Arzneimittelfälschung im legalen Vertriebsweg

Echte Combivir-Tabletten in falscher Verpackung

BREMEN (tmb). Arzneimittelfälschungen sind im legalen Vertriebsweg äußerst selten, aber nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen. Kürzlich wurde eine Fälschung des HIV-Präparates Combivir bekannt, die in einer deutschen Apotheke abgegeben worden war. Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bremen enthielt die Packung Tabletten des Originalherstellers, aber sämtliche Verpackungsmittel waren gefälscht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in diesem Zusammenhang gegen einen auf Sylt ansässigen Arzneimittelhändler, bei dem solche Packungen gefunden wurden.

In einer norddeutschen Apotheke war aufgrund einer Patientenreklamation eine unvollständig gefüllte Packung Combivir aufgefallen. Die Packung stammte jedoch nicht vom Originalhersteller GlaxoSmithKline (GSK). Daraufhin rief der Hersteller vor knapp zwei Wochen die Charge R343741 des HIV-Präparates Combivir (60 Filmtabletten) zurück (siehe Rückruf in DAZ 36). Ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Bremen bestätigte gegenüber der AZ, dass die Tabletten die Originalwirkstoffe enthalten, doch sind Verpackung, Beipackzettel und Blister gefälscht. Die Staatsanwaltschaft habe in diesem Zusammenhang Ermittlungen gegen einen Beschuldigten eingeleitet, der auf Sylt drei Vertriebsunternehmen für Arzneimittel betreibt. Die Ware sei offenbar über Antwerpen nach Europa eingeführt und von dem Beschuldigten nach Deutschland gebracht worden. Der Fall werde demnächst an die Staatsanwaltschaft Flensburg abgegeben, bei der bereits weitere Ermittlungen gegen den Beschuldigten liefen. Zudem seien auf Sylt weitere Fälschungen anderer HIV-Präparate von GSK gefunden worden.

Profit mit verbilligter Ware

Da die Tabletten in dem aktuellen Fall nach allen bisherigen Erkenntnissen vom Originalhersteller stammen, vermutet die Staatsanwaltschaft Bremen, dass hier Originalware, die für die verbilligte Versorgung von HIV-Patienten in Afrika bestimmt war, in gefälschte Verpackungen abgefüllt wurde. Mit dieser illegalen Vorgehensweise könnte ein erheblicher finanzieller Vorteil generiert werden. In diesem Fall wären die Patienten nicht ernsthaft bedroht, weil die Tabletten pharmazeutisch einwandfrei sind. Doch bleibt der Imageschaden für den Vertriebsweg und die Gefahr, dass gefährliche Fälschungen auf dem gleichen Weg eingeschleust werden könnten. Dies liefert neue Argumente für die Forderung nach strengeren Regeln für den Markt.

Es gehört zum alltäglichen Geschäft vollversorgender Großhändler, Arzneimittel nicht nur beim Hersteller, sondern auch bei zugelassenen Zwischenhändlern zu kaufen. In einem Branchendienst wird der Großhändler Anzag mit der Lieferung der Fälschung in Verbindung gebracht. Die Staatsanwaltschaft Bremen hat eine Beteiligung des Großhändlers jedoch ausdrücklich nicht bestätigt. Laut Anzag habe man zu dem aktuellen Fall bislang keine konkreten Erkenntnisse gewonnen, da das Ermittlungsverfahren nicht abgeschlossen sei. Zu den Anforderungen der Anzag an ihre Lieferanten erklärte Anzag-Pressesprecher Thomas Graf gegenüber der AZ: "Die Anzag arbeitet grundsätzlich nur mit Lieferanten zusammen, die ihren Sitz in Deutschland haben, eine aktuelle Großhandelserlaubnis besitzen und dem Arzneimittelgesetz und somit den deutschen Aufsichtsbehörden unterliegen. Dieses Gesetz schreibt regelmäßige Überprüfungen durch die deutschen Behörden vor und wir haben keinen Grund zur Annahme, dass diese ihren Verpflichtungen nicht nachkommen."

Vertriebsweg regeln

Bernadette Sickendiek, Sprecherin der Geschäftsführung des Großhandelsverbands Phagro verwies aus Anlass des aktuellen Falls auf die schon lange bestehende Forderung des Phagro nach besser überschaubaren Vertriebswegen. "Wirkliche Sicherheit kann für alle Beteiligten – und hier insbesondere die Patienten – nur durch eine klare Festschreibung des Vertriebswegs vom Hersteller über den vollversorgenden pharmazeutischen Großhandel zur öffentlichen Apotheke erreicht werden," so Sickendiek zur AZ. Doch zusätzliche Reglementierungen des Vertriebsweges sind keineswegs so problemlos, wie es auf den ersten Blick scheint. Angesichts des großen Margendrucks können für den pharmazeutischen Großhandel auch kleinste Einkaufsvorteile durchaus wirtschaftliche Bedeutung haben. Außerdem kontingentieren einige Hersteller ihre Lieferungen an den Großhandel. In Großhandelskreisen heißt es daher, dass Zwischenhändler nötig sind, um zeitweilige Versorgungsengpässe auszugleichen. Sie sorgen damit für die permanente Lieferfähigkeit der Großhändler. Dies wiederum ist für den vollversorgenden Großhandel ein wichtiges Wettbewerbsargument und für die belieferten Apotheken im Versorgungsalltag höchst bedeutsam.

Dr. Jörn Graue, Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins, sieht das Hauptproblem in den mangelnden Rückverfolgungsmöglichkeiten für Arzneimittelpackungen in der Handelskette. Doch werde bereits seit mehr als einem Jahr über eine EU-Richtlinie für bessere Kontrollmöglichkeiten diskutiert. Zudem zeige der Fall, wie wichtig die Rolle der Apotheke sei. "Die Arzneimittelsicherheit wird in erster Linie durch die Apotheken gewahrt. Sie sind als letzte Kontrollinstanz unverzichtbar, um Probleme abzufangen", so Graue.

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