Arzneimittel und Therapie

Schmerzfrei und mobil per Doppelklick

Mit einer neuartigen Technik können postoperative Schmerzen im Krankenhaus einfacher und auch kostengünstiger behandelt werden als mit herkömmlichen etablierten Methoden. Die Schmerzmittelpumpe Ionsys® benötigt weder Schlauch und Kabel noch Kanülen. Der Wirkstoff Fentanyl wird aktiv über ein elektrisches Feld in die Blutbahn transportiert. Das transdermale System ist nicht größer als eine Scheckkarte und wird vom Patienten selbst bedient.

Das neue Applikationssystem ist zugelassen für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit akuten mäßigen bis starken postoperativen Schmerzen ausschließlich in einem Krankenhaus. Es wird seit dem 15. Januar 2008 auf dem Markt angeboten.

Analgesie bei Bedarf selbst ausgelöst

Nach operativen Eingriffen leiden vier von fünf Patienten an Schmerzen. Daran hat sich trotz verbesserter Analgesie in der letzten Dekade nichts geändert. Postoperative Schmerzen betreffen auch Patienten nach kleineren bis mittelgroßen Eingriffen. Hier aber werden üblicherweise keine invasiven Analgesieverfahren angewendet. Auch auf einen Akutschmerzdienst an der postoperativen stationären Betreuung wird in aller Regel verzichtet. Systemisch wirksame Analgetika wie Opioide bekommen diese Patienten meist gar nicht oder viel zu spät und in zu geringer Dosierung. Das zeigen Daten aus dem klinisch wissenschaftlichen Projekt "Schmerzfreies Krankenhaus" aus den Jahren 2005/2006, die in 25 Kliniken mit insgesamt 1328 Patienten erhoben wurden. Ein relativ großer Teil der Patienten hatte demnach Schmerzen, die auf einer Skala von 0 bis 10 oberhalb der Stufe 6 anzusiedeln sind. Nur 10% waren schmerzfrei und jeder Zweite klagte über ein Zuviel an Schmerzen.

Eine gute Schmerztherapie ist jedoch nicht nur Voraussetzung für den perioperativen Behandlungserfolg und eine beschleunigte Rekonvaleszenz. Unbehandelte postoperative Schmerzen bergen darüber hinaus die Gefahr einer Chronifizierung. So steigt einer skandinavischen Studie zufolge die Inzidenz chronischer postoperativer Schmerzen mit den Mängeln des Schmerzmanagements direkt nach dem Eingriff. Der Anteil von Thorakotomie-Patienten, die später über chronische Schmerzen klagten, stieg von 15 auf 38%, wenn keine gute postoperative Schmerzkontrolle durchgeführt wurde und stattdessen immer wieder schwere akute Schmerzen auftraten. Die patientenkontrollierte Analgesie (PCA) gehört deshalb zu den wichtigsten Fortschritten in der postoperativen Schmerztherapie. Potenzielle Programmier- und Medikationsfehler sowie das personal- und kostenintensive Handling limitieren jedoch den Einsatz der herkömmlichen patientenkontrollierten Analgesie. Diese Probleme scheinen nun mit dem neuen Applikationssystem Ionsys® gelöst zu sein.


Anwendungshinweise

Funktionstest:

Jedes Ionsys®-System sollte vor Abgabe an den Patienten auf seine Funktionalität hin überprüft werden. Dazu wird die vertiefte Dosiertaste gedrückt, während sich das System noch im versiegelten Folienbeutel befindet. Solange Ionsys® nicht auf der Haut angebracht ist, wird kein Wirkstoff aus dem System freigesetzt. So stehen auch nach Durchführung des Funktionstests noch 80 Dosen und ein Anwendungszeitraum von 24 Stunden zur Verfügung.

Entsorgung:

In dem benutzten System können sich noch beträchtliche Mengen des Opioidanalgetikums Fentanyl befinden. Daher sollte das verwendete System vorsichtig und nur an den Seiten bzw. am oberen Gehäuseteil berührt werden. Das rote Fentanyl-haltige Unterteil und das weiße Oberteil, das die Elektronik und Batterien enthält, können getrennt von einander entsorgt werden. Das Gehäuse-Unterteil mit dem Fentanyl-Gel soll mit der klebrigen Seite nach innen auf die Hälfte zusammengefaltet werden. "Lokale Bestimmungen sollten vorhanden sein um sicherzustellen, dass die gebrauchten Systeme zur Entsorgung der in dem Hydrogel verbliebenen Restmenge Fentanyl zurückgegeben werden (z. B. an die Krankenhausapotheken) und entsprechend den örtlichen gesetzlichen Anforderungen entsorgt werden", so die Formulierung in der Fachinformation zu Ionsys®.


Wirkstofffreisetzung durch Iontophorese

Die Wirkstofffreisetzung aus dem neuen transdermalen System beruht auf dem Prinzip der Iontophorese. Dabei macht man sich die positive Ladung des Schmerzmittels Fentanyl zunutze. Per Knopfdruck wird ein schwacher, nicht wahrnehmbarer Strom von 170 Mikroamper erzeugt, der über zehn Minuten eine Dosis von 40 µg des Analgetikums durch die Haut schickt. Durch den aktiven Transport gelangt der Wirkstoff rasch in die Blutbahn und bildet im Gegensatz zu einem Schmerzpflaster kein Depot in der Haut. Die Applikation nimmt der Patient selbst vor. Je nach Bedarf löst er per Doppelklick eine Bolusgabe aus. Für diese Zeit ist das System gesperrt und kann keine weiteren Dosen vormerken. Die durchschnittlichen Serumkonzentrationen, die bei postoperativen Patienten beobachtet wurden, lagen im Bereich von 0,4 bis 1,5 ng/ml über einen 24-stündigen Dosierungszeitraum. Im Allgemeinen wird die maximale Serumkonzentration von Fentanyl nach ca. 15 Minuten nach dem Auslösen einer Dosis erreicht. Nach Entfernen des Systems nach der letzten Dosis ist die Abnahme der Serumkonzentration von Fentanyl ähnlich wie nach intravenöser Verabreichung.

Wird das System ohne Aktivierung des elektrischen Stroms angebracht, liegt die durchschnittliche Resorptionsrate von Fentanyl über 24 Stunden bei etwa 2,3 µg Fentanyl/Stunde, was auf eine minimale passive Abgabe hindeutet.

In Vergleichsstudien mit mehr als 2500 Patienten beurteilten 88% der Patienten den Therapieerfolg der iontophoretischen Applikation als gut bis hervorragend. Das waren ebenso viele wie unter Therapie mit intravenöser Analgesie (83%). In der Schmerzintensität und den Opioid-bedingten Nebenwirkungen ergaben sich keine Unterschiede. Atemdepressionen wurden nicht beobachtet. In einer Studie berichteten allerdings 38% der Patienten von einem Erythem nach iontophoretischer Applikation. Die Beschwerden von leichtem bis mittlerem Schweregrad bildeten sich jedoch stets spontan zurück.

Ionsys®besteht aus einem kompakten elektronischen Steuergerät und zwei Hydrogelreservoirs, von denen das eine Fentanylhydrochlorid in einer Gelform enthält. Beim Auslösen jeder einzelnen Dosis bewegt ein elektrischer Strom eine vorbestimmte Men-ge Fentanyl aus dem Wirkstoffreservoir durch die Haut und in den systemischen Kreis-lauf. Es wird über jeden zehnminütigen Dosierungszeitraum eine Nominaldosis von 40 µg Fentanyl abgegeben, bis zu maximal 240 µg pro Stunde, aber nicht mehr als maximal 80 Dosen innerhalb von 24 Stunden. Nach Abschluss der ersten Dosisabgabe wird das System über 24 Stunden oder 80 Dosisabgaben aufrecht erhalten, danach wird es inaktiviert.

Optimiertes Management senkt Kosten

Das gesamte Management postoperativer Schmerzen lässt sich anscheinend erheblich verbessern und vereinfachen, wenn der Patient aktiv in die Therapie einbezogen wird. Das ist jedenfalls das Resultat einer Vergleichsstudie, in der die intravenöse PCA der neuen iontophoretischen Analgesie-Methode gegenübergestellt wurde. Verglichen wurden die jeweiligen Gesamtprozesse erstens hinsichtlich ihres organisatorischen und logistischen Aufwands und zweitens in Hinsicht auf die damit verbundenen Kosten. In Zusammenarbeit mit der Siemens Medical-Healthcare Consulting Group wurden hierzu an der Universitätsklinik Marburg alle erforderlichen Schritte erfasst und zeitlich wie monetär bewertet. Nach Aufschlüsselung aller Aktivitäten, die in 73 Prozessdurchläufen bei 43 repräsentativen Patienten gesammelt wurden, stellte sich heraus, dass insgesamt 146 Prozessschritte nötig sind, um eine komplette i.v.-PCA durchzuführen. Hier flossen auch solche, im Klinikalltag als selbstverständlich geltende Schritte wie "Kanüle aus Schublade holen" ein. Bei einer durchschnittlichen Behandlungsdauer der postoperativen Schmerztherapie von 35 Stunden summierten sich die hierzu erforderlichen Einzelaktivitäten zu einem Zeitaufwand von insgesamt rund 70 Minuten.

Um die postoperative Schmerztherapie mit dem transdermalen System Ionsys® durchzuführen, wurden hingegen nur 64 einzelne Prozessschritte registriert. Und die durchschnittliche Personalbindungszeit reduzierte sich bei Anwendung dieses Verfahrens auf 21 Minuten. Im Einzelnen minderte sich der Zeitaufwand für die Ärzte von 35 auf 19 Minuten und für das nicht-ärztliche Personal von 34 auf zwei Minuten. Dieses Verhältnis wird sich bei routinemäßiger Anwendung des neuen Verfahrens voraussichtlich noch etwas verschieben, da dann mehr Prozessschritte an das nicht-ärztliche Personal delegiert werden können. Unter den aktuellen Voraussetzungen ergab sich allerdings schon jetzt eine Reduktion der prozessabhängigen Kosten um mehr als 60%.

 

Quelle

Prof. Dr. Hugo van Aken, Münster; Prof. Dr. Stefan Grond, Detmold; Prof. Dr. Leopold Eberhart, Marburg: Pressekonferenz von "Moderne postoperative Schmerztherapie im Krankenhaus: Ionsys® – einfach effektiv, mobil", Essen, 13. Februar 2008, veranstaltet von der Janssen-Cilag GmbH, Neuss.

 


Martin Wiehl, freier Medizinjournalist

 

 

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