Gesundheitspolitik

KBV-Chef: Kassen verleiten Ärzte zu Fehldiagnosen

Der neue Morbi-RSA sorgt für Zoff – AOK weist Kritik zurück

Berlin (ks). Die vielfach geäußerte Befürchtung, die Krankenkassen werden infolge des neuen morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) bemüht sein, ihre Versicherten möglichst krank erscheinen zu lassen, scheint nicht ganz unbegründet. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Köhler, bestätigte am 22. Januar gegenüber "Bild.de", dass Kassen versuchen, Ärzte in ihrer Diagnosestellung zu beeinflussen.

"Das Problem ist bundesweit zu beobachten und wird immer größer. Kassenvertreter versuchen, Ärzte zu ködern, um Diagnosen zu korrigieren", sagte Köhler. Dafür gebe es inzwischen durchschnittlich zehn Euro pro Patient. Der KBV seien sogar Verträge bekannt, in denen noch höhere Summen geboten werden. "Das kann Ärzte zur Fehldiagnose verleiten", räumte Köhler ein. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hatte kurz zuvor davor gewarnt, den neuen Morbi-RSA zu missbrauchen, um finanzielle Vorteile zu erlangen; dies sei kriminell und gerichtlich zu ahnden. Köhler hält die Verträge zwischen Kassen und Ärzten jedoch nicht für zwingend rechtswidrig: Laut den Kassen gehe es nur darum, "korrekte Diagnosen zu stellen, nicht falsche", sagte er. Dagegen lasse sich nichts sagen. Dennoch wisse man, dass die Kassen nur so agieren, weil ihre Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds von den Diagnosen ihrer Versicherten abhängen.

Der Präsident des Bundesversicherungsamtes (BVA), Josef Hecken, reagierte empört: "Krankenkassen, die Ärzte – zum Teil sogar mit Geldprämien – veranlassen, ihre Diagnosen nachträglich zu verändern, um mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu bekommen, verhalten sich rechtswidrig", betonte er. "Ob man das, was die Kassen von den Ärzten wollen, als up- oder right-coding bezeichnet, ist semantisches Fingerhakeln." Auf jeden Fall verstießen derartige Praktiken eindeutig gegen den Datenschutz und stünden auch im Widerspruch zu dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Meldeverfahren. "Ich werde deshalb ein solches Verhalten in meinem Aufsichtsbereich nicht dulden", betonte Hecken. Auch die Aufsichtsbehörden der Länder habe er aufgefordert, bei ihren Kassen genauso zu verfahren. Daten, von denen das BVA annimmt, dass sie gesetzwidrig beschafft wurden, würden nicht im Morbi-RSA berücksichtigt.

Der AOK-Bundesverband will nichts davon wissen, dass Kassen Ärzte "schmieren". Die vom Arzt dokumentierten Diagnosen müssten den Krankheitszustand jedoch "korrekt und vollständig" abbilden, hieß es seitens des Vorstandes. Dazu müsse die Ärzteschaft eine hohe Kodierqualität gewährleisten. Nach einer Auswertung von AOK-Daten habe es schon in der Vergangenheit "einen relevanten Anteil von Fällen" gegeben, in denen die dokumentierten Diagnosen den tatsächlichen Krankheitszustand eines Patienten nicht korrekt oder vollständig abbildeten. So seien bei einigen Erkrankungen nur zum Teil die korrekten Diagnoseschlüssel kodiert worden, die für die Anerkennung im Morbi-RSA notwendig sind.

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