Wirtschaft

Die Geschichte von Alfred und Erwin und anderen Zeitgenossen

Es waren einmal zwei Männer, nennen wir sie Alfred und Erwin.

Beide waren sie in einem weltbekannten Autokonzern beschäftigt. In der Fertigung machten sie zwar Tag um Tag das Gleiche, aber immerhin hatte dies über Jahre hinweg genügt, ihnen ein respektables Auskommen und sogar ein Eigenheim zu bescheren und den Erwerb eines ja nicht ganz billigen Produktes des eigenen Arbeitgebers ermöglicht.

Eines Morgens aber: Weiße Krägen und Schlipse beherrschen die Werkhalle. Es wird gemessen und geplant. "Lasergesteuerte Schweißanlage" hört Alfred hin und wieder murmeln. Aber so einfach ist das ja in einem deutschen Betrieb nicht, einfach eine neue Anlage zu installieren. Da gibt es schließlich die Sicherheitsvorschrift X, die Richtlinie Y. Genehmigungen müssen eingeholt werden. Zudem nistet im Dachfirst einer der seltenen Grünschwanz-Schnäpper. Das verspricht Ruhe auf Jahre, die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie macht es möglich. Und zur Not bleibt ja noch der Betriebsrat. Nicht zuletzt thront die Urkunde "Staatlich geprüfter Schweißer-Meister" aus dem Jahre 1979 majestätisch über dem Schreibtisch. Und eine dreitägige Fortbildung hatte er gerade vor vier Jahren auch noch besucht

Judgement-Day, Montag früh: "Tja, meine Damen und Herren, wie Sie ja alle schon längst wissen …" Breites Grinsen: "Und der Grünflügel-Krummschnabel, oder wie hieß der doch gleich, ja der, der ist einfach weg. Umgezogen ". Alfred vernahm noch etwas von "internationaler Ausrichtung", "qualitativen Sprüngen in der Fertigungstechnologie", und von den 6 bis 15 Monatsgehältern je nach Betriebszugehörigkeit. "Züchten Sie Rosen", "Spielen Sie Bridge" und anderes mehr hörte er in den Folgetagen – mit 51 Jahren.

Aber Erwin, der Tüftler, ein Schatten seiner selbst, kaum einer nimmt ihn wahr. Statt in der Pause über "die da oben" zu schimpfen, entschwindet er stets, und keiner weiß, wohin. Eine Werkstatt soll er zu Hause eingerichtet haben, nichts Genaues weiß man nicht. Erwin, der das Gras wachsen hört. Eines schönen Tages erscheint Erwin ebenfalls mit Schlips und Kragen. Gut, es ist nicht mehr der letzte Modeschrei, aber immerhin. Eilig entschwindet er in die "Teppichetage" der Abteilung. "Hey, Boss", so wird kolportiert, soll er gesagt haben, "seit Jahren mache ich nun immer nur dasselbe. Immer das Werkstück ABC bearbeiten. Das geht auch viel einfacher, ich habe da mit meiner Erfahrung etwas Praxistaugliches entwickelt ". Näheres weiß man nicht, doch das Geheimnis wird wohl bald gelüftet. Denn die Herren scheinen sich einig geworden zu sein, Erwin ward seitdem in der Werkshalle nicht mehr gesehen. Einen verarmten Eindruck macht er aber ebenfalls nicht, im Gegenteil.

Ganz anders wiederum Otto. Otto – der König der Schiene. 8000 kW und 500 Tonnen setzen sich auf seinen Befehl in Bewegung. Das macht ihn so stolz, mal wieder satt mehr Lohn zu fordern und ansonsten 500 Tonnen, 8000 kW und einige Hundert Reisende einfach mal stehen zu lassen. Otto weiß freilich auch, dass ab 200 km/h schon heute nicht mehr er, sondern Kollege Steuerungscomputer die Regie führt. Irgendwie dämmert es ihm, dass dies auch unter 200 km/h funktionieren könnte. Aber so richtig wahrhaben will er dies nicht. Also noch mal richtig auf die Pauke hauen – wer weiß, wie lange das noch geht?

Ach ja, dann ist da noch Apotheker Theobald. Theobald, das Dorf-Faktotum. Immer aufgelegt zu einem Schwätzchen, zu tröstenden und aufmunternden Worten. Mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks versieht er seinen Dienst. Ein Mann, ein Wort! In letzter Zeit ist Theobald aber zunehmend wortkarg, dafür spürbar flinker auf der Tastatur. "7815761" gibt er dann ein, die Nummer der Krankenkasse. Und der Kasten vor ihm sagt dann, welches Medikament er nun holen darf. "Müsste ich aber auch nicht mehr, da gibt es heute schon Kommissionierautomaten."

"Ja, ja, bei uns, da macht so was auch schon längst ein Automat. Deshalb stehe ich hier, um 11.00 Uhr morgens", tönt es etwas missgelaunt aus der Warteschlange. Es ist Alfred. Das trifft Theobald am Solarplexus. Für den Rest des Tages ist er noch schweigsamer als sonst.

Eine Runde Table Dance der PTA künftig in der Rezeptgebühr enthalten – aber nur bei der AOK? Das kann der Automat nicht. Vielleicht ein Massagestudio im Keller? Oder soll er sein "Glasmuseum" reaktivieren und tolle Cremes, Öle und Aromamischungen wieder selbst mischen? Beim Tag der offenen Tür waren die Leute hellauf begeistert! Wenn da nur nicht die ganzen Vorschriften und Richtlinien wären. Theobald zermartert sich den Kopf. Immerhin hat er das Thema aber verinnerlicht, im Gegensatz zu vielen Kollegen

Einstweilen vertraut er auf die Verlautbarungen seiner Berufsvertretungen. Die strafen die Roboter-Firmen möglichst mit Verachtung, und beziehen sich möglichst auf komplizierte Berufsordnungen, wenn irgendwo ein neues automatisches Abgabeterminal präsentiert wird. Zur Not ziehen sie auch gerne mal vor Gericht. Und vielleicht brütet bei dem Automatenhersteller ja auch ein Grünschwanz-Schnäpper, das wäre doch was. Kann man solche Vögel eigentlich mieten?

Währenddessen blättert Erwin in seiner Börsenzeitung. "Robo-Apo" geht an die Börse, steht da zu lesen. Der Apothekenmarkt – noch eine unentdeckte Perle! Den Longdrink in der einen, das Handy in der anderen Hand, ordert Erwin mal eben 5000 Stück der Neuemission ...


Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, Philosophenweg 81, 72076 Tübingen,

E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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Ein Kommentar von Peter Ditzel

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