Reframing – die Kunst der erstaunlichen Umdeutung

Bedeutung absichtlich erzeugen

Was wir sagen, "bedeutet" nicht unabhängig von der Situation etwas Bestimmtes. Allein das Wort "bitte" kann, je nach Tonfall und Anlass, völlig unterschiedliche Bedeutungen haben, von einem inständigen Flehen bis zu einer herablassenden Geste. Bedeutung wollen wir nicht nur dem verleihen, was wir über uns selbst sagen; Bedeutung können wir auch dem verleihen, was uns mitgeteilt wird. Auch wenn wir an anderen Menschen ein Verhalten beobachten, erhält dieses seine Bedeutung erst durch die "Brille", mit der wir dieses Verhalten betrachten. Aus dieser Deutungsmacht ergeben sich spannende Möglichkeiten für die Kundenberatung und die Mitarbeiterführung in der Apotheke.

Sie sitzen entspannt an einer fröhlichen Tafel. Da stellt der Herr Ihnen gegenüber seinen Fuß auf Ihrem ab. Noch tut es nicht weh. Wie sehen Sie den Fußbesitzer? Als rohen Aggressor, der rücksichtslos auf anderen herumtrampelt; als ignoranten Deppen, der einen Tischfuß nicht von Ihrem unterscheiden kann; als schüchternen Kavalier, der Ihnen nonverbale Zeichen gibt; oder als entspannten Mitmenschen, der gerade alle Viere von sich streckt? Erst durch Ihre Antwort machen Sie den Herrn zu der jeweiligen Figur, und dies mehr oder weniger öffentlich:

  • Zornig: "He, aua!"
  • Säuerlich: "Der untere ist meiner."
  • Sachlich: "Sie stehen auf meinem Fuß."
  • Scherzhaft: "Ich merke, Sie stehen auf mich!"
  • Freundlich: "Ich merke, Sie entspannen sich gerade völlig. Es tut noch nicht weh, dass Sie gerade auf meinem Fuß stehen."

In der Kognitions- und der Gesprächspsychologie nennt man die absichtliche Neubewertung oder die unerwartete Aufwertung eines Verhaltens Reframing. Das gezeigte Benehmen oder eine Wortäußerung werden durch den Kommentar, z. B. von der Therapeutin, in einen neuen Rahmen (frame) gestellt. Zweck dieser Neubewertung ist es, beim Angesprochenen eine Wahrnehmungsänderung herbei zu führen. (Dieser Wahrnehmungsänderung soll mit der Zeit eine Verhaltensänderung folgen.) Etwas, das bisher oder üblicherweise als problematisch angesehen wird, sieht dadurch in einem neuen Rahmen plötzlich ganz anders aus – so wie für den Herrn, der seinen Fuß auf Ihren stellt. Bei aller Verlegenheit über das (aus seiner Sicht) peinliche Versehen wird er sich geschmeichelt fühlen, wenn Sie ihn weder angreifen noch ihm böse sind, sondern ihm heiter ein freundliches Motiv unterstellen.

Was bringt Reframing im Apothekenalltag?


  • Es entspannt die Kommunikation und wirkt deeskalierend.
  • Eine optimistische Haltung wird konsequent gezeigt und gefördert.
  • Der spielerische Umgang mit Alltagssituationen macht Spaß.
  • Positive Überraschungen wirken sich positiv auf die Kaufbereitschaft und die Compliance der Kunden aus.
  • Der einzelne Kundenkontakt gewinnt an Tiefe.

Reframing funktioniert am besten aus dem Munde derjenigen, die zu der aktuellen Situation eine erkennbare Deutungsmacht haben. Das gilt grundsätzlich für alle Heilberufe, aber auch für Lehrende und für viele Beratungsberufe. Heikel wird es allerdings mit dem Reframing, wenn die Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern schon lange gestört oder belastet ist, z. B. wenn ein Mensch mit "Verfolgungswahn" sich ständig angegriffen fühlt. Dann kann ein überraschendes Reframing auch tiefes Misstrauen auslösen, insbesondere wenn es eine sehr freundliche und gar nicht aggressive Deutung anbietet. Kollegin: "Jetzt spioniert mir der Chef schon wieder nach!" Tröstungsversuch des Kollegen: "Wenigstens sieht er, wie viel du arbeitest." Kollegin, aggressiver: "Was, spionierst du mir jetzt auch schon nach!?"

Reframing in der Kundenberatung

Patienten- oder Kundenberatung in der Apotheke ist ein wichtiger Teil der therapeutischen Arbeit. Der Unterschied zwischen "Schubladenziehern" und Heilberuflern besteht genau in dieser Kommunikation. Dabei dürfen die Redebeiträge des pharmazeutischen Personals durchaus unauffällig und beiläufig sein. Viele therapeutische Interventionen kommen völlig unspektakulär daher. Die meisten Reframing-Sätze erscheinen wie aus der Situation entstanden, quasi als geistreiche Bemerkungen der Apotheker/innen oder PTAs.

Eine meiner Lieblingsformulierungen ist die Entschärfung heikler Situationen, z. B. wenn sich jemand über etwas nicht gerade Lebenswichtiges aufgeregt hat und gerade versucht, Abstand davon zu gewinnen. Mein Satz, "hoffen wir, dass wir für den Rest unseres Lebens nur noch solche Probleme zu lösen haben!" erzeugt meistens ein verblüfftes Lachen und ein erleichtertes, "ja, da haben Sie Recht!" Man sieht das Problem(chen) dadurch im Verhältnis zu den doch viel schlimmeren Problemen, die man im Leben auch noch haben könnte (oder vielleicht sogar schon hat).

Für diese Reframing-Sätze fallen Ihnen sicherlich gleich einige Anknüpfungspunkte ein:

  • "Sie wollen tapfer sein und das lieber ohne… durchstehen." (Zusatzempfehlung wurde abgelehnt, Entscheidungsfreiheit des Kunden aber positiv bewertet.)
  • "Ihre Fragen über diese Verschreibung zeigen mir: Sie wollen wirklich sicher sein, dass dies das richtige Medikament für Sie ist." (Patientenkompetenz in den Vordergrund stellen, statt Misstrauen gegenüber dem verschreibenden Arzt betonen.)
  • "Sie tragen große Verantwortung, wenn Sie Ihrem Mann die Einnahme erklären, denn Sie sind seine Medizin-Botschafterin." (Aufwertung der Gattin nach der Aussage, "das ist ja nicht für mich, das ist für meinen Mann".)

Allen drei Beispielen ist eines gemeinsam: Die Sätze betonen, dass die Kunden selbst entscheiden und eigenverantwortlich handeln. Wer sich selbst als handelnd erlebt – und nicht als gezwungen oder gar ohnmächtig –, zeigt wesentlich mehr Kooperationsbereitschaft in der Beratung und auch in der Umsetzung. Allerdings bedarf es einiger kommunikativer Verrenkungen, um auch jemanden als handelnd zu beschreiben, der oder die sich penetrant als Opfer stilisiert.

Therapeutisches Reframing


  • Anschlussfähig: aufgreifen, was dem Gesprächspartner vertraut und selbstverständlich erscheint
  • Ressourcenbezogen: Identität des Gesprächspartners akzeptieren, thematische Anknüpfungspunkte aufnehmen
  • Aufwertung, z. B. nach Selbstentwertung
  • Handlungsbetont: Optionen darstellen, bereits getroffene Entscheidungen aufzeigen
  • Lösungsorientiert: Fokus auf Besserung, Positives, Heilung, Erholung

Der Dreh mit dem Opfer

"Erlernte Hilflosigkeit" heißt ein Syndrom, dem Sie bei Ihren Patienten immer wieder begegnen. Manche Menschen haben sich so daran gewöhnt, Opfer ihrer Krankheit, Leidtragende der Gesundheitspolitik oder Verlierer in der Gesellschaft zu sein, dass diese Haltung zu einem Teil ihrer Identität geworden ist. Reframing für diese Grundhaltung kann also nicht darin bestehen, dass wir dieses Selbstverständnis angreifen, denn sonst hört uns die Kundin bzw. der Kunde nicht mehr zu und bricht den Beratungsversuch ab mit einem stereotypen "da kann man nichts machen". Reframing geht hier einen paradoxen Weg: Das Opfer wird anerkannt. Die "Handlungskompetenz" besteht bei diesen Kunden nämlich darin, dass sie etwas opfern oder dass sie sich opfern. Der Akt der Opferns oder die Auswahl der Art des Opfers sind das aktive Handeln.

Für Kunden, die ihre erlernte Hilflosigkeit oder eine auffällige Opfer-Haltung zeigen, sind z. B. solche Sätze geeignet:

  • "Sie haben sich entschieden, das hinzunehmen, anstatt sich dauernd darüber zu ärgern." (Lieber die Widerspruchsmöglichkeiten opfern als den Seelenfrieden.)
  • "Sie haben beschlossen, dass Sie jetzt wenigstens etwas drauf tun, wenn es schon so langsam voran geht." (Unterwerfung unter eine Verschreibung anstatt zu tatenlosem Warten verurteilt zu sein.)
  • "Sie haben sich schon so daran gewöhnt, dass Sie jetzt ganz überrascht sind, was Sie noch für Möglichkeiten haben." (Gewöhnung an Möglichkeiten in den Blick rücken.)

Durch Verben wie entscheiden oder beschließen wird der Handlungsspielraum betont, den die Kunden ja doch noch haben. Nutzen Sie jede Ansatzmöglichkeit, um Ihrem Gegenüber zu signalisieren: Sie haben es in der Hand, wie Sie Ihre Heilung gestalten!

Paradox und heilsam


Sich unsicher zu fühlen, empfinden die meisten Menschen als Nachteil. Sie sind bestrebt, sich ihrer Sache sicher zu sein. In der Beratung zur Auswahl oder zur korrekten Anwendung eines Arzneimittels hängen von der Verlässlichkeit der Apothekerin oder der PTA jedoch die Gesundheit oder gar das Leben des Patienten ab. So gesehen, stehen "Unsicherheit" und "verlässlicher Rat" einander entgegen.

"Seien Sie weiterhin unsicher!" ist aus dieser Sicht eine paradoxe Verschreibung. Paradox bedeutet, dass diese Verhaltensempfehlung widersinnig erscheint, also einen Widerspruch enthält. Auflösen lässt sich dieser Widerspruch durch Reframing, nämlich durch einen "neuen Rahmen" um das Gefühl der Unsicherheit: Was tut denn z. B. eine PTA, die sich unsicher fühlt, die aber einen verlässlichen Rat geben möchte? – Sie fragt nach oder recherchiert in einer geeigneten Datenbasis! Wenn dies die Folge ihrer Unsicherheit ist, dann ist Unsicherheit ein Vorteil für den Patienten. Wer sich nämlich seiner Sache allzu sicher ist, verpasst möglicherweise Neuerungen oder überprüft zu selten, ob dieses Wissen denn noch vollständig ist. Wer sich jedoch unsicher fühlt und deswegen seine Empfehlungen an Patienten immer aktuell absichert, ist viel aufmerksamer – daher die Schlussfolgerung, "Unsicherheit rettet Leben".

Reframing mit Mitarbeitern

Auch als Führungskraft können Sie Reframing einsetzen, um Ihre Mitarbeiter zu eigenverantwortlichem Handeln zu ermutigen und in ihrer aktiven Gestaltung des Alltags zu bestärken. Viele schüchterne, einige junge und manche unerfahrene Mitarbeiter zeigen gegenüber der Apothekenleitung gewisse Demutsgesten, z. B. dass sie nur Vorschläge äußern, wenn sie ausdrücklich gefragt werden, oder dass sie – wenn sie etwas nicht wissen – sich dafür entschuldigen, dass sie das nicht wissen. Wenn Ihre Autorität als Führungskraft nicht gerade davon abhängt, durch solche unbewussten Beschwichtigungsversuche hofiert zu werden, schaffen Sie sich mit gezieltem Reframing beherztere Mitarbeiter.

Ein Beispiel: Fragt die Chefin, nachdem der Kunde die Apotheke verlassen hat: "Worum ging’s denn gerade?" Die Mitarbeiterin erklärt kurz den Bedarf und kommentiert dann: "Ich bin jetzt unsicher, ob A oder B das Bessere für den Kunden gewesen wäre, ich wusste das nicht auswendig und habe erst mal nachgeschaut. Erst dachte ich, da müsste A am besten geeignet sein; aber wenn man darauf Rücksicht nimmt, dass er gleichzeitig Z einnimmt, würde ich eher B empfehlen." Chefin: "Sie überlegen gerade, was nun eigentlich zu Ihrer Entscheidung geführt hat. Dass Sie bei einer solchen Unsicherheit in der Datenbank nachschauen, rettet Ihren Kunden das Leben. Seien Sie ruhig noch öfters unsicher." Die Reframing-Botschaft ist: "Unsicherheit rettet Leben." In Ihrer paradoxen Aufforderung haben Sie der Mitarbeiterin ihre Unsicherheit "verordnet". Die Unsicherheit ist allerdings verknüpft mit dem Blick in die Datenbank – und genau das wünschen Sie sich.

Vera Naumann, 72184 Rohrdorf bei Eutingen, E-Mail info@vera-naumann.de

Das könnte Sie auch interessieren

Die Kraft der Sprache

Jedes Wort wirkt

Komplexe Sachverhalte einfach erklärt – Folge 12: Umweltbelastung durch Arzneimittel

Wohin damit?

Das perfekte Teamoutfit – Teil 2

Mit textiler Kommunikation Vertrauen aufbauen

Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

Warum Sie auch bei kleinen Entscheidungen nicht unbedacht „Ja“ sagen sollten

„Nein“ sagen – eine gute Option

Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.