über Arzneimittel für Kinder werden zudem durch die großen Unterschiede zwischen den Entwicklungsphasen erschwert, in denen jeweils unterschiedliche Problemstellungen dominieren. Als typische Entwicklungsphasen gelten:

  • Frühgeborene (Geburt vor der 36. Schwangerschaftswoche),
  • Neugeborene bis zum 27. Lebenstag,
  • Säuglinge und Kleinkinder vom 28. Tag bis zum Alter von 23 Monaten,
  • Kinder im Alter von zwei bis elf Jahren und
  • Jugendliche im Alter von zwölf bis 16 oder 18 Jahren.

Pharmakokinetische Besonderheiten

Wegen der pharmakokinetischen Unterschiede können Kinderdosierungen nicht rechnerisch aus Erwachsenendosierungen abgeleitet werden. Die Unterschiede können so groß sein, dass eine gewichtsangepasste Erwachsenendosis entweder unwirksam ist oder durch Überdosierung zu schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen oder sogar zum Tod führt. Die Ursache liegt vielfach in der Gesamtkörperclearance. Diese ist eine wesentliche Bestimmungsgröße für die Plasmakonzentration eines Arzneistoffs, wobei die Plasmakonzentration umgekehrt proportional zur Clearance ist.

Die Gesamtkörperclearance entwickelt sich weder proportional zum Körpervolumen noch zum Körpergewicht. Sie ist beim Neugeborenen sehr klein, steigt beim Säugling sehr stark an, bleibt im Kindesalter zunächst hoch und fällt dann zum Erwachsenenalter langsam ab. Doch daraus lassen sich noch keine Dosierungen ableiten, weil die Veränderungen sehr differenziert sind. Die verschiedenen Enzymsysteme entwickeln sich zu unterschiedlichen Zeiten. Die Nierenfunktion ist erst nach einem Jahr mit der von Erwachsenen vergleichbar. Der Hautzustand und das Verhältnis zwischen Körperwasser und -fett schwanken erheblich. Daher ist kein Arzneistoff wie der andere, vielmehr muss jeder einzelne Arzneistoff pharmakokinetisch untersucht werden.

Da auch nach der neuen Rechtslage Arzneimitteluntersuchungen nur an kranken Kindern vorgenommen werden dürfen, bieten sich Computersimulationen an. Dazu stellte Läer eigene Arbeiten vor, mit denen aus zahlreichen eingehenden Größen gute Vorhersagen über eine angemessene Dosierung abgeleitet werden konnten.

Andere Pharmakokinetik, andere Nebenwirkungen

Weitere Schwierigkeiten ergeben sich durch pharmakodynamische Besonderheiten, beispielsweise das Risiko der Wachstumshemmung durch Corticosteroide. Wie komplex die Zusammenhänge sind, zeigen auch die Erfahrungen aus den USA, die bereits seit 1997 eine ähnliche Vorschrift haben, wie sie seit 2007 in der EU gilt. Doch habe man dort nach über zehn Jahren gerade erst ein Gefühl entwickelt, wonach gesucht werden muss, erklärte Läer. Als Beispiele für die Schwierigkeiten nannte sie Amlodipin, Fosinopril und Irbesartan, die bei Kindern keine Dosis-Wirkungs-Beziehungen zeigen. Dagegen wurden bei den jeweils nahe verwandten Substanzen Enalapril, Lisinopril und Losartan solche Korrelationen gefunden.

Außerdem sollten spezielle unerwünschte Wirkungen bei Kindern beachtet werden. So können topische Corticoide wegen der dünneren Haut verstärkt zur Hautatrophie und zu systemischen Effekten führen. Nach der Gabe von Sumatriptan hat es Schlaganfälle und sogar Todesfälle bei Kindern gegeben.

Solange es nicht genügend systematische Untersuchungen gibt, bleibt in vielen Indikationen nur der Off-label-Gebrauch. Dabei werden Arzneimittel bei einer anderen Altersgruppe, in einer anderen Dosierung oder Darreichungsform oder bei einer anderen Indikation eingesetzt, als dies in ihrer Zulassung vorgesehen ist. "Je kleiner und je kränker die Kinder sind, umso größer ist der Anteil des Off-label-Gebrauchs", erklärte Läer.

Hilfe aus der Technologie

Alle Überlegungen zu Arzneimittelanwendungen bei Kindern sind jedoch nur relevant, wenn die Produkte tatsächlich eingenommen werden. "Wenn die Kinder die Arzneimittel verschmähen, brauchen wir uns keine Gedanken über Kinetik oder Dynamik zu machen. Dann ist die Bioverfügbarkeit null", erklärte Prof. Dr. Jörg Breitkreutz, Düsseldorf. Damit hat die Galenik eine Schlüsselposition bei der Behandlung von Kindern, weil sie über Geschmack und Praktikabilität von Zubereitungen entscheidet. Daneben gibt es weitere technologische Herausforderungen: Der Magen-pH-Wert ist bei kleinen Kindern neutral, damit Milch nicht gerinnt. Dies stört jedoch die Funktion vieler magensaftresistenter Zubereitungen. Die Blut-Hirn-Schranke ist bei Kindern kaum ausgebildet, sodass Hilfsstoffe in das Gehirn gelangen können. Sogar ein großer Teil der arzneimittelbedingten Todesfälle geht auf Hilfsstoffe zurück, die bei Erwachsenen harmlos sind.

Auch Breitkreutz betonte die große Bedeutung der neuen EU-Gesetzgebung zu Kinderarzneimitteln. Für alle neuen Arzneimittel muss nun ein pädiatrisches Prüfkonzept für alle Altersgruppen vorgelegt werden. Dafür kann die Patentlaufzeit für alle Nutzungen um ein halbes Jahr verlängert werden. Für bereits eingeführte Arzneistoffe wird eine neue Art der Zulassung angeboten, mit der die Ergebnisse klinischer Studien exklusiv genutzt werden können. Darüber hinaus fördert die EU die Entwicklung kindgerechter Arzneiformen. Als spezielle Anforderungen gelten hohe Bioverfügbarkeit bei Kindern, unbedenkliche Hilfsstoffe, günstige organoleptische Eigenschaften, richtige Dosierung, verständliche Textinformationen sowie die elterngerechte, bequeme und sichere Anwendung ohne soziokulturelle Stigmatisierung. Dies erfüllen Retardarzneimittel, die eine Anwendung in der Schule umgehen. Dagegen gelten Zäpfchen außer in Deutschland, Frankreich und Spanien nahezu überall als inakzeptabel.

Daher finden derzeit in der pharmazeutischen Industrie viele Entwicklungsarbeiten statt, die bald zu neuen Produkten und Arzneiformen führen werden, prognostizierte Breitkreutz. Besonders interessant erscheinen Mischformen zwischen festen und flüssigen Zubereitungen, die gut geschluckt, aber so einfach wie Tabletten dosiert und gehandhabt werden können. Gefriergetrocknete Tabletten zerfallen auf der Zunge innerhalb von drei Sekunden und werden als flüssig wahrgenommen. Weitaus billiger herzustellen und daher besonders aussichtsreich sind schnell zerfallende Tabletten. Eine weitere Alternative bilden Bukkalfilme, mit denen jedoch nur recht geringe Wirkstoffmengen appliziert werden können.

Beim Einsatz der verbreiteten Antibiotikasäfte erscheint die Zubereitung durch die Eltern problematisch, weil sie zu Dosierungsfehlern führen kann. Daher appellierten Breitkreutz und Apotheker aus dem Auditorium, diese Säfte in der Apotheke zuzubereiten. Zudem sei dies international üblich und werde anderswo auch honoriert. Zur Erleichterung sollten die Hersteller jeweils genau deklarieren, welche Wassermenge aufgefüllt werden muss. Außerdem kann die Dosierungsgenauigkeit verbessert werden, wenn eine Dosierspritze mitgegeben wird, soweit sie nicht bereits in der Packung enthalten ist.

Als sinnvolle Alternative zu den Säften verwies Breitkreutz auf den Clarosip® -Trinkhalm. Der Halm mit geschmacksneutralen Pellets kann je nach Geschmacksvorlieben in nahezu jede Flüssigkeit gehalten werden. Der Trinkhalm ist beispielsweise Marktführer in Mexiko, wurde aber in Deutschland aus dem Handel genommen, weil der Gemeinsame Bundesausschuss das Makrolidprodukt in eine gemeinsame Festbetragsgruppe mit technologisch nicht innovativen Makroliden eingeordnet hat. Nach Einschätzung von Breitkreutz ist es schizophren, wenn die EU kindgerechte Arzneimittel fordert, die nationalen Institutionen aber verweigern, den zusätzlichen Aufwand zu bezahlen.

Infekte, Infekte – aus dem Alltag eines Pädiaters

Dr. Sven Gutsche, Lübeck, berichtete als niedergelassener Kinderarzt über die häufigsten Erkrankungen bei Kindern. Dazu zählen banale Virusinfekte, die mit wochenlangem Husten verbunden sein können. Zur sehr häufigen Otitis media gehören heftiger Ohrenschmerz, Druckschmerz am Tragus (Knorpel an der Ohrmuschel vor dem Gehörgang), Völlegefühl im Ohr, Hörminderung, aber nicht unbedingt Fieber. Ausfluss aus dem Ohr spricht dagegen für ein Gehörgangsfurunkel. Die Otitis media ist der häufigste Grund für den Einsatz von Antibiotika bei Kindern, obwohl dies vielfach überflüssig ist. Bei Kindern ab zwei Jahren erscheint es nach Einschätzung von Gutsche sinnvoller, die Schmerzen zu lindern und 24 Stunden abzuwarten. Falls dann keine Besserung eingetreten ist, kann ein Antibiotikum gegeben werden. Die Krankheitsdauer wird durch das Abwarten nicht verlängert. Für den Arzt bietet sich an, ein Rezept mitzugeben, das erst nach 24 Stunden eingelöst werden soll. Kinder bis zu einem Jahr sollten bei Ohrenschmerzen stets zum Arzt, um eine Mastoiditis auszuschließen.

Konjunktivitiden sind besonders bei viraler Ursache problematisch, weil diese stark infektiös sind. Typisch für virale Konjunktivitiden sind daher mehrere Krankheitsfälle in der Umgebung. Alarmsignale, die bei Augenerkrankungen eine sofortige augenärztliche Behandlung erfordern, sind

  • Augenschwellung mit lokalem Druckschmerz,
  • Bewegungseinschränkungen der Augen oder Schmerzen beim Bewegen der Augen,
  • starkes Krankheitsgefühl im Zusammenhang mit einer Augenerkrankung oder
  • druckschmerzhafte Haut in der Umgebung der Augen.

Eine starke Schwellung der Augen ohne Juckreiz spricht für ein ernsthaftes Problem durch Ödeme.

Ob ein Kind an Durchfall erkrankt ist, kann nur im Vergleich zur individuell üblichen Stuhlkonsistenz und Häufigkeit des Abführens beurteilt werden. Ursache für Gastroenteritiden sind bei Kindern meist Rotaviren, in etwa 20 Prozent der Fälle Bakterien. Typischerweise wird zuerst erbrochen, später folgt der Durchfall. Die wichtigsten Komplikationen sind der septisch-toxische Schock und der hypovolämische Schock. Wenn Kinder bei einer Durchfallerkrankung nicht mehr trinken wollen und Kleinkinder aufhören zu schreien, ist die Dehydrierung stark fortgeschritten. Dann sollte jeder Versuch einer ambulanten Behandlung aufgegeben und das Kind sofort ins Krankenhaus gebracht werden. Dieser Zustand kann bei Säuglingen in nur einer Nacht erreicht sein. Mittelschwer dehydrierte Kinder haben typischerweise eingesunkene Augen und eine trockene Zunge. Sie wollen trinken, brechen das Getrunkene aber wieder aus. Dann muss die Flüssigkeit ganz langsam schluckweise verabreicht werden. Geeignet sind orale Rehydrierungslösungen, von denen zusätzlich zur normalen Trinkmenge 5 bis 10 ml pro kg Körpergewicht pro Durchfall getrunken werden sollen. Es sollen nur hypotone Lösungen angeboten werden, denn bei hypertonen Lösungen droht ein Hirnödem. Cola-Getränke sollen nicht empfohlen werden, weil sie zu viel Zucker und kaum Natrium enthalten. Sobald wie möglich sollte wieder normale Nahrung mit verringertem Fettanteil und wenig Zucker gegeben werden.

Juckreiz – Symptom mit vielen Ursachen

Prof. Dr. Regina Fölster-Holst, Kiel, machte deutlich, dass sehr viele unterschiedliche Hauterkrankungen mit Juckreiz verbunden sind.

Die häufigste juckende Hauterkrankung bei Kindern ist die Neurodermitis. Typische Zeichen sind ein Leckekzem und eine doppelte Lidfalte. Die Erkrankung beginnt meist an den Streckseiten der Extremitäten, befällt erst später die Beugen und tritt üblicherweise nicht in der Windelregion auf. Krankheitsschübe werden mit topischen Corticosteroiden oder Calcineurininhibitoren behandelt. Bufexamac wirkt dagegen nicht gegen die Entzündung, hat aber eine hohe Sensibilisierungsrate.

Exantheme treten insbesondere nach dem Stechen von Ohrlöchern und dem anschließenden Anlegen von nickelhaltigem Modeschmuck auf. Sie ähneln den Ekzemen. Ein nach innen gerichteter Schuppenkranz ist typisch für die Pityriasis rosea (Röschenflechte), die harmlos ist, aber stark jucken kann. Exantheme können auch als unerwünschte Arzneimittelwirkung auftreten, insbesondere beim Einsatz von Antikonvulsiva.

Viele weitere juckende Hauterkrankungen werden durch Parasiten wie Milben, Läuse, Wanzen oder Flöhe ausgelöst. Wer im Spätsommer in Seen badet, kann auch von Zerkarien befallen werden. Zerkarien leben gemäß ihrem Entwicklungszyklus teils in Wasserschnecken, teils in Wasservögeln, können aber Menschen als Fehlwirte treffen. Der Befall erinnert an Mückenstiche und juckt. Nach etwa zwei Wochen werden die abgestorbenen Zerkarien mit der Hautschuppung abgestoßen.

Auch einige Autoimmunerkrankungen können als juckende Dermatosen in Erscheinung treten. Dazu gehören Lichen ruber und Lichen sclerosus et atrophicus. Juckende Haut erfordert daher eine sehr sorgfältige Differenzialdiagnose.

Asthmatherapie – Herausforderung für Apotheker

Die häufigste chronische Erkrankung bei Kindern ist das Asthma bronchiale. Es betrifft acht bis zehn Prozent aller Kinder. Prof. Dr. Frank Riedel, Hamburg, betonte, dass Ärzte und Apotheker durch die gemeinsame Betreuung der Patienten zur effektiven und sicheren Anwendung der Arzneimittel beitragen können und sollen. Dies betrifft besonders die Anleitung zum Umgang mit inhalativen Arzneimitteln.

  • In leichten Fällen reicht ein schnell wirksames Betasympathomimetikum zur Anfallsbehandlung aus.
  • Die nächste Behandlungsstufe bilden niedrig dosierte inhalative Steroide oder Montelukast. Wegen seines Preises wird Montelukast vom Gemeinsamen Bundesausschuss nur befürwortet, wenn Steroide nicht einsetzbar sind, doch hält Riedel es bei einigen Patienten für vorteilhaft.
  • Im nächsten Schritt kommen Kombinationen oder mittelhoch dosierte inhalative Steroide zum Einsatz. Nur sehr wenige Patienten benötigen noch höhere Steroiddosen oder systemische Steroide.

Bei den Inhalationsmethoden konstatiert Riedel einen internationalen Trend zum verminderten Einsatz von Feuchtverneblern, weil der Umgang mit ihnen mühsam und oft fehlerbehaftet ist und daher die Compliance belastet. Pulverinhalatoren erfordern eine schnelle und kraftvolle Atmung, um die Teilchen zu deaggregieren. Dies können Kinder kaum leisten, insbesondere bei einem Asthmaanfall. Bei einfachen Dosieraerosolen muss gleichzeitig eingeatmet und dabei der Sprühstoß ausgelöst werden. Diese Koordination fällt vielen Erwachsenen schwer und gelingt kleinen Kindern nicht. Kinder sollten daher mit einem Spacer inhalieren, in dem das Aerosol für 15 bis 30 Sekunden als Wolke steht. Je nach Alter kann das Kind den Spacerinhalt mit bis zu zehn tiefen Atemzügen leeren. Um den Rückfluss des Aerosols zu verhindern, muss der Spacer ein Ventil haben.

Babys und Kleinkinder bis zu vier Jahren inhalieren aus einem Spacer mit einer Maske, die Mund und Nase umschließt. Das Kind soll dabei in einem Winkel von etwa 45 Grad gehalten werden, damit es nicht gegen den Druck des Spacerventils atmen muss. Nach der Anwendung corticoidhaltiger Inhalativa muss das Gesicht abgewischt werden, um Nebenwirkungen an der Gesichtshaut zu verhindern. Außerdem soll das Kind dann trinken, um den Mund auszuspülen und Soor zu vermeiden.

Therapie mit Neuroleptika

Prof. Dr. Frank Häßler, Rostock, berichtete über den Einsatz von Neuroleptika bei Schizophrenien. Fast alle Neuroleptika sind "dirty drugs", haben also mehrere pharmakologische Angriffspunkte. Zu den unerwünschten Wirkungen gehören extrapyramidal-motorische Symptome, Gewichtszunahme, Hyperprolaktinämie mit der Folge sexueller Störungen, Sedation und kardiale Effekte. Daher sollte die Herzfunktion regelmäßig kontrolliert werden. Neuroleptika sollen zunächst niedrig dosiert und später langsam auftitriert werden. Dies gilt besonders für Patienten mit Intelligenzminderung.

Ziel der Therapie mit Neuroleptika ist nicht nur die Symptomfreiheit, sondern auch die Erhöhung der Lebensqualität oder der individuell empfundenen Lebenszufriedenheit. Die Eltern der behandelten Kinder sollten informiert werden, dass die Wirkung erst nach zwei bis sechs Wochen eintritt. Eine große Herausforderung ist die konsequente Fortsetzung der Therapie, die sich typischerweise über vier oder mehr Jahre erstreckt.

Nach dem Absetzen der Medikation kann es ein halbes Jahr dauern, bis die Symptome zurückkehren. Dennoch sollten nicht zu oft Auslassversuche gemacht werden, weil danach die Wirksamkeit des Medikaments herabgesetzt sein kann.

Surftipp

Die Internetseite
bietet eine Datenbank über Arzneimittel, die für mindestens eine Altersgruppe vom Neugeborenen bis zum Jugendlichen zugelassen sind. Mit den zunehmenden Erkenntnissen über die Arzneimittelanwendung bei Kindern und Jugendlichen wird diese Datenbank laufend ausgebaut.

Hilfe für den Zappelphilipp

Die häufigste Diagnose in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS), von dem etwa fünf bis zehn Prozent aller Kinder betroffen sind. ADHS ist noch immer "unterdiagnostiziert", meint Prof. Dr. Dr. Lioba Baving, Kiel. Die Häufigkeit von ADHS habe nicht wesentlich zugenommen, vielmehr seien die Kinder früher nicht so genau diagnostiziert worden, oder die Betroffenen wurden als dumm oder unartig betrachtet.

Kernsymptome des ADHS sind Aufmerksamkeitsdefizit, Ungeduld, Impulsivität und motorische Hyperaktivität. Bei leichten Formen reichen psychologische Behandlungsformen aus. Die Eltern sollten für einen strukturierten Tagesablauf und ein organisiertes Lebensumfeld des Kindes sorgen.

Die Ursachen des ADHS liegen insbesondere im dopaminergen, aber auch im noradrenergen System. Durch einen übermäßig aktiven Dopamintransporter wird Dopamin zu schnell aus dem synaptischen Spalt abtransportiert. Die Standardmedikation Methylphenidat blockiert diesen Transporter und erhöht damit die Dopaminkonzentration im synaptischen Spalt. Für eine erfolgreiche Therapie ist die angemessene Dosierung entscheidend. Niedrige Dosierungen sollen die Aufmerksamkeit wieder herstellen, während höhere Dosierungen auch die Hypermotorik mindern, aber nur in schweren Fällen angebracht erscheinen. Als Obergrenze gilt 1 mg Methylphenidat pro kg Körpergewicht pro Tag. Bei noch höheren Dosierungen verschlechtert sich der Effekt und nehmen die unerwünschten Wirkungen zu.

Die Wirkung von Methylphenidat setzt nach oraler Gabe schnell ein, doch bereits nach vier Stunden ist kein klinischer Effekt mehr zu erkennen. Meist werden morgens und mittags je eine Dosis gegeben, vorzugsweise nach dem Essen. Auf nüchternen Magen wirkt Methylphenidat bereits nach zehn Minuten. Einmal jährlich sollte ein Auslassversuch stattfinden.

Vor dem Einsatz von Methylphenidat muss eine kardiologische Untersuchung erfolgen, weil bei Vorschädigungen des Herzens Fälle von plötzlichem Herztod als Folge sympathomimetischer Effekte aufgetreten sind. Daher muss auch der zusätzliche Gebrauch von Rauschmitteln, insbesondere Ecstasy, unbedingt verhindert werden. Mögliche unerwünschte Wirkungen von Methylphenidat sind verminderter Appetit, zunehmende Angst und Reizbarkeit sowie Krampfanfälle. Psychotische Störungen, Herzanomalien und Schwangerschaft sind Kontraindikationen. Einschlafstörungen durch Methylphenidat können vermieden werden, wenn ein Präparat mit einer hinreichend kleinen Retardkomponente gewählt wird. Die verschiedenen Retardpräparate unterscheiden sich durch das Konzept der Retardierung und durch die jeweiligen Anteile des schnell bzw. retardiert freigesetzten Wirkstoffs. Den größten Retardanteil hat Concerta® ; bei Ritalin® LA sind beide Anteile gleich groß.

Methylphenidat ist bei etwa 70 bis 80 Prozent der Patienten erfolgreich, berichtete Baving.

Als Mittel der zweiten Wahl gilt Amphetamin, das als Rezeptur verordnet wird. Das in den USA bereits zugelassene Lisdexamfetamin wirkt als Prodrug und soll daher das Missbrauchsrisiko minimieren.

Eine weitere Alternative bietet Atomoxetin, das den Noradrenalin-Transporter blockiert. Nach Einschätzung von Baving wirkt es schwächer als die Stimulanzien und hat mehr unerwünschte Wirkungen. Die volle Wirkung setzt erst im Laufe von Wochen ein.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Gesamtkörperclearance steigt bei Säuglingen stark an und nimmt bei Jugendlichen wieder ab. Sie ist nicht proportional zum Körpergewicht oder -volumen.
  • Dosierungen für Kinder müssen für jeden einzelnen Arzneistoff getrennt ermittelt werden.
  • Die Akzeptanz durch die Kinder ist eine Grundvoraussetzung für jede orale Therapie, der Geschmack einer Arzneiform hat daher eine zentrale Bedeutung.
  • Mischformen zwischen festen und flüssigen Arzneiformen versprechen aussichtsreiche Neuentwicklungen.
  • Antibiotikasäfte sollten in der Apotheke zubereitet werden, um Zubereitungsfehler zu vermeiden. Eine Dosierspritze verbessert die Dosierungsgenauigkeit.
  • Bei einer Otitis media steht zunächst die Schmerzlinderung im Vordergrund. Bevor über den Antibiotikaeinsatz entschieden wird, kann meist einen Tag abgewartet werden.
  • Wenn dehydrierte Kinder bei Durchfallerkrankungen nicht mehr trinken wollen oder nicht mehr schreien, ist eine sofortige Krankenhausbehandlung erforderlich.
  • Bei Kindern mit Asthma sollte jede Gelegenheit genutzt werden, um die richtige Inhalationspraxis zu prüfen.
  • Dosieraerosole in Verbindung mit Spacern bieten eine geeignete Möglichkeit für die Inhalation von Asthmamitteln bei Kindern.
  • Für den Erfolg einer ADHS-Therapie mit Methylphenidat sind die richtige Dosierung und die individuell angemessene Auswahl einer Retardzubereitung entscheidend.

Essstörungen bei Jugendlichen

Ein weiteres Gesundheitsproblem mit psychischem Hintergrund sind Essstörungen, über die Dr. Lars Wöckel, Aachen, berichtete. Dazu gehören Magersucht (Anorexie), Bulimie und weitere nicht näher bezeichnete Störungen. Sie sind nicht immer klar voneinander abzugrenzen, außerdem können sie im Krankheitsverlauf wechseln.

Typisch für die Magersucht ist das restriktive Essverhalten, oft verbunden mit dem Gebrauch von Laxanzien. Das Gewicht liegt mindestens 15% unter dem Normalgewicht. Die Erkrankung beginnt meist mit der Pubertät, Mädchen sind zehnmal häufiger als Jungen betroffen. Bei zehn Prozent der Patienten bleibt das Vollbild dauerhaft bestehen.

Wenn Patienten über mehr als drei Monate mindestens zweimal pro Woche sehr große Mengen essen und danach Erbrechen oder Abführen provozieren, liegt eine Bulimie vor. Davon sind zwei bis drei Prozent der jungen Erwachsenen betroffen. Die Erkrankung beginnt tendenziell später als die Magersucht und hat eine bessere Prognose.

Als Folgen von Essstörungen treten Mangelerscheinungen wie Wachstumsstörungen, Karies, Muskelatrophie, Haarausfall, aber auch Ödeme und kardiale Komplikationen auf. Letztere sind die häufigste Todesursache von Personen mit Essstörungen. Im Hungerzustand steigt die Cortisonausschüttung, während die Produktion an Schilddrüsen- und Geschlechtshormonen sinkt. Bei der Gewichtsrestitution erweist sich das Peptidhormon Leptin als Gegenspieler. Leptin vermittelt dem Gehirn Informationen über den Fettgehalt des Körpers, seine Konzentration sinkt daher bei Anorexie stark ab. Wenn die Patienten wieder essen, steigt der Leptinspiegel stark an und bremst damit den Appetit.

Patienten mit Essstörungen werden insbesondere psychotherapeutisch behandelt. Eine frühe Behandlung verbessert die Prognose. Für den Einsatz von Psychopharmaka bei Magersüchtigen sieht Wöckel keine überzeugenden Belege in klinischen Studien. In den USA ist Fluoxetin zur Therapie von erwachsenen Bulimikern zugelassen, weil es die Häufigkeit der Essanfälle vermindert.

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