Wirtschaft

Das Ende der Wachstumsillusion?

Betrachtungen zur wirtschaftlichen Lage

Wie sich die Zeiten ändern: Gestern noch wurde der Gesundheitsmarkt als die Wachstumsbranche schlechthin verkauft. Als ausgesprochen krisenresistent galt der Markt bisher, was wohl auch daran lag, dass es wirkliche Krisen in den letzten Jahrzehnten schlicht nicht gab. Gemessen an dem finanziellen Hurrikan, der momentan quer über den Erdball läuft, waren vergangene Rezessionen nur kleine Wölkchen am Horizont, welche die Schönwetterkapitäne am Steuer der Wirtschaftsnationen vor keine größeren Probleme stellten. Der gebetsmühlenartig zitierte, demografische Wandel und der steigende medizinische Fortschritt sollten quasi Garanten für immer weiter sprudelnde, kräftige Erlöse im Gesundheitswesen sein. Wer ein wenig nachdachte, den musste schon immer eine gesunde Skepsis angesichts solcher Aussagen überkommen.

Nichts kann endlos wachsen, und schon gar nicht dauerhaft schneller als die Wirtschaftsleistung. Genau dies ist aber beispielsweise in den USA als mit Abstand größtem Gesundheitsmarkt der Welt mit Wachstumsraten von 5% bis 10% chronisch seit vielen Jahren der Fall. Auch hierzulande finden wir diese Entwicklungen in freilich deutlich abgeschwächter Form. Es verwundert daher nicht, dass der neue amerikanische Präsident Barack Obama das Gesundheitswesen bereits als das größte wirtschaftliche Problem bezeichnet. Die Krise der amerikanischen Autobauer fußt, neben eklatanten Fehlern in der Modellpolitik, unter anderem in den galoppierenden Gesundheitskosten der Beschäftigten und insbesondere der Pensionäre. Allein zwischen 1500 und 2000 Dollar Gesundheitsleistungen stecken mittlerweile in jedem einzelnen Wagen des GM-Konzerns. Eine solche Bürde ist im internationalen Wettbewerb nicht tragbar. Die Zukunftsprojektionen unter Fortschreibung der bisherigen Wachstumsraten prognostizieren in den USA in den kommenden Jahrzehnten geradezu abenteuerliche Anteile an der Gesamtwirtschaftsleistung jenseits jeder tragfähigen Realität – das Gesundheitswesen droht die Wirtschaft komplett zu erdrosseln.

Gleichzeitig meldet heute bereits die Fa. Allergan, der weltgrößte Hersteller von Botulinum-Toxin u. a. zur Faltenbehandlung, erstmals Rückgänge. In USA werden Botox-Behandlungen bereits zu Discountpreisen feilgeboten. Schwarze Wolken zudem über den Herstellern von Zahnimplantaten, Schönheitskliniken oder den Anbietern von teuren Lifestyle-Medikamenten. Ist der Job in Gefahr oder gar schon verloren, können Brustvergrößerung oder Haarwuchs eben warten.

Stagnation im OTC-Markt

Schauen wir auf unsere OTC-Absatzzahlen hier in Deutschland, dann dominieren seit einiger Zeit schon die Minuszeichen – Rückgänge sind hier die Regel. Das klang in den 1990er Jahren noch ganz anders. Selbst wenn der Versandhandel hier eine Rolle spielt (sein Anteil am OTC-Geschäft wird mittlerweile auf 5% bis 7% geschätzt), so kann man unter Einrechnung dieser Umverteilung dennoch bestenfalls eine Stagnation konstatieren. Und bei diesen Zahlen spielte die Wirtschaftskrise noch gar keine Rolle. Der negative Trend dürfte sich also erst einmal verstärken. Die Krise trifft also den hochgepriesenen Privatmarkt als erstes.

Einzig die viel gescholtenen Krankenversicherungen wirken bisher als Puffer. Ein Plus von 5% im GKV-Markt in 2008, dagegen ein Minus von 3% im OTC-Geschäft lautet die Übersetzung in die nüchterne Zahlenwelt. Nur – Puffer haben eben auch nur eine begrenzte Pufferkapazität, wie wir aus der Chemie wissen. Ist diese Kapazität aufgebraucht, drohen dafür umso drastischere Veränderungen. 2009 ist trotzdem weitgehend "abgehakt", der Gesundheitsfonds steht. Die Arbeitslosigkeit und damit zurückgehende Einnahmen hinken der wirtschaftlichen Entwicklung hinterher, und nicht zuletzt werden Beiträge für Arbeitslose und Hartz IV-Empfänger von den Sozialträgern an die Krankenkassen entrichtet, wenn auch vielfach nicht "kostendeckend". All dies dämpft dennoch den finanziellen Fall.

Versucht man daraus Zukunftsszenarien abzuleiten, dann könnte sich das in etwa so abspielen: Im realistischen "expected case" geht der nicht verordnungsgestützte Barverkauf unserer Apotheken in 2009 weiter um 3% bis 5% zurück. Für 2010 ist die Voraussage schwieriger: Entwickelt sich die Konjunktur V-förmig, also ein kurzer, tiefer Einschnitt mit rascher Erholung, dann könnte in 2010 eher wieder eine "schwarze Null" wahrscheinlich werden. Bei weiter schwacher Konjunktur oder gar einem Depressionsszenario, welches nach wie vor noch miteinbezogen werden muss, könnten sogar zweistellige Rückgänge möglich sein. Leider schlagen auch hier statistische Effekte durch: Der Packungsabsatz an sich muss gar nicht so stark einbrechen; es reicht, wenn teure Packungen stark einbrechen, um die Umsatzzahlen überproportional in die Tiefe zu ziehen.

Deutliche Wachstumsraten auf breiter Front im Barverkauf dürften wir dagegen so bald nicht wieder sehen: Dazu gibt es viel zu viele Produkte, die man nicht unbedingt haben muss, mit zweifelhafter Wirkung oder für deren Erwerb schlicht der Leidensdruck fehlt. Nicht umsonst reißen es Erkältungs- und Magen-Darm-Präparate immer wieder heraus: Läuft die Nase, schmerzt der Hals und grimmt der Bauch, wird gerne in das Portemonnaie gegriffen. Auch ohne Discountangebote. Bei einem großen Teil des Frei- und Sichtwahlsortimentes sieht das anders aus. Da kann manche Packung weggelassen werden, ohne dass dies gleich auf das Befinden durchschlägt. Keine schöne, gleichwohl wahre Erkenntnis. Ein gewisser Silberstreif am Horizont ergibt sich aus der geplanten Entlassung interessanter Wirkstoffe wie Omeprazol aus der Verschreibungspflicht – wenn nicht der Bumerang in Form korrespondierend wegbrechender Verschreibungen folgt. Dann hätte man einmal Kombimodellaufschlag gegen eine Barverkaufsmarge getauscht – meist kein gutes Geschäft.

Leichtes Umsatzplus im GKV-Markt

Im GKV-Markt heißt es dagegen zumindest in 2009: business as usual. Mit weiterem Ärger der Rabattverträge im Rücken, läuft diese Verordnungsmaschine vorerst wie geölt. Ein Umsatzplus im Bereich von 3% bis 5% erscheint plausibel. Ein erstes Quietschen ist aber aus der Ecke der Privatverordnungen zu vernehmen: Schon in 2008 nur unterproportional wachsend, dürfte die eine oder andere Privatverordnung entfallen oder in zunehmender Weise schlicht nicht eingelöst werden. Bedeutende Teile der PKV-Verordnungen fallen eben unter die Selbstbeteiligung, und keineswegs alle Privatversicherten zählen zu den "oberen Zehntausend".

Im Falle einer länger andauernden Wirtschaftskrise dürften die Jahre 2010 und aufgrund der Nachlaufproblematik des Arbeitsmarktes auch noch 2011 für die GKV-Finanzen spannend werden. Dabei wird nicht so sehr der Kuchen an sich schrumpfen, wohl aber wird der Verteilungskampf noch härter geführt werden. Der momentane Kampf um die Ärztehonorare zeigt die Marschrichtung. Und wer einen Blick auf die laufenden Lohnrunden wirft, staunt nur: Von Krise offensichtlich (noch) keine Spur! Gegen einen Posaunenchor von gut 300.000 berufstätigen Ärzten und eine siebenstellige Zahl an Kranken- und Altenpflegekräften sowie sonstigen Assistenzberufen sind rund 21.500 Apotheken mit gut 140.000 Beschäftigten nicht mehr als eine kraftlos geblasene Blockflöte, zumal sie sich vor allem in der undankbaren Rolle eines Zulieferers befinden

Die zunehmende Speisung des Gesundheitstopfes aus Steuermitteln – so richtig der ordnungspolitische Ansatz sein mag – hat im Falle einer ausgemachten Finanz- und möglicherweise folgenden Staatskrise auch manifeste Nachteile. Bei drohenden Liquiditätsproblemen des Staates könnte hier ganz schnell der Rotstift angesetzt werden. Schneller jedenfalls als z. B. bei den Löhnen der Staatsbediensteten. Mit der Konsequenz, dass Liquiditätsprobleme bei den Krankenkassen resultieren, die dann eben nicht mehr vom Staat als Allmächtigem abgefedert werden können. Nur weil bisher alles gut gegangen ist, muss das morgen nicht mehr der Fall sein. Kybernetische Systeme – zu denen Finanzsysteme auch gehören – neigen zu Sprungantworten: Entweder es geht alles glatt, oder es klemmt gewaltig. Naheliegend ist dann ein Durchreichen an die Leistungserbringer. Rezeptabrechnungen werden gekürzt und lassen dann eben Wochen oder Monate auf sich warten, wie in anderen Ländern schon längst Usus. Der vorausschauende Unternehmer erstellt daher schon einmal eine "Worst case"-Rechnung, auf wie viele Rezeptabrechnungen er verzichten könnte, bevor die eigene Insolvenz droht

Da kommt noch was auf uns zu

2010 könnte tatsächlich für die Apotheken das Gedenkjahr von "Murphys Law" werden: Wenn etwas schiefgehen kann, dann geht es auch schief ...

Denn zu einem schwachen Bargeschäft und einem möglichen Pharma-Sparpaket gesellen sich zeitgleich noch weitere Probleme: Zu nennen ist hier die in erstaunlicher Ruhe über die Bühne gehende, "stille Revolution" der Großhandelsvergütung, die für viele Apotheken ganz empfindliche Rabattkürzungen mit sich bringen dürfte. Gleichzeitig steigt die Fieberkurve der "Zertifikatitis" und "Dokumentitis" weiter an – Papier, Papier, Papier, Nachweise, Punkte, Audits und Kontrollen. Man mag das als einen Konjunkturlichtblick sehen – es lebe die Bürokratie! Wir wissen zwar nicht, für was wir es tun und was es den Patienten (die letztlich einzig entscheidende Messlatte!) eigentlich nutzt – aber wir tun es, denn es schafft schließlich Beschäftigung. Der Staat macht es ja vor mit seinen "Rettungspaketen" und "Konjunkturprogrammen".

Auf der Kostenseite also wenig Erfreuliches, und auch der Personalbereich bereitet im Hinblick auf die Kostenentwicklung vorerst Sorgen.

Also kein Licht am Ende des Tunnels?

Doch – auch wenn wir erst am Anfang der Tunneldurchfahrt stehen. Angesichts des heute erreichten Renditeniveaus wird es für eine große Zahl von Apotheken zunehmend schwieriger, noch weitere Gewinneinbußen zu überstehen. Gefährdet sind nicht nur kleinere Betriebe, sondern auch bisweilen außerordentlich stark ausschauende Apotheken, die ihren bisherigen Erfolg aber vor allem auf Schulden gründen. Nicht wenige Filialkonstruktionen dürften bei einer um zwei Prozentpunkte geringeren Spanne bei gleichzeitig stagnierenden oder gar im Zuge eines Sparpaketes zurückgehenden Umsätzen und steigenden Kosten unter der Personal- und Schuldenlast zusammenbrechen. Es droht ein Dominoeffekt: Beginnt erst einmal eine Schließungswelle, zieht dies weitere Schließungen nach sich. Kredite werden gekündigt oder nicht mehr verlängert. Eine ganze Branche könnte in Verruf geraten: Krisenbranche!

Bisher ist immer wieder von Schließungswellen gesprochen worden, doch nie kamen sie. Dies könnte im Schicksalsjahr 2010 anders sein. Der Speck früherer Jahre, der manches abgefedert hat, ist vielfach weg – nicht nur bei den Apotheken.

In der Krise liegt aber auch die Chance: Umsätze verschwinden durch Schließungen nicht einfach, sie werden umverteilt. Die heutige Personalknappheit könnte dann ebenfalls der Vergangenheit angehören, der Lohndruck nimmt spürbar ab. Starke, grundsolide wirtschaftende Betriebe könnten am Ende besser denn je dastehen – wenn sie erst einmal die Krise überstehen. Voraussetzung dafür ist eine kerngesunde Finanzstruktur, eine geringe Verschuldung, persönliche Bescheidenheit und eine gesunde Risikokultur, die sich nicht von Gier oder Allmachtsträumen leiten lässt. Damit es Ihnen nicht so geht wie vor einiger Zeit einer Anakonda, die ein ausgewachsenes Krokodil gefressen hatte – und daran schlicht platzte! Dies als kleiner Fingerzeig auf den nach wie vor verbreiteten Trend, sich mit allerlei Risiken vollzusaugen (Stichwort Filialen!).

Und so betrachtet, kann eine Krise sehr wohl auch eine positive Funktion haben: Sie führt das Anspruchsdenken auf ein vernünftiges Maß zurück und belohnt am Ende die Soliden.


Anschrift des Verfassers: Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, Dozent und Erfagruppen-Leiter, Philosophenweg 81, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.