Wirtschaft

Börse: Nur Verschnaufpause oder schon am Ende?

Optimisten verzweifeln an der 5000er Marke – Nervosität an der Börse steigt

(hps). Es herrscht wieder Ernüchterung am Parkett. Die 5000er Marke im DAX will einfach nicht fallen und das fundamentale Umfeld macht es Optimisten auch nicht leichter, die rosa Brille weiter aufzubehalten. Ob nun der massive Einbruch beim Auftragseingang im April im deutschen Maschinenbau oder die Schwierigkeiten, in die selbst bislang gesunde US-Banken zunehmend geraten – die Spekulation auf eine wirtschaftliche Trendwende dürfte von den Marktteilnehmern bald hinterfragt werden.

Die aktuelle Marktlage

Der Anlagedruck der Großinvestoren könnte der Börse eine Eigendynamik verleihen und den DAX weiter nach oben ziehen, meint inzwischen eine zunehmende Zahl an Investoren am Parkett. Der Glaube an eine Konjunkturverbesserung ließe sich dabei auch an der Wahl der Branchen erkennen: Titel aus den Segmenten Stahl und Rohstoffe seien gefragt, defensive Werte würden dagegen vernachlässigt. Einige Optimisten schließen jetzt sogar eine "brutale Aufwärtsbewegung" nicht mehr aus. Wer an der Börse Rationalität suche, stünde eben manchmal auf verlorenem Posten.

Aber der Glaube an die rein liquiditätsgetriebene Hausse wird nicht überall geteilt. Die Börse hätte sich von der ökonomischen Realität schon zu weit entfernt, man müsse vor einer neuen Blase warnen, meint beispielsweise die Deutsche Börse AG. Zur Begründung wird unter anderem auf den herabgestuften Ausblick für britische Staatsanleihen durch die Rating-Agentur S&P verwiesen. Aber auch der verhaltene Ausblick der amerikanischen Notenbank hinsichtlich des Erholungspotenzials der Wirtschaft und der drohende Bankrott von General Motors wirkten am Parkett ernüchternd. Unterdessen werten die technischen Analysten der HSBC Bank den Höhenflug beim DAX als Fehlausbruch und befürchten eine Korrektur. Am Parkett selbst ist jedenfalls feststellbar, dass die Marktteilnehmer wieder sensibler auf schlechte Nachrichten aus Wirtschaft und Unternehmen reagieren. Noch vor einer Woche sind selbst Hiobsbotschaften schlichtweg ignoriert worden.

Aus der Perspektive der Analysten

Das mehrmalige Scheitern des deutschen Börsenbarometers an der magischen Zahl von 5000 Punkten lässt nun doch einige Analysten vorsichtiger werden. So erwarten die Experten der Weberbank und der WGZ-Bank ein baldiges Ende der Bärenmarktrallye, also der kurzfristigen Aufwärtsbewegung in einem übergeordneten Abwärtstrend. Auch die Deutsche Bank hält an ihrem Konsolidierungsziel von 4000 DAX-Punkten fest. Die Mehrheit der Profis erwartet indes ein Rückschlagpotenzial von 4500 bis 4700 DAX-Punkten. Dagegen sehen Optimisten wie die Analysten der Allianz Global Investors die Bullen weiterhin im Vormarsch. Sie sehen sogar die Bären unter Druck kommen, wenn die aufgehellte Stimmung weiter anhält und das Kalkül der Pessimisten, zu deutlich niedrigeren Kursen wieder einzusteigen, nicht aufgeht. Die Commerzbank sieht den DAX unter diesen Vorzeichen schon bald bei 5500 Punkten.

Börsen zwischen Verbrauchervertrauen und Zwangsvollstreckung

Das amerikanische Verbrauchervertrauen machte letzten Dienstag einen kräftigen Satz nach oben und verzeichnete damit den stärksten Anstieg seit sechs Jahren. Die Börsen ließen sich daraufhin nicht lange bitten und stiegen mit.

Es gilt das Prinzip Hoffnung, denn belegbare Fakten für die Wirtschaftswende gibt es nicht. Stattdessen werden Vertrauensindices jeder Couleur herumgereicht. Aber wie viel Vertrauen verdient das Verbrauchervertrauen?

Amerikanische Analysten und eine Studie der Deka Bank haben nachgewiesen, dass – historisch betrachtet – das Verbrauchervertrauen als Konjunkturbarometer untauglich ist. Das dürfte daran liegen, dass die privaten Haushalte die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung nicht hinreichend abschätzen können. Aber wenn schon nicht die Konjunktur – können die Verbraucher wenigstens ihre eigene Konsumtätigkeit einschätzen? Statistisch betrachtet wieder Fehlanzeige. Wie die Deka-Studie darlegt, hängt die Konsumtätigkeit privater Haushalte nicht von deren Stimmungslage ab, das Verbrauchervertrauen hat diesbezüglich nur geringen Aussagewert. Die Stimmung der Konsumenten wird kurzzeitig indes ganz maßgeblich von Faktoren wie der Arbeitsmarktsituation, dem Benzinpreis und den Aktienkursen an der Börse geprägt und ist entsprechend launisch. Dennoch ist sie derzeit das tragende Element des Börsenaufschwungs. Dabei hätte der US-Konsument allen Grund zur Besorgnis, abzulesen am US-Immobilienmarkt. Dort ereignet sich nun das, was die Experten als die "dritte Welle" bezeichnen. Anders als bei den Subprime-Krediten, die von der Zahlungsunfähigkeit armer Hypothekenschuldner ausging, trifft es nun nach einer Studie der Research Firma Moody`s verstärkt die niedrigeren und mittleren Einkommen hart. Bedingt durch die Einkommenseinbußen durch Arbeitslosigkeit und Überstundenverlust hat sich die Zahl der im Rückstand befindlichen bzw. bereits aufgekündigten Kredite in den letzten vier Monaten um eine halbe Million auf nun 1,5 Millionen erhöht. Das Kreditvolumen liegt bei insgesamt gut 200 Milliarden Dollar. Und dabei handelt es sich durchweg um ganz normale Hypothekenkredite zu regulären Bedingungen. Diese "dritte Welle" geht Hand in Hand mit den US-Arbeitsmarktzahlen. Im Jahr 2009 verlor die US-Wirtschaft bisher monatlich knapp 700.000 Stellen. Allein für die Bank of America errechnet sich damit ein potenzieller Hypothekenverlust von gut 40 Milliarden Dollar. Interessant dabei: Die angekündigten Hilfsmaßnahmen zugunsten Not leidender Hauseigentümer im Volumen von 75 Milliarden Dollar für ca. vier Millionen Hausbesitzer sind seit Februar von den Banken bei noch nicht einmal 50.000 Hypotheken umgesetzt worden. Zeitgleich kam es im Gegenzug zu über 300.000 Zwangsvollstreckungen. Und ein Ende der "dritten Welle" ist nicht abzusehen. Das lässt wenig Hoffnung für die vielzitierte Wirtschaftswende.

Musterdepot und Strategie

Der neu aufgenommene Henkel-Put läuft ganz gut und dürfte sich noch besser entwickeln, zumal er mit einer Laufzeit bis Juli ausgestattet ist und der Kursrückgang erst noch richtig einsetzen dürfte. Nachdem die Optimisten in der letzten Zeit verstärkt bei Zyklikern zugegriffen haben, hat dies gerade bei Metro zu geradezu irrwitzigen Kursen geführt. Der Metro-Put wird erneuert, diesmal mit einer relativ langen Laufzeit bis September und einer Basis von 35 Euro (aktuell 38 Euro). Der Schein wurde von der Deutsche Bank emittiert mit der WKN 94LX. DAX am 28. Mai (13.50 h): 4935 Punkte.

Aus der Sicht des Querdenkers

An der Börse vollzieht sich ein langer, zäher Kampf zwischen den Bullen und den Bären. Da werden zunächst Gelder aus dem völlig überreizten Anleihenmarkt in die Aktienmärkte verschoben. Charttechnische Widerstände fallen und signalisieren so ein weiteres Anstiegspotenzial. Großanleger kommen unter Druck und müssen nachziehen – die Börse verselbstständigt sich. Nach handfesten Fakten wird man dabei vergeblich Ausschau halten. Als fundamentale Rechtfertigung dienen vielmehr so halbseidene Argumente wie das Verbrauchervertrauen. Ein Stimmungsbarometer, das so ziemlich alles misst – bis hin zur Wetterfühligkeit der Befragten. Steigt die Börse, steigt auch das Verbrauchervertrauen – was dann wiederum die Anleger am Parkett beflügelt. Die meisten Profis sehen das pragmatisch: Es mache keinen Sinn, sich gegen einen steigenden Markt zu stellen, zumal es keine Anlagealternative gäbe.

Aber ganz so einfach wird es wohl nicht gehen. Auch wenn die erzielbaren Renditen an den Anleihenmärkten nicht gerade zum Einstieg verführen, kennt die Risikoneigung der Anleger doch Grenzen. Die Wette auf eine V-Formation der Wirtschaft – der Wende quasi aus dem Stand – wird nicht aufgehen – ist aber bereits an der Börse eingepreist. Und während man in Deutschland hoffnungsfroh an der 5000er Linie am DAX herumnagt, zeigen sich die Amerikaner schon realistischer. In den USA kämpft der Dow Jones mit der Marke von 8300 Punkten – einer Unterstützung, die seit Anfang Mai zäh verteidigt wird. Diese dürfte demnächst fallen. Darunter hat der Index dann viel Luft. Vermutlich genau die heiße Luft, die die Optimisten seit Wochen produziert haben.


Peter Spermann

Peter Spermann ist Dozent für Wirtschaftslehre und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit der Börse. In der AZ-Rubrik "Querdenker" vertritt er konsequent den Standpunkt des Antizyklikers.

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