DAZ aktuell

Die Gewinner der Honorarreform schweigen

BERLIN (ks). Zu Jahresbeginn ist die Honorarreform der Ärzte in Kraft getreten. Nachdem die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) ihren Mitgliedern Mitteilungen über ihr sogenanntes Regelleistungsvolumen geschickt haben, regt sich bei einigen Medizinern deutlicher Unmut. In der vergangenen Woche kam es zu Demonstrationen und Praxisschließungen. Andere Ärzte verlangen von gesetzlich Versicherten Vorkasse für die Behandlung. Obwohl die Mediziner in diesem Jahr im Vergleich zu 2007 knapp 3 Mrd. Euro bzw. zehn Prozent mehr Honorar erwarten können, fürchten vor allem Ärzte in Baden-Württemberg, Bayern und Schleswig-Holstein erhebliche Einnahmeausfälle.

Am 11. März fand nach dem Aufruf des Hausärzteverbandes, des Medi Verbundes sowie einiger Facharztverbände ein landesweiter Protesttag in Baden-Württemberg statt. Rund 8000 Ärzte demonstrierten in Stuttgart, zahlreiche Praxen blieben geschlossen. Stein des Anstoßes ist die neue Verteilung der Ärztehonorare durch die KVen. Lange haben die Ärzte nach neuen Abrechnungsmodalitäten gerufen, nach einer Gebührenordnung in Euro und Cent. Nun ist sie da – und tatsächlich dürfte sich ein großer Teil der Ärzteschaft hierüber freuen. Denn nun wissen die Mediziner nicht nur, wie viel Geld sie für eine Leistung bekommen. Die Gelder fließen nun auch nach anderen Schlüsseln in die Regionen und die verschiedenen Facharztgruppen, um bestehende Ungleichgewichte auszutarieren. Vor allem die Mediziner in den neuen Bundesländern sind derzeit im Klagechor ihrer Kollegen nicht zu vernehmen, schließlich sollen sie nach der Reform endlich ebenso honoriert werden wie ihre Kollegen im Westen. In den fünf Ländern werden die Honorarzuwächse nach simulierten Hochrechnungen zwischen 16 und 24 Prozent liegen. Im Westen werden die Zuwächse voraussichtlich durchschnittlich rund 8,3 Prozent betragen. Deutlich über dem Schnitt wird das Plus allerdings beispielsweise in Niedersachsen, dem Saarland und Berlin ausfallen. Dagegen können die Ärzte in Schleswig-Holstein und Bayern "nur" mit einem Zuwachs von 6,3 Prozent rechnen, die baden-württembergischen Kollegen bilden mit 2,5 Prozent das Schlusslicht. Auch innerhalb der Facharztgruppen wird es erhebliche Verschiebungen geben. Doch noch ist nicht seriös absehbar, wie es um die Vergütung im ersten Quartal 2009 tatsächlich bestellt ist. Die ersten validen Daten hierzu werden erst im Mai vorliegen.

KBV: Erste Quartalsrechnung abwarten

Bis dahin wird es sicherlich weitere Proteste geben. Verbraucherschützer und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) appellieren an Patienten, sich nicht auf Forderungen nach Vorkasse einzulassen. KBV-Vorstand Andreas Köhler betonte im Interview mit der "Welt" (Ausgabe vom 16. März): "Kein Arzt darf streiken, wenn er zur Versorgung von Kassenpatienten zugelassen ist. Kein Arzt darf Patienten abweisen, die Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Und kein Arzt darf Vorkasse für Leistungen verlangen, die zum Katalog der Krankenkassen gehören. Daran müssen sich die Kollegen halten." Er zeigte sich überrascht über die Intensität und den Zeitpunkt der Ärzteproteste. Es sei klar gewesen, dass es Gewinner und Verlierer geben würde. Während die vielen Gewinner der Reform schweigen, kocht der Unmut bei den vermeintlichen Verlierern bereits hoch, ehe die ersten Quartalsabrechnungen vorliegen. Köhler betonte, dass die Ärzte bislang lediglich Mitteilungen über ihr Regelleistungsvolumen bekommen hätten. Dies sei aber nur ein Teil des Einkommens. Das Regelleistungsvolumen – ein Instrument zur Mengenbegrenzung, das ebenfalls bereits seit 2004 anzuwenden ist – bestimmt die Menge der Leistungen, die dem Arzt tatsächlich in voller Höhe nach der Euro-Gebührenordnung honoriert werden. Wer mehr verordnet, muss mit abgestaffelten, niedrigeren Preisen hierfür leben. Tatsächlich fällt eine beachtliche Zahl medizinischer Leistungen nicht in dieses Regelleistungsvolumen: So werden etwa sämtliche Vorsorgeleistungen, ambulante Operationen, neue Leistungen, dringende Hausbesuche und Akkupunktur auf jeden Fall und ohne Mengenbegrenzung in voller Höhe honoriert.

Die Selbstverwaltung ist gefragt

Köhler hat es derzeit nicht leicht. Schließlich war es die KBV, die die nun scharf kritisierte Honorarreform ausgearbeitet hat. Zwar hatte der Gesetzgeber bereits mit der Gesundheitsreform 2004 den Grundstein gelegt – die konkrete Ausgestaltung der neuen Vergütungsregelung hat er jedoch der Selbstverwaltung überlassen. Und die hatte hieran im vergangenen Jahr einiges zu knabbern. Im sogenannten Erweiterten Bewertungsausschuss haben KBV und Kassen mit dem Gesundheitsökonomen Professor Jürgen Wasem als unparteiischem Vorsitzenden die Details ausgehandelt. Mit der Stimme des Unparteiischen auf ihrer Seite setzten sich die Ärzte am Ende mit ihren Forderungen durch. Aber auch die auf Bundesebene getroffenen Entscheidungen lassen den einzelnen KVen noch einen weiteren Gestaltungsspielraum – und so sind die Probleme von KV zu KV höchst unterschiedlich. Auch Köhler ist mittlerweile nicht mehr gänzlich von dem überzeugt, was er im letzten Jahr beschlossen hat. In der "Welt" räumte er "Konstruktionsfehler" bei den Regelleistungsvolumen ein, die behoben werden müssten.

Streit um 1,5 Mrd. Euro

Am 17. März (nach Redaktionsschluss der DAZ) wollten sich Kassen und Ärzte zur Schlichtung erneut im Erweiterten Bewertungsausschuss treffen. Die Kassen gaben sich jedoch bereits im Vorfeld unnachgiebig: "Auf der Bundesebene sehe ich keine Notwendigkeit zur Korrektur", sagte der Vize-Chef des GKV-Spitzenverbands der Krankenkassen, Johann-Magnus von Stackelberg, der "Welt am Sonntag". Sollte die neue Honorarordnung doch bundesweit korrigiert werden, würden die Ärzte auch in den Bundesländern Vorteile erhalten, in denen keine Verbesserungen nötig seien. Köhler sieht dagegen bereits erste Einsicht auf Kassenseite und ist optimistisch, dass Nachbesserungen möglich sind. Seine Forderung: Die niedergelassenen Ärzte sollen 2009 im Vergleich zu 2008 insgesamt 3 Mrd. Euro mehr Geld bekommen – das sind rund 1,5 Mrd. mehr als vorgesehen, denn bislang ist 2007 die Basis aller Berechnungen. Doch 2008 hatte es bereits teilweise deutliche Honorarzuwächse gegeben, die bei den Simulationsrechnungen, die dem Erweiterten Bewertungsausschuss zugrunde lagen, nicht berücksichtigt wurden.

Indessen hat sich Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt als Moderatorin in der verfahrenen Situation angeboten. Sie ist bereit zu schlichten – allerdings nur in einem gewissen Rahmen. Nicht zuletzt angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftskrise hat sie in den letzten Wochen wiederholt klargestellt: "Mehr Geld gibt es nicht."

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