Wirtschaft

DAX: Bei 5100 Punkten festgefahren

Börsen bejubeln den Ölpreis – und fürchten gleichzeitig die Konsequenzen

(hps). Der Unterschied zwischen positiven Konjunkturzahlen und nur "positiv interpretierten" Wirtschaftszahlen liegt in dem Spielraum, um den sich Bullen und Bären in ihrer jeweiligen Auslegung zanken werden. Eine Debatte, die schon bald entbrennen dürfte, denn stark steigende Renditen und Ölnotierungen könnten die Argumentationskette der Optimisten zu Fall bringen.

Die aktuelle Marktlage

Dünne Umsätze und wenig Impulse kennzeichnen das derzeitige Börsengeschehen, wobei sich die Märkte überwiegend von charttechnischen Erwägungen und Analystenkommentaren leiten lassen. Fundamental ist zwar mit dem Anstieg bei den Ölnotierungen und dem drastischen Renditeanstieg am US-Anleihenmarkt eine weitere Verschlechterung eingetreten, doch am Parkett herrscht nach wie vor Zuversicht, dass sich die liquiditätsgetriebene Aufwärtsbewegung auch weiterhin von den schlechten fundamentalen Rahmenbedingungen lösen kann. Für eine Überraschung sorgten letzte Woche allerdings Aussagen von Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann. Das etwas wankelmütige Orakel – Ackermann hatte bereits letzten Juli den "Anfang vom Ende" der Finanzkrise prognostiziert – sieht jetzt die Weltwirtschaft noch längst nicht am Ende der Talfahrt angekommen und befürchtet eine längere Rezession. Reaktion der Börse: Müdes Abwinken. Vielleicht ein Fehler. Denn in das gleiche Horn bläst nun auch Goldman Sachs-Chef Lloyd Blankfein. Die gegenwärtige Hausse an den Börsen sei "oberflächlich". Damit erhalten die Skeptiker ausgerechnet vom Chef des weltweit renommiertesten Geldhauses Zulauf. Dennoch lassen sich die Akteure nicht beirren. Unverdrossen deuten die Optimisten die Verlangsamung des Abschwungs als Wendesignal und bauen dabei auf die Pessimisten – denn die hätten ja noch Nachholbedarf.

Kommende Woche aus der Perspektive der Analysten

Kaum mehr Aufwärtspotenzial, aber auch kein massiver Einbruch, so lautet der Börsenausblick des Deka-Fonds. Unter Umständen seien sogar 5500 DAX-Punkte drin, behauptet das Stuttgarter Bankhaus Ellwanger & Geiger und bezieht sich dabei auf die gestiegene Risikobereitschaft der Investoren. Ein nicht unwesentlicher Teil der Optimisten hat sich indes in diesen Tagen der Charttechnik verschrieben. Bei den Technikern spielt bekanntlich der gleitende 200-Tage-Durchschnitt der Kursentwicklung eine große Rolle. Viele internationale Indices haben die Barriere erst kürzlich überwunden, was dann allgemein als Kaufsignal interpretiert wird. Skeptiker verweisen allerdings darauf, dass zwar der Sprung über diese bedeutsame Linie gelungen sei, die Börsen seitdem aber merklich an Kraft verloren hätten und Ermüdungserscheinungen aufwiesen. Unterdessen zeigt die Weberbank wenig Vertrauen in die amerikanische Arbeitsmarktsituation. Die Experten bezweifeln auch, dass die asiatischen Volkswirtschaften für die Amerikaner in die Bresche springen werden. Entsprechend negativ fällt das Votum der Analysten für die Aktienmärkte aus. Andere Experten verweisen auf den Umstand, dass der Aktienmarkt rein liquiditätsgetrieben sei. So schnell wie das Geld gekommen sei, könne es aber auch wieder verschwinden, mahnen die Bären und raten weiter zur Vorsicht.

Anleihenmärkte geben "Rätsel" auf

"Eine rätselhafte Entwicklung" – dieser legendäre Satz, der auf die Renditen an US-Anleihenmärkten Bezug nahm, stammte vom ehemaligen Chef der US-Notenbank (FED) Greenspan. Damals verzeichneten mittel- bis langfristige US-Anleihen einen Nachfrageschub, die Kurse stiegen und die Renditen sanken entsprechend. Dieses "Rätsel" entpuppte sich später als kluger Schachzug der Investoren, die die aufziehenden Rezessionsängste ahnten und sich gegen die fallenden Zinssätze mit dem Kauf längerfristig festverzinslicher Wertpapiere wappneten. Heute steht FED-Chef Bernanke wieder vor einem "Rätsel", aber mit umgekehrten Vorzeichen: Die mittel- bis langfristigen Renditen steigen bis auf 4 Prozent, während die kurzfristigen Renditen knapp über 1 Prozent liegen. Die Anleger greifen also nur bei den Kurzläufern zu und verkaufen längerfristige Anleihen. Von den dabei freigewordenen Geldern hat insbesondere auch der Aktienmarkt nicht unerheblich profitiert. Manche Profis werteten dies vorschnell als Beweis für die sich anbahnende Wirtschaftswende. Zieht die Konjunktur mittelfristig an, so die Denkweise, steigen auch die Zinsen und niemand will sich in einem solchen Umfeld längerfristig binden. Tatsächlich aber scheint der Fall hier anders zu liegen. Durch die massive Verschuldung der USA haben viel Anleger inzwischen Zweifel an der Kreditwürdigkeit der USA, befürchten mithin den Verlust des "Tripple A" für amerikanische Staatsanleihen, der bestmöglichen Bewertung der Kreditwürdigkeit. Russland spielt offensichtlich sogar mit dem Gedanken, seine US-Staatsanleihen gegen festverzinsliche Dollarpapiere des Internationalen Währungsfonds zu verkaufen. Folge: Die Investoren gehen längerfristigen Staatsanleihen aus dem Weg und verkaufen – die Rendite dieser Anleihen steigt. Unterdessen sieht sich die FED mit dem Rücken zur Wand. Zwar hat sie mit ihrem Zinssatz von 0,25 Prozent die kurzfristigen Zinsen im Griff, die längerfristigen Renditen werden aber am Anleihenmarkt zwischen Angebot und Nachfrage ausgehandelt. Und hier sieht sich Bernanke um den Erfolg seiner fast Null-Zins-Politik gebracht, denn die Finanzierungskonditionen von Unternehmen und Hausbauern orientieren sich an den Renditen und am Anleihenmarkt. Diese Entwicklung sei eventuell sogar bedrohlich für die Konjunktur, mahnen dabei auch die Pessimisten am Aktienmarkt. Das kann die FED nicht hinnehmen und kauft nun im Umfang von 300 Milliarden Dollar Anleihen auf – in der Hoffnung, die Anleihenkurse und die Renditen damit zu stabilisieren. Die Anleger wissen jedoch, dass die FED dafür frisches Geld drucken muss und wittern Inflationsgefahr. Der Anleihenmarkt muss erneut eine Verkaufswelle über sich ergehen lassen. Ein endloses Spiel also? Sicher nicht. Bei risikolosen 4 Prozent Rendite werden die Investoren selbst bei US-Staatsanleihen wieder zugreifen. Und woher das Geld dafür kommen wird, lässt sich leicht erahnen: Es dürfte aus den Aktienmärkten wieder abgezogen werden.

Musterdepot und Strategie

Als völlig absurd sind die derzeitigen Kurse der Automobilaktien zu werten. Schon alleine die Konsumschwäche, der hohe Dollar und der Ölpreis sprechen gegen Autoaktien.

Dies zum Anlass nehmend, kehrt das Musterdepot zurück zum BMW -Put. Der Schein der Citigroup (WKN CG4XRR) weist eine relativ lange Laufzeit bis August 2009 auf und eine Bezugsbasis von 28 Euro, die nahe am aktuellen Kurs von 29 Euro liegt.

DAX am 11. Juni (22.00 h – Feiertagshandel): 5076 Punkte.

Aus der Sicht des Querdenkers


Die Ökonomen fischen in der Buchstabensuppe. Auf dem Menü stehen ein V, ein U, ein W und ein L. Das "V" ist der bevorzugte Buchstabe der Optimisten und steht für eine V-Formation der Konjunktur, also ein heftiger Absturz, dem dann eine schnelle Erholung folgt. Die Wirtschaftsentwicklung in der U-Formation lässt dagegen eine längere Konsolidierungsphase befürchten. Der Lieblingsbuchstabe der Pessimisten ist dagegen das "W". Bei dieser Formation erwartet man ein nochmaliges Antesten des bisherigen Konjunkturtiefs. Wirklich bedenklich stimmt dagegen das "L" – eine Rezession, der eine längere Phase der Stagnation auf niedrigem Niveau folgt.

Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman hegte letzte Woche in einer Rede vor der London School of Economics die Befürchtung, dass die Weltwirtschaft in ein lang anhaltendes Siechtum verfallen könnte und sprach in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die Situation in Europa und den USA von einem "verlorenen Jahrzehnt". Krugman zweifelt an den milliardenschweren Konjunkturprogrammen und deren Eignung, die Konjunktur nachhaltig stabilisieren zu können. Die Schlüsselrolle sieht er in der Situation am US-Arbeitsmarkt, die sich seiner Einschätzung nach noch weiter verschärfen dürfte. Krugman‘s Resümee: "Ich habe keine Ahnung, wie die USA aus der Rezession herauskommen sollen."

Unterdessen zieht der Dow Jones weiter nach oben, während der DAX nicht mehr Schritt halten kann und offensichtlich bei 5150 Punkten kapituliert hat. Dass der große Bruder aus Amerika überhaupt noch so agil erscheint, liegt an den dort stark gewichteten Energieaktien, die bei einem Ölpreis von über 72 Dollar pro Barrel den gesamten Index im Alleingang nach oben ziehen. Der Freude über den Anstieg bei Ölaktien stehen allerdings zunehmend Bedenken über die Auswirkungen auf das Konsumverhalten gegenüber. Und der gewaltige Renditeanstieg bei US-Staatsanleihen verteuert nicht nur die Unternehmensfinanzierung, sondern dürfte bald auch als ernstzunehmende Anlagealternative zum überteuerten Aktienmarkt in Erscheinung treten. Dann trocknet die Liquiditätszufuhr für den Aktienmarkt aus – fundamental entbehrte der Kursaufschwung ohnehin jeder Grundlage. Dass bei solchen Umschichtungen vor dem Hintergrund der historisch niedrigen Börsenumsätze so manche Lawine losgetreten werden dürfte, sollte man dabei ins Kalkül ziehen.


Peter Spermann


Peter Spermann ist Dozent für Wirtschaftslehre und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit der Börse. In der AZ-Rubrik "Querdenker" vertritt er konsequent den Standpunkt des Antizyklikers.

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