Wirtschaft

DAX in der Konsolidierung

Experten zweifeln zunehmend an der Rechtfertigung des jüngsten Kursanstiegs

(hps). Das Urvertrauen in den Anlagedruck der institutionellen Anleger, die bislang noch jeden Kursrückschlag unverzüglich zum Wiedereinstieg nutzten, scheint erschüttert. Der Konflikt zwischen dem anhaltenden Liquiditätszufluss seitens der Großanleger und der fehlenden Untermauerung des derzeitigen Kursniveaus durch Fundamentaldaten verschärft sich zusehends. Der DAX scheint bei 5150 Punkten am Ende der Fahnenstange angekommen zu sein.

Die aktuelle Marktlage

Nachdem die lang befürchtete Insolvenz von General Motors Realität wurde, fiel zwar ein Belastungsfaktor für die Börse weg, gleichzeitig formierten sich allerdings zwei neue Hemmnisse. Einmal der relativ hohe Ölpreis. Dabei wird dieser nicht einmal so sehr als betrieblicher Kostenfaktor gefürchtet, sondern vielmehr als Störfaktor für das Verbrauchervertrauen missbilligt, zumal dieses Stimmungsbarometer der Konsumenten nach wie vor die treibende Kraft hinter dem derzeitigen Börsenaufschwung darstellt. Als noch problematischer könnte sich indes der Renditeanstieg bei den US-Staatsanleihen für das Parkett erweisen. Die Rendite der Staatsanleihen dient als Referenzwert für fast alle Kredite an Unternehmen und private Haushalte. Die Finanzierungskonditionen für Unternehmen verschlechtern sich mithin und auch die US-Hypothekenzinsen steigen wieder. Unterdessen dürften die niedrigen Umsätze im Aktienhandel zum Problem werden. Sie begünstigten bislang den Kursanstieg, könnten sich jedoch bei höherem Verkaufsdruck fatal auswirken.

Aus der Perspektive der Analysten

Die Stimmung am Parkett beginnt sich zu drehen. Eine "zyklische Fehlentwicklung" nennt die WestLB den Kursanstieg an den Aktienmärkten, weil man dort inzwischen mehr auf Stimmungsbarometer als auf fundamentale Daten hört. Damit sei eine Konjunkturerholung praktisch komplett eingepreist – ein böses Erwachen sei vorprogrammiert, so die Experten.

Andere wiederum sehen hinter dem neuen Konjunkturoptimismus nur eine "blutleere Erholung" der Weltwirtschaft, die das derzeitige Niveau an den Aktienmärkten nicht rechtfertigen würde.

Einen interessanten Aspekt liefert die M.M. Warburg Bank. Sie rechnet vor, dass die DAX-Unternehmen Jahre bräuchten, um wieder auf ihre Spitzenerträge aus dem Jahre 2007 zu kommen. Deshalb, so folgern die Experten, dürfte es eben so lange dauern, bis der DAX sein historisches Hoch bei 8000 Punkten zurückerobert.

Entsprechend pessimistisch fallen denn auch die Prognosen für den DAX aus. Nachdem bereits die Deutsche Bank vor zwei Wochen ein Kursziel von 4000 Punkten in Aussicht gestellt hatte, schließt sich nun auch die Landesbank Berlin dieser Ansicht an.

Zu den Berufsoptimisten zählen dagegen die Experten der Hessischen Landesbank. Sie billigen dem deutschen Aktienbarometer noch ein beachtliches Kurspotenzial zu und raten zum Einstieg. Zur Begründung führen die Analysten den nach wie vor hohen Anlagedruck der Großinvestoren an.

Wie heißt der nächste Schwarze Peter?

Auf Offenheit oder gar schonungslose Ehrlichkeit braucht man in diesen Tagen nicht hoffen – schon gar nicht von den maßgeblichen staatlichen Stellen. Wer beispielsweise noch vor Augen hat, wie die großen US-Rating-Agenturen Bestnoten für die Subprime-Schrottanleihen vergeben haben, weiß um den Filz, in dem Wall Street, US-Regierung und Ratingagenturen stecken. Deshalb sind schlechtere Nachrichten derzeit auch Mangelware – Optimismus wird verordnet. Umso interessanter dann, wenn jemand seine Meinung kundtut, der von politischer Verantwortung unbefrachtet ist, wie beispielsweise der ehemalige Notenbankpräsident Chinas Yu Yongding. Der stellt genau die Fragen, die man als größte Gläubigernation Amerikas und Inhaber von bislang 768 Milliarden Dollar an US-Staatsanleihen stellen darf: Wie wollen die Amerikaner das zurückzahlen? Yu Yongding sieht das so: Um die globale Krise zu überwinden, müssten die Amerikaner endlich sparen. Und genau das hat auch US-Finanzminister Geithner anlässlich seines letzten Bittstellergangs in China versprochen. Aber wie, fragen sich die Chinesen, wenn die Arbeitslosigkeit in den USA steigt, der Konsum schwach ist, die Steuereinnahmen sinken und die Amerikaner sich dabei noch den Luxus zweier kostspieliger Kriege leisten.

"Das Schlimmste liegt noch vor uns"

Mit diesen Zweifeln stehen die Chinesen nicht alleine da. Immer mehr Investoren rücken von US-Staatsanleihen ab und verkaufen Dollar, die Renditen schießen nach oben und manövrieren die US-Notenbank mit ihrer fast Null-Prozent-Zinspolitik ins Abseits. Die Antwort der Notenbanker: Sie versuchen die Anleihenkurse zu stützen durch massive Kaufprogramme mit frisch gedrucktem Geld.

Wenn Yu Yongding Recht behalten sollte, dann werden der Verfall beim Dollar und die steigenden Renditen die Weltwirtschaft bald schon ins nächste Chaos stürzen und die Börse unter Druck setzen. Dann schließt sich der Kreis. Oder wie es BASF-Chef Hambrecht vor zwei Wochen ausdrückte: "Das Schlimmste liegt noch vor uns."

Musterdepot und Strategie

Die Put-Scheine von Henkel und Metro sind auf dem richtigen Weg und auch die SAP -Aktie dürfte schon bald den Gang nach Süden antreten, nachdem der Wert einfach nicht über die 31 Euro-Hürde springen will. Der Schein von Goldman-Sachs (GS10NS) hat eine Basis von 30 Euro und eine Laufzeit bis August 2009.

DAX am 4. Juni (15.00 h): 5088 Punkte.

Aus der Sicht des Querdenkers


Da ging sie also dahin, die 77-jährige Geschichte von General Motors – und hinterlässt der Nachwelt seit 2004 angesammelte 88 Milliarden Dollar Schulden. 21.000 Menschen allein in den USA werden durch die Insolvenz arbeitslos. Die neue GM ist ein volkseigener Betrieb und man darf schon gespannt sein, was das aus der Asche auferstandene Unternehmen unter Staats- und Gewerkschaftsbeteiligung so zustande bringt.

Die Reaktion der Börse auf die GM-Insolvenz war jedenfalls wie aus dem Börsenlehrbuch. Zunächst stürmten die Optimisten nach vorne, weil sie mit der endgültigen Gewissheit über das Aus für den Autogiganten aus Detroit eine große Belastung für die Aktienmärkte beseitigt sahen. Die Freude währte allerdings nicht lange, denn gleichzeitig formierten sich zwei sehr unglückliche Faktoren gegen den Aktienmarkt: Die steigenden Renditen in den USA und der hohe Ölpreis. Der Anlagedruck der institutionellen Anleger scheint die Bedenken aus fundamentaler Sicht nicht mehr überdecken zu können.

Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung und insbesondere der steigenden Arbeitslosigkeit in den USA kann es als nahezu gesicherte Erkenntnis angesehen werden, dass aus dem an der Börse bereits gehandelten Aufschwung nicht einmal ein "Aufschwüngchen" wird. Das Problem: Börsennotierte US-Unternehmen werden auf Basis der voraussichtlichen Gewinne in 2010 zwischenzeitlich schon wieder mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 26 gehandelt.

In der letzten schweren Rezession lag das KGV bei 9. Eine Diskrepanz, die nun auch an der Börse für Ernüchterung sorgt.

Die Frage ist nur: Wie kommen die Großanleger da wieder heil raus, ohne dabei ihre Finger ins Räderwerk zu bringen? Die Börsenumsätze sind extrem schwach und Positionen größeren Umfangs lassen sich nicht auflösen, ohne erhebliche Kursverluste auszulösen. Antwort: Gar nicht. Und so wird wohl bald eine charttechnische Unterstützung nach der anderen reißen, bis bei 4000 Punkten die Karten wieder neu gemischt werden.

Peter Spermann

Peter Spermann ist Dozent für Wirtschaftslehre und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit der Börse. In der AZ-Rubrik "Querdenker" vertritt er konsequent den Standpunkt des Antizyklikers.

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