Wirtschaft

Aus der Sicht des Querdenkers

Wenn sich ein Kursaufschwung von diesem Ausmaß ereignet, schafft er per se schon Fakten. Aus Anlegersicht interessiert es nicht, ob das zu Recht oder zu Unrecht passiert. Maßgeblich ist allein: Man war dabei – oder eben nur Zuschauer.

Börsenaltmeister Andrè Kostolany hat einmal gesagt: "An der Börse ist alles möglich. Und von allem das Gegenteil." Die Politik hat aus Tätern zunächst hilfsbedürftige Opfer gemacht. Die Banken, das Herz der Wirtschaft, sollten um jeden Preis gestützt werden. Die Liquiditätsschleusen wurden weit geöffnet und das Geld wird den Banken bis heute praktisch zum Nulltarif zur Verfügung gestellt. Und in einer erstaunlich kurzen Zeit verließ der Patient die Intensivstation. Das viele Geld der Notenbanken landete großteils direkt an der Börse und erzielte dort traumhafte Gewinne, während sich Industrie und Handel häufig vergeblich um Investitionskredite bemühten. Aber für die Geldhäuser war das nicht die einzige Einnahmequelle, die munter sprudelte. Genauso paradox ist der Umstand zu werten, dass die Institute genau mit den Maßnahmen Unsummen verdienten, die zu ihrer eigenen Rettung notwendig wurden – nämlich mit der Platzierung von Anleihen, mit denen sich der Staat üblicherweise das Geld am Kapitalmarkt besorgt – dem sogenannten Investmentgeschäft. Inzwischen machen die Banken wieder Milliardengewinne und dürften auf absehbare Zeit auch weiterhin darauf vertrauen, dass ihnen die billige Geldquelle erhalten bleibt. Dass dabei an der Börse nicht unbedingt auf die ausschließlich liquiditätsgetriebenen Rückkäufe Verlass ist, mussten die Marktteilnehmer allerdings letzte Woche zur Kenntnis nehmen, die Haussiers haben einen kräftigen Dämpfer erhalten. Aber sehen wir es realistisch: Der Rückschlag wird am Ende vielleicht 15 Prozent betragen, sagen wir bis an die 5000er Grenze beim DAX. Das wären ca. 15 Prozent Kursverlust – gewiss kein übertriebener Rückschlag, denkt man an die lange Aufschwungphase seit März. Dann steht Weihnachten vor der Tür – die Weihnachtsrallye. Tradition verpflichtet. Da werden es die Optimisten wohl noch einmal wissen wollen. Denn diese Lehre durfte man in den letzten Wochen ziehen: Die Börse folgt ihrer eigenen Logik.

Peter Spermann

Peter Spermann ist Dozent für Wirtschaftslehre und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit der Börse. In der AZ-Rubrik "Querdenker" vertritt er konsequent den Standpunkt des Antizyklikers.

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