Feuilleton

Vor 300 Jahren wurde Andreas Sigismund Marggraf geboren

Heute kaum vorstellbar ist die Tatsache, dass Zucker einst ein Luxusgut war. Anfangs galt das aus Übersee eingeführte "süße Salz" gar als Heilmittel bei mancherlei Beschwerden und zählte zu den apothekenüblichen Waren. Auch der Berliner Apotheker Henning Christian Marggraf (1680 –1754) handelte mit Zucker. Sein erster Sohn Andreas Sigismund kam am 3. März 1709 zur Welt. Schon früh mit dem Apothekenlaboratorium vertraut, entwickelte er sich zu einem bedeutenden Chemiker.
Andreas Sigismund Marggraf Bronzebüste von Ferdinand Lepcke, 1892, im Institut für Zuckerindustrie in Berlin.
Foto: Andreas Hentschel

Nach der Lehre bei seinem Vater und der Gehilfenzeit in mehreren angesehenen Apotheken studierte Marggraf Medizin und Chemie in Halle an der Saale, danach Mineralogie und Metallurgie in Freiberg in Sachsen. Es folgten ausgiebige Erkundungen im Harzer Bergrevier. Nach Berlin zurückgekehrt, arbeitete und forschte er zunächst in der väterlichen Bären-Apotheke, wo er ein eigenes kleines Laboratorium unterhielt. Nach dem Tode des Berliner Hofapothekers und Chemieprofessors Caspar Neumann (1683 – 1737), der einer seiner Lehrer gewesen war, wurde Marggraf zum ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften berufen, die für ihn ein neues chemisches Laboratorium einrichtete.

Einfach genial

Schon bald galt Marggraf seinen Zeitgenossen als "größter deutscher Chymicus". Er entwickelte die chemische Analyse und Technologie weiter, nutzte als einer der ersten Chemiker das Mikroskop zur Identifizierung kristalliner Substanzen und stellte beispielsweise erstmals Phosphorsäure her.

Der schottische Physiker und Chemiker Joseph Black (1728 – 1799), Entdecker des Kohlendioxids, schrieb über ihn: "Er ersann und vollführte seine Experimente mit solcher chemischen Geschicklichkeit, dass sie außerordentlich belehrend und befriedigend waren, und er beschrieb sie mit derartiger Anspruchslosigkeit und Einfachheit, unter völliger Vermeidung des Gelehrten- und Eigen-Dünkels, mit dem manche andere Autoren ihre Werke verunzieren, dass ich von Marggraf ganz entzückt war."

Zucker in der Rübe

Eher zufällig begann Marggraf, wie er später schrieb, "die Teile von Pflanzengattungen, welche einen süßen Geschmack haben, zu untersuchen. Und nach darüber angestellten mannigfachen Versuchen fand ich, dass einige dieser Pflanzen nicht nur einen dem Zucker ähnlichen Stoff, sondern sogar wirklichen Zucker, der dem bekannten aus Zuckerrohr gewonnenen genau gleicht, enthalten". Über diese folgenreiche Entdeckung hielt er am 14. November 1747 vor den Berliner Akademiemitgliedern einen Vortrag in lateinischer Sprache. Der Text wurde 1749 auf Französisch und 1751 in deutscher Übersetzung gedruckt. Darin berichtete Marggraf über den Zuckergehalt mehrerer Pflanzen, darunter auch Rüben (Beta vulgaris). Zudem erkannte er bereits die ökonomischen Folgen seiner Entdeckung für den "armen Bauern", wenn dieser "mit Hilfe gewisser nicht viel kostender Maschinen den Saft aus diesen Pflanzenteilen auspresste, ihn einigermaßen reinigte und alsdann zur Konsistenz eines Sirups verdickte". Letztlich war Marggraf überzeugt, "dass dieses süße Salz in unserer Heimat gerade so bereitet werden kann wie in Gegenden, wo das Zuckerrohr wächst". Doch sollten noch einige Jahrzehnte bis zur Erfüllung dieser Prophezeiung vergehen.

Wie 1814 der Chemiker Sigismund Friedrich Hermbstaedt (1760 – 1833) in seinem "Grundriss der Technologie" zurückblickend feststellte, wurde Marggrafs Entdeckung zu dessen Lebzeiten als eine "wissenschaftlich-technische Merkwürdigkeit angesehen, die nur bei den Physikern Aufmerksamkeit erregte, die aber bald wieder in Vergessenheit geriet, weil man am indischen (Rohr-) Zucker durchaus keinen Mangel litt und derselbe zu wohlfeil war, als dass es die Mühe wert gewesen wäre, sein Augenmerk auf einen Stellvertreter desselben zu richten."

Forschungen im Sinne des Merkantilismus

Dabei waren Marggrafs Bemühungen ganz im Sinne des preußischen Königs Friedrichs II. (1712 – 1786), der gefordert hatte: "Beim Handel und den Manufakturen muss grundsätzlich verhindert werden, dass das Geld außer Landes geht, dagegen bewirkt werden, dass es ins Land kommt." Folglich wurden unter seiner Herrschaft Importwaren wie Wein, Seide, Tabak, Tee, Kaffee, Schokolade und Zucker um ein Vielfaches ihres Marktpreises besteuert oder zugunsten einheimischer Ersatzstoffe verboten. So beauftragte er Marggraf, die Möglichkeit des Anbaus von Sonnenblumen zu untersuchen, weil deren Samen "sehr ölig und das daraus gepresste Öl von besonderer Süßigkeit sein soll". Zudem sollte Marggraf ein Surrogat für Kaffee finden. Das entsprechende Produkt, ein Mix einheimischer gerösteter Feldfrüchte, darunter auch Rübenschnipsel, fand aber keine Nachfrage, weshalb der König 1781 das staatliche Kaffeemonopol verfügte.

Achard führt das Werk fort

Zu diesem Zeitpunkt war die Arbeitsfähigkeit des großen Chemikers bereits erheblich eingeschränkt. Schon 1774 hatte Marggraf einen ersten Schlaganfall erlitten und sich danach von der Akademie ausgebeten, dass man Franz Carl Achard (1753 – 1821) als seinen bezahlten Gehilfen einstellte. Der durchaus geizige König verweigerte seine Zustimmung, in dem er lakonisch am 3. Oktober 1775 schrieb: "Noch lebt Marggraf, und ich glaube nicht, dass er danach verlangt, bald in einem Labor in der anderen Welt zu arbeiten." Dorthin wurde des Königs "Chymicus" am 7. August 1782, nachmittags 4 Uhr, abberufen. Als Friedrich II. die Todesnachricht erhielt, entschied er, dass Achard dessen Nachfolge in allen Ämtern antreten und zugleich dessen Laboratorium übernehmen soll. Nach weiteren Forschungen begann Achard um 1800 in großem Maßstab Rübenzucker zu fabrizieren.


Andreas Hentschel, Berlin

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.