Wirtschaft

DAX: Die Freude am Verlust

Quartalszahlen fallen schlecht aus, aber die Märkte hatten Schlimmeres erwartet

(hps). Salbungsvolle Worte von der amerikanischen Notenbank und die Märkte feiern bereits das Ende der Rezession. Die Börsen eroberten damit schon fast wieder das Niveau zurück, das sie zu Jahresbeginn hatten. Auf harte Fakten kann sich die Aufwärtsbewegung nicht stützen. Lediglich die Tatsache, dass die Gewinneinbrüche bei den Unternehmen nicht so stark ausfielen wie von den Analysten erwartet, treibt die Kurse an.

DAX: Die aktuelle Marktlage

Neben schlechten Konjunkturprognosen, Gewinneinbrüchen bei Unternehmen und steigenden Arbeitslosenzahlen ist nun mit der Schweinegrippe ein weiteres Risiko für die Börse hinzugekommen. Die Vogelgrippe hatte die Börse damals mitten im Auf-schwung beschäftigt, die Schweinegrippe trifft den Markt dagegen mitten im Abschwung – so mahnen die Pessimisten zur Vorsicht. Eines ist indes offensichtlich: Schlechte Nachrichten werden derzeit vom Markt im Zweifel schlichtweg ignoriert. Nur allzu halbherzig erscheint dabei das Credo der Vorsichtigen, die vor der längst überfälligen Konsolidierung warnen. Denn viele, so ist zu vermuten, denken gar nicht daran, sich jetzt schon das Bärengewand überzuziehen, sondern hoffen nur insgeheim auf eine baldige Einstiegschance. Und genau damit kalkulieren derzeit die Bullen. Sie verweisen darauf, dass auch künftig bereits kleinere Rücksetzer von Investoren zum Einstieg genutzt werden dürften. Und außerdem sei Dividendensaison. Die ausge-schütteten Beträge könnten in den DAX reinvestiert werden, was dem Börsenbarometer eine Stütze bieten sollte. Man gibt sich cool – und ein wenig beratungsresistent. Dabei schocken die hochgerechneten 6,1 Prozent Rückgang in der US-Wirtschaft ebensowenig wie der Anstieg der Ausfallraten im US-Kreditkartengeschäft. Auch die Tatsache, dass mindestens sechs der 19 größten US-Banken weitere Kapitalspritzen brauchen, sorgt kaum für Ungemach. Unter ihnen die Bank of America und die Citigroup. Einzige Reaktion: Beide Werte stiegen nach der Nachricht um 5 Prozent. Unterdessen zeichnet der weltgrößte Stahlhersteller Arcelor Mittal ein düsteres Bild von der Weltwirtschaft. Der Umsatz des Unternehmens hat sich im Vorjahresvergleich halbiert. Der Stahlkonzern fährt derzeit mit einer Kapazitätsauslastung von 50 Prozent.

Die kommende Woche aus der Sicht der Analysten

Die Börse könne nicht ewig vor den Fundamentaldaten davonlaufen, meinen die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg. Ähnliches war auch auf der Anlegermesse Invest in Stuttgart zu hören: Die fundamentale Situation sei deutlich ernster als die aktuelle Börsenlage, hieß es dort. Aber solche Äußerungen sind die Ausnahme. Auf der Käuferseite stehen die Investmentfonds. Gesellschaften wie Pioneer Investments sehen die Wirtschaft auf Erholungskurs und locken ihre Anleger in den Markt. Die Aktienquoten in den Depots sind allerorten kräftig gestiegen und die DAX-Prognosen werden zusehends ambitionierter. Bis auf 6000 Punkte reichen die Schätzungen nun für den Index. Beim Dow will man mitunter sogar die 10.000 Punkte-Marke bald wiedersehen. Interessant dabei: Namhafte Analysten wie der Schweizer Vermögensverwalter Felix Lais sehen dabei die Kurse nach dem Herbst wieder zurückfallen – und zwar unter die alten Tiefkurse. Was nur, wenn der DAX Richtung Süden dann doch gleich die Abkürzung nimmt?

Musterdepot und Strategie

Der einsame Rufer in der Wüste behält den Blick Richtung Süden bei und stellt zunächst nun doch den Investmentfonds DWS Russia mit 45 Prozent Plus glatt. Das Ergebnis ist so verrückt wie die gesamte Börsenlage – und man muss ja nicht jeden Blödsinn mitmachen. Das Musterdepot kauft diesen Titel sicher wieder wesentlich billiger zurück. Weitere Put-Engagements: Deutsche Börse mit Basis 50 Euro, Laufzeit Juni, Emittent Commerzbank (WKN CM1KEZ) und M.A.N. mit Basis 42 Euro und Laufzeit Juni der Deutsche Bank (WKN DB88NB). DAX am 30. April (8.20 h): 4729 Punkte.

Aus der Sicht des Querdenkers


Profi-Börsianer sind Kindern mit ihrer "Ich-will-auch-mitmachen"-Mentalität sehr ähnlich. In einem unterscheiden sie sich dennoch: Kinder drehen vor der Klippe um. Aber kein Wunder. Regierungen und Notenbanken versprechen inzwischen das Blaue vom Himmel. Die Amerikaner eröffnen den Banken Tür und Tor für ihre Bilanzkosmetik. Da wird ein "Stresstest" veranstaltet, ohne auch nur eine Silbe darüber zu verlieren, aufgrund welcher Grundlagen der Test abgelaufen ist. Aber: Das Börsenvolk folgt dem Ruf der Gurus und Vermögensverwalter und fährt die Aktienquote massiv nach oben. Indes kann man die Zeitung lesen so oft man will: Der Rückgang in der Weltwirtschaft hat sich lediglich verlangsamt. Von einer Wende kann keine Rede sein. Werfen Sie einen Blick auf den europäischen Hauptumschlagplatz für Öl in Rotterdam: Die Nachfrage nach dem Schwarzen Gold ist derart gering, dass die Öllager überquellen, Lagerplätze sind kaum mehr vorhanden. Aber das ist ja auch nicht das Problem. Die Geldsammelstellen haben ihre Schleusen geöffnet und dabei dankbar jedes Argument aufgegriffen, das auch nur halbwegs die These von der Wirtschaftswende zu untermauern schien. Bald sind dann alle gut positioniert und dann werden den Bullen nicht nur die Argumente ausgehen, sondern auch das Geld für Anschlusskäufe. Es wäre keine Überraschung, wenn am Ende von den Gewinnen nur noch die Erinnerung daran übrig bliebe.


Peter Spermann


Peter Spermann ist Dozent für Wirtschaftslehre und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit der Börse. In der AZ-Rubrik "Querdenker" vertritt er konsequent den Standpunkt des Antizyklikers.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.