Gesundheitspolitik

Wer will noch die eCard?

Pannenmeldungen häufen sich

HAMBURG/STUTTGART (tmb). Das Megaprojekt der elektronischen Gesundheitskarte (eCard) hängt gegenüber seinem ursprünglichen Zeitplan schon um viele Jahre zurück. Statt Lösungen tauchen immer wieder neue Probleme auf. In die Schlagzeilen gerät die eCard in jüngster Zeit primär durch Pannenmeldungen. Das Bündnis "Stoppt die e-Card!" hat bis zum 15. Juli über 677.000 Unterschriften gegen das Projekt gesammelt. Ist die Stimmung unter den Beteiligten gedreht?

Im Nachhinein erscheint der Ärztetag im Mai 2008 in Ulm als Wende. Dort hatten die Delegierten das bisherige Konzept mit großer Mehrheit abgelehnt. Denn es sei nicht nachgewiesen worden, dass die eCard Wirtschaftlichkeit, Qualität oder Transparenz verbessert. Stattdessen würden die Kosten erhöht und der Datenschutz gefährdet. Die chipbasierte Karte sei bereits technisch überholt, als Alternative biete sich die USB-Technologie an. Seit dem Ärztetag kam es verstärkt zu Kritik und in jüngster Zeit sogar zu Rückzugsmeldungen.

Kritik von fast allen Seiten

Aus der Testregion Bochum-Essen wird über Probleme mit dem elektronischen Rezept, der Stapelsignatur, dem Notfalldatenmanagement und den PIN-Nummern berichtet, so die "Ärzte-Zeitung" vom 2. Juni. Die ab Oktober ausgehend von Nordrhein geplante Ausgabe der Karten ("online-Rollout") hat zu einem Dauerkonflikt in der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein geführt. KV-Chef Dr. Leonhard Hansen und sein Vize Dr. Klaus Enderer kündigten daraufhin Anfang Juni ihre Rücktritte an. Sie hätten trotz eigener Bedenken gegen die eCard immer wieder für die Anschaffung von Lesegeräten geworben, um die Geschäftsfähigkeit der Praxen zu sichern. Dies hätten viele Delegierte jedoch als Widerspruch zur Kritik der Basis an der Karte interpretiert, heißt es in Berichten der "Ärzte-Zeitung". Bisher sollen in Nordrhein erst 15 Prozent der Ärzte neue Lesegeräte bestellt haben, weil sich viele Ärzte um die Praktikabilität und Datensicherheit sorgen und die Arbeit viel zu zeitaufwändig sei, so die "Ärzte-Zeitung" vom 6. Juli. Die privaten Krankenversicherungen beteiligen sich nicht an der Ausgabe neuer Karten ab Oktober, weil die Leistungserbringer sie nur freiwillig von privat Versicherten annehmen müssten (siehe AZ 28). Anfang Juli wurde eine Speicherpanne bekannt, deren Bedeutung unterschiedlich bewertet wird (siehe DAZ 29). Die "Ärzte-Zeitung" berichtete am 10. Juli, dass die KV Baden-Württemberg sich nicht über den
31. Dezember 2009 hinaus an der Arbeitsgemeinschaft zur Einführung der eCard beteiligen werde. Die Vertreterversammlung fordere den Vorstand auf, die Ausgabe der neuen Karten "politisch mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern". Was dies für weitere Tests in Baden-Württemberg bedeutet, ist allerdings unklar, denn dort ist die Testphase "Release 1" abgeschlossen und es soll am 1. Oktober über das weitere Vorgehen entschieden werden.

Position der Apotheker

Das elektronische Rezept, das die Arbeitsabläufe in der Apotheke maßgeblich verändern würde, soll frühestens 2011 geprüft und könnte erst viel später flächendeckend eingeführt werden. Damit können sich die Apotheker einerseits bequem zurücklehnen und das politisch problematische Terrain meiden. Andererseits werden die jetzt getroffenen Entscheidungen letztlich auch die Apotheken betreffen.

Bisher gibt es keine offizielle Stellungnahme der ABDA zu den jüngsten Entwicklungen. Doch unter den pharmazeutischen Berufspolitikern ist vom ursprünglichen Optimismus kaum noch etwas zu hören. Es gilt die Standardaussage, dass die Karte weiterhin ergebnisoffen getestet werden soll. Angesichts der vielen negativen Ergebnisse klingt dies schon fast wie eine Absage. Deutlicher sind dagegen die Hamburger Apotheker geworden. Bereits im September 2008 warnten Hamburger Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Patientenvertreter in einer gemeinsamen Erklärung vor der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Da ein Missbrauch der Daten nicht auszuschließen sei, sähen die Beteiligten in den elektronischen Vernetzungsmöglichkeiten ein hohes Risiko, heißt es in der Erklärung. Daran beteiligte sich auch die Apothekerkammer Hamburg. Kammerpräsident Rainer Töbing erklärte in der Pressemitteilung vom 10. September 2008: "Der immense Verwaltungsaufwand wird für uns Apotheker die vermeintlichen Vorteile und Kostenersparnisse auffressen. Der Patient kommt zu kurz."

Mögliche Alternativen

Damit stellt sich die Frage nach Alternativen. Totalverweigerer wie das Bündnis "Stoppt die e-Card" wollen alles belassen, wie es ist. Eine neue Karte mit einem Foto des Versicherten könnte jedoch den verbreiteten Missbrauch der Karten weitgehend verhindern. Andere Stimmen kritisieren insbesondere die Pflichtanwendungen der geplanten Karte wie das elektronische Rezept. Als Kompromiss schlagen sie einen freiwilligen elektronischen Datenspeicher in der Hand des Patienten ohne weitere Vernetzung vor. So gibt es offenbar ernstzunehmende Alternativen zum ursprünglichen Konzept.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.