Versandhandel

"Narcotics Sold Online. No Prescription Required"

Der Handel von Arzneimitteln scheint nicht nur für legale Branchen der "Ausweg" aus krisenhaften Ereignissen zu sein, wenn Rasierwasser und Gesichtscreme, Babywindeln und Scheuermittel nicht mehr die erwarteten Gewinne bringen. Auch der illegale Markt erschließt "neue Geschäftsfelder". Dies ist eine sehr gefährliche Entwicklung, wie Ereignisse jüngerer Zeit, z. B. in den USA, zeigen. Auch wenn hier der Übergang zwischen legal und illegal oft "schwimmend" und für den Verbraucher schwer erkennbar ist. Im Rahmen unserer Beschäftigung mit Arzneimittelangeboten im Internet sind wir erneut auf dies "interessante Phänomen" gestoßen.
Abb. 1: Heroin übers Internet – mittlerweile wird dies auf mehreren Seiten angeboten.

So werden in erheblichem Umfang Seiten präsentiert, auf denen Narkotika (Narcotics1) oder verwandte Produkte angeboten werden (siehe Abbildung 1).

Ein auf den ersten Blick sehr beeindruckendes Beispiel, das eine – angebliche – europäische Gesetzeslücke durch Versand aus Malta nutzt, wodurch dieser Handel legal sein soll, zeigt Abbildung 2. Zur (relativen) Beruhigung: Für diese Seite gilt, auch nach Diskussion mit polizeilichen Fachleuten und Tests durch diese, dass es sich (vermutlich) um das "Scherzangebot einer Satireseite" handelt, aber sicher ist das bis heute nicht, ggf. ist die Seite auch nur noch nicht "scharf" geschaltet. Aber zumindest ist es wieder ein Beispiel für den berühmten "Hund im Internet2 ", die Metapher dafür, dass sich niemand sicher sein kann, einem "echten" Angebot gegenüber zu stehen.

Viele andere der Seiten sind dagegen tatsächlich in dem illegalen Markt aktiv. Wir haben uns daher entschlossen die Situation etwas genauer zu untersuchen.

Bei Internetrecherchen stößt man auf eine – in Deutschland augenscheinlich kaum beachtete – nahezu letzte Aktivität der Bush-Administration vor ihrem Abtreten. Am 16. Oktober 2008 unterzeichnete G. W. Bush ein entsprechendes Gesetz3:

President Bush has signed the house version of legislation sponsored by U.S. Senators Dianne Feinstein (Democrats-Calif.) and Jeff Sessions (Republicans-Ala.) to stop rogue pharmacies operating on the internet and protect the safety of consumers who fill legitimate prescriptions online.

Das Gesetz tritt automatisch nach 180 Tagen – also im März 2009 in Kraft. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass die Initiative von beiden konkurrierenden Parteien ausging und daher auch unter Präsident Obama Bestand haben wird. Was war der Hintergrund für diese Gesetzesinitiative?

Wie der Online-Drogenhandel läuft

Bislang war "Phishing" eine der größten Gefahren für Verbraucher im Internet4 Hierunter versteht man den Versuch, über gefälschte Internetadressen an Daten eines Internet-Benutzers zu gelangen, um persönliche Informationen, Konto- oder Kreditkartendaten usw. zu sammeln, um die Opfer auszuplündern. Dies war bisher eine der lukrativsten kriminellen Aktivitäten im Web.

Jetzt wurde eine neue Dimension illegaler Aktivitäten entdeckt. Eine indische Softwarefirma und ihr amerikanischer Partner werden wegen des illegalen Vertriebs von Rauschgift über das Internet an Süchtige auf der ganzen Welt angeklagt. Agenten des indischen Rauschgiftkontroll-

büros (NCB) kamen Anfang Juli 2008 der Fa. "Xponse Technology" und zwei ihrer Call-Center auf die Schliche und verhafteten den Gründer Sanjay Kedia, 31, und leitende Angestellte. Die Anklage lautet auf Verkauf von Rauschgiften über das Internet in erster Linie auf dem nordamerikanischen Markt. Zusammen mit seinem US-Partner, Steven Mahana, der einen Anteil von 49% an Xponse besitzt, soll Kedia am Schwarzhandel mit psychotropen Substanzen, zusammen mit einem kolumbianischen Rauschgiftkartell, beteiligt sein. In den letzten zwei Jahren sollen sie über 500.000 US-Dollar je Monat an Tausenden von Kunden, hauptsächlich in den Vereinigten Staaten, Kanada und Schweden, verdient haben. "Wir wissen, dass Kedia ein Konto auf einer Luxemburger Bank unter einem Decknamen besitzt und sich dort 10 Millionen US-Dollar befinden", sagte Sandeep Mittal, der Direktor des NCB. Außerdem wurden Tausende von Dollars, versteckt in verschiedenen lokalen Banken, gefunden. Gemäß den Ermittlungen der NCB baute Kedia eine Datenbank von Ärzten in den Vereinigten Staaten mit ihren Registrierungsnummern auf und den Narcotica, die sie üblicherweise verschreiben. Dann ließ er 29 angebliche Online-Apotheken (z. B. deliveredmedicine.com, truevaluepharmacy.com, deliveredphentermine.com, truevalueprescription.com, expressphentermine.com, stronghealthpharmacy.com) ans Netz gehen und verbreitete die Namen über Massen-E-Mails. Wenn Konsumenten auf diese Seiten surften, konnten sie sich einloggen und die Nummern von gebührenfreien Call-Centern erhalten. Dort wurden die (überhöhten) Zahlungsmodalitäten für die Produkte geklärt und die Daten des Kunden einschließlich Details wie Name, Adresse, Körpergewicht und Blutdruck aufgenommen. Nach der Zahlung erhielt eine Internetapotheke im Namen des Kunden die gefälschten Rezepte mit Daten von Ärzten aus der Datenbank einschließlich gefälschter Unterschrift und die Zahlung für das Arzneimittel. Bei den Beschuldigten verblieb der überzahlte Betrag. "Der ganze Vorgang wurde mit erheblicher Präzision ausgeführt", konstatierten die NCB-Beamten.

Die CASA-Studie

CASA is undertaking a landmark study on the diversion and abuse of prescription drugs. During the course of our research, we became concerned by the astonishing availability of controlled, dangerous, addictive prescription drugs through the Internet. The findings were so alarming that CASA and BDA released them prior to the completion of CASA’s comprehensive study in order to alert parents, teachers and other caregivers of the dangers, particularly to children. The report, entitled "You’ve Got Drugs!” Prescription Drug Pushers on the Internet, documented in a one week period 495 web-sites offering Schedules II-V controlled prescription drugs and 157 sites selling them. Ninety-four percent of these sites did not require a prescription and no sites included mechanisms to block children from purchasing these drugs.

Missbräuchliche Einnahme von Rx-Arzneimitteln nimmt zu

Erste Hinweise auf das illegale Treiben kamen von der US-amerikanischen Drogenbehörde DEA. Ihr fiel bei Kontrolle ungefähr ein Jahr zuvor bei einigen Apotheken in den Vereinigten Staaten, Kanada und Schweden auf, dass Arzneimittel, die den "prescription-regulations" unterlagen, in therapeutisch viel zu großen Mengen an Patienten sogar im Ausland abgegeben worden waren.

Gemäß einer Untersuchung der Columbia Universität, herausgegeben im Juli 2008 vom National Center on Addiction and Substance Abuse (CASA) unter der Überschrift "You’ve got drugs V: Prescription drug pushers on the Internet5 ", haben 20% aller Teenager mindestens einmal ein verschreibungspflichtiges6 Mittel missbräuchlich verwendet. Teenager sind aufgrund des Neugierdeverhaltens und des mangelnden Risikobewusstseins dafür besonders empfänglich. Im Jahr 2006 missbrauchten 2,2 Millionen Teenager zwischen 12 und 17 Jahren verschreibungspflichtige Mittel.

Zwischen 1992 und 2006 hat sich die Zahl von Menschen, die in den USA verschreibungspflichtige Mittel missbräuchlich verwenden, insgesamt auf 15,8 Millionen verdoppelt. Das ist mehr als die addierte Summe aller Personen, die illegale Drogen wie Kokain, Halluzinogene oder Heroin missbrauchen.

Einige von den Konsumenten geben als Grund an, dass verschreibungspflichtige Mittel, besonders aus dem Bereich der Schmerzmittel, viel leichter als illegale Drogen zu erlangen sind. Die Studie zeigt, dass auf über 85% der Web-Seiten mit Arzneimittelangeboten Opioide wie Vicodin (Inhaltsstoff: Hydrocodon), Stimulanzien wie Adderall (Amphetamin), Xanax (Alprazolam) oder Valium (Diazepam) ohne ärztliche Verschreibung abgeben werden. Viele von ihnen werben sogar mit "Keine Verschreibung benötigt". Nicht einmal Maßnahmen zum Kinderschutz sind auf diesen Seiten verwirklicht. Zum Erhalt derartiger Produkte durch Kinder war nicht einmal eine falsche Altersangabe erforderlich. In einem überwachten Experiment bestellte und erhielt ein 13-Jähriger mit korrekter Altersangabe Ritalin (Methylphenidat). "Jeder jeglicher Altersstufe kann gefährliche und abhängig machende Stoffe mit einem Mausklick erhalten", bemerkte Joseph A. Califano Jr., Vorsitzender des National Center on Addiction and Substance Abuse und früherer U.S. Secretary of Health, Education and Welfare, " und das Problem verschwindet nicht durch ignorieren".

"Narkotika werden über das Internet von US-amerikanischen Apotheken ohne Beachtung der Rechtslage verkauft", war eine Aussage von Ermittlungsbeamten des General Accounting Office (GAO), dem "recherchierenden Arm des Kongresses", im Juni 2004 vor einem Senatsausschuss und sie warnten vor der Gefahr, Medikamente online zu kaufen7 Sie berichteten, dass sie testhalber Hydrocodon im Internet bezogen hatten. "Der ,Schlüssel zur Lieferung‘ war einzig die Kreditkarte", sagte Robert Cramer, Senior Investigator der GAO. In keinem Fall wurden die GAO-Angestellten, die sich für Patienten ausgaben, gebeten einen Arzt aufzusuchen oder eine Verschreibung vorzulegen. Kanadische Apotheken scheinen nach diesen Ermittlungen rechtstreuer als US-amerikanische Internetapotheken oder aus anderen Ländern zu sein. Alle 18 getesteten kanadischen Seiten hielten sich an die Rechtslage und verlangten vor Lieferung ärztliche Verschreibungen. Das war nur bei 5 von 29 getesteten US-amerikanischen Online-Apotheken der Fall und bei keiner der Auslandsapotheken, erklärten die Ermittlungsbeamten im Senatsausschuss, die die Vorschriften für den Internethandel in den Vereinigten Staaten, Kanada, Mexiko, Spanien, Thailand und sieben anderen Ländern überprüft hatten. Einige der Auslandsapotheken lieferten gefälschte Ware und die meisten Produkte kamen ohne Beipackzettel oder Warnungen, ergab der Bericht durch den GAO. Andere kamen in beschädigten oder unkonventionellen Verpackungen an, z. B. eine Sendung mit Oxycodon (OxyContin) kam in einer für CDs gedachten Verpackung, eine andere kam in einer versiegelten Aluminiumdose, beschriftet mit "Gold Dye and Stain Remover Wax".

Die US Drug Enforcement Agency (DEA) hat schon etliche Online-Apotheken geschlossen und andere wegen illegaler Abgabepraktiken abgemahnt.

"Finally, we can stop these rogue online pharmacies once and for all”, Senator Feinstein said. "From now on, all controlled substances purchased on the Internet must be made with a legitimate prescription following a medical examination 8 ."

Strengere Gesetze in Sicht

Mit der neuen Gesetzgebung werden die Regeln für Online-Apotheken deutlich strenger. Diese müssen sich bei der DEA speziell registrieren lassen, wenn sie "controlled substances" handeln wollen. Sie müssen umfangreiche Informationen über Kunden, Lieferanten, Partner und ihnen verbundene Ärzte liefern. Und die Haftstrafen für illegalen Verkauf werden erheblich angehoben.

Es ist faszinierend den Stimmungsumschwung zum Internethandel zu erfahren, der unsere deutschen Politiker noch immer nicht erfasst hat. In einigen Staaten der USA werden folgerichtig die lokalen Gesetze überarbeitet, um den Internet-Versandhandel einzuschränken. In Arkansas zum Beispiel ist es jetzt wieder verboten, verschreibungspflichtige Mittel abzugeben, ohne dass ein Arzt den Patienten physisch untersucht hat.

Schaut man sich bei vielen dieser Angebote z. B. die Stichwortlisten an, beeindruckt der Produktumfang, der praktisch "keine Wünsche offen lässt" (siehe Abbildung 3).

Der aus unserer Sicht neueste Trend – für den noch niemand, auch nicht in den USA, ein Rezept zu haben scheint – ist die Bewerbung von "Designer-Drugs", d. h. Produkte, die noch nicht auf den bürokratisch-schwerfälligen Verbotslisten stehen und daher juristisch schwer zu fassen sind. Im Feld der verfälschten "Bio"-Suchtmittel erleben wir dies gerade mit Spice und Space9 (Abbildung 4).

Aber genau dies ist der Grund dafür, dass wir nicht im Kampf gegen die "Pest des illegalen Handels von Arzneimitteln im Internet" nachlassen dürfen.

Fazit

In Deutschland wurde die "Büchse der Pandora10 " mit der Freigabe des Internethandels 2004 durch Ulla Schmidt geöffnet und niemand schafft es, sie wieder zu schließen. Und die Kriminellen dieser Welt haben die Chance dieses Geschäftsfeldes schnell erfasst und sind dabei es in jeder denkbaren Richtung auszuloten.

Welches (vorläufige) Fazit ist aus dem Vorstehenden zu ziehen:

1. Im Internet werden im erheblichen Umfang Produkte angeboten, die nach deutschem Rechtsverständnis nicht nur verschreibungspflichtig, sondern sogar Betäubungsmittel sind. Lieferungen erfolgen in die ganze Welt.

2. Zahlreiche Seiten bieten diese Produkte ohne Nachweis oder Nachfrage nach ärztlichen Verordnungen an, vielfach wird mit "no prescription required" sogar geworben.

3. Etliche Seiten zielen direkt auf die Versorgung Süchtiger, gewinnen aber auch Neukonsumenten in der Gruppe der Teenager.

4. Zu den Hintermännern gehören offensichtlich auch Angehörige der Drogenmafia. Die kriminellen Betreiber der Seiten arbeiten hochtechnisiert.

5. Das Problem ist weltweit, wird aber bisher am stärksten durch die Behörden der USA untersucht und bekämpft.

6. Die Regierung Bush hat – auf Initiative von Senatoren beider Parteien – die Konsequenzen gezogen und ein Gesetz verabschiedet, das die Kontrolle und die Strafen drastisch verstärkt.

In Deutschland scheint noch kein Politiker die Problematik erkannt zu haben oder sich darum zu bekümmern. Umdenken ist gefordert.

Autor

Prof. Dr. Harald G. Schweim, Universität Bonn, Drug Regulatory Affairs
Abb. 2: Vermutlich ein Scherzangebot im Internet: Crack und Cocain online
Abb. 3: Ein Auszug aus der Angebotsliste von illegalen Internetapotheken.
Abb. 4: Bewerbung von "Bio Designer Drugs" wie Spice – ein Verbot ist juristisch (noch) schwer zu fassen.

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