Fortbildung

Moderne Therapieoptionen bei Diabetes mellitus

Die alljährliche gemeinsame Fortbildungsveranstaltung der DPhG-Landesgruppe Hamburg und der Apothekerkammer Hamburg fand am 23. Februar bereits zum zwölften Mal statt. Etwa 170 Teilnehmer informierten sich dort über therapeutische Entwicklungen beim Diabetes mellitus Typ 2 – unter anderem auch über moderne Insuline, deren Zusatznutzen bei Gesundheitspolitikern umstritten ist, und über Interaktionen von Antidiabetika mit anderen Arzneistoffen.

Der Diabetes mellitus Typ 2 ist charakterisiert durch eine primäre Insulinresistenz mit einer frühen Insulinsekretionsstörung und unterscheidet sich damit vom Typ 1 und diversen spezifischen Diabetesformen, erklärte Dr. Matthias Epe, Hamburg. Die Insulinresistenz beruht auf genetischer Veranlagung in Verbindung mit intrauterinen Faktoren, dem Geburtsgewicht, Umweltfaktoren, der epigenetischen Programmierung, Bewegungsmangel und falscher Ernährung. Langfristig stört die Insulinresistenz die Glucosetoleranz, was in Verbindung mit einem Defekt der Beta-Zellen zum Diabetes mellitus Typ 2 führt.

Der Glucosestoffwechsel wird wesentlich durch die zahlreichen Hormone gesteuert, die das Fettgewebe sezerniert, das demnach als bedeutsames endokrines Organ verstanden werden muss. Während Adiponectin günstig wirkt, verschlechtern TNF-α, Leptin und Interleukin-6 die Insulinresistenz. Glitazone hemmen die Bildung dieser ungünstig wirksamen Botenstoffe.

Epe betrachtet viele Probleme von Diabetikern nicht als Folge einer zu großen Nahrungsaufnahme, sondern als Ergebnis der typischerweise hohen endogenen Produktion von Glucose in der Leber, die durch Metformin gehemmt werden kann. Gesunde schütten schon Sekunden nach einer glucosehaltigen Mahlzeit für kurze Zeit Insulin aus, das die endogene Glucoseproduktion abschaltet. Doch beim Diabetiker, dessen Beta-Zellen überstimuliert sind, unterbleibt dieses Signal. Daher fährt die Leber fort, Glucose zu produzieren; der Blutglucosespiegel steigt, die Glucoseverwertung ist schlecht, und die Beta-Zellen werden weiterhin überstimuliert. Auch die Glucagonkonzentration fällt bei Diabetikern im Gegensatz zu Gesunden während des Essens nicht ab.

Therapie mit verschiedenen Antidiabetika

Gemäß den Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft erhalten

  • übergewichtige Typ-2-Diabetiker möglichst Metformin, sofern es nicht kontraindiziert ist,
  • normalgewichtige Patienten vorzugsweise Glibenclamid.
  • Eine Alternative ist Insulin, und zwar schon in einer frühen Krankheitsphase; es ist keineswegs für die Endphase reserviert.

Die Kombination von Insulin und Metformin ist wegen der großen pathophysiologischen Bedeutung der Insulinresistenz sinnvoll. Bereits in einer frühen Krankheitsphase sieht Epe gute Einsatzmöglichkeiten für kurzwirksame Analoginsuline. Dies sei auch in internationalen Leitlinien vorgesehen, doch vertritt das deutsche IQWiG eine andere Position. Auch wenn bisher keine langfristigen Vorteile der Analoginsuline anhand harter Endpunkte nachgewiesen wurden, seien die pathophysiologischen Argumente und die praktischen Vorteile der Applikation ohne Spritz-Ess-Abstand im Patientenalltag überzeugend. Die Therapie mit Mischinsulinen sei zwar einfach, führe aber nicht zu physiologischen Verläufen der Insulinkonzentration; hierbei müssen die Patienten teilweise nur deshalb etwas essen, um die langfristig zu hohen Insulinmengen abzufangen.

Ein aussichtsreicher Ansatzpunkt, der bei den jüngsten, erst kürzlich zugelassenen Antidiabetika genutzt wird, ist das Inkretin (Glucagon-like-Peptid-1, GLP-1). Es wird sofort physiologisch im terminalen Ileum gebildet, wenn eine Speise im Magen ankommt. Es vermindert die Magenentleerung, stimuliert bei erhöhten Blutzuckerspiegeln die Insulinsekretion und senkt die Glucagonkonzentration. Da es bei normalen Blutspiegeln die Insulinsekretion nicht anregt, droht keine Unterzuckerung des Patienten.


Grußworte

Prof. Dr. Elisabeth Stahl-Biskup, Vorsitzende der DPhG-Landesgruppe Hamburg, betonte, wie wichtig die Beratung der Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 Tag für Tag in der Apotheke ist; entsprechend wichtig seien Fortbildungsangebote für Apotheker zu diesem Thema.

Rainer Töbing, Präsident der Apothekerkammer Hamburg, konstatierte den ungebrochenen Fortbildungswillen der Apotheker. Dies sei nötig, um die Beratungsanforderungen in der Apotheke zu erfüllen und die Steuerung der Patienten zu ausländischen Apotheken zu verhindern. Auch Töbing verwies auf die große praktische Relevanz des Diabetes und kritisierte zugleich die jüngsten Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, dass neue Insuline nicht von der GKV erstattet werden. So bewege sich Deutschland auf das Versorgungsniveau eines Dritte-Welt-Landes, doch sei dies politisch so gewollt, und letztlich werde die Versorgung über neue Rabattverträge wahrscheinlich wieder gewährleistet.

Sitagliptin und Exenatide

Dr. Dominik Dahl, Hamburg, vertiefte die therapeutischen Aspekte anhand von Studienergebnissen. Sitagliptin, das als Dipeptidylpeptidase-4-Inhibitor den Abbau von Inkretin hemmt, senkt in Kombination mit Metformin oder Sulfonylharnstoffen die HbA1c -Werte insbesondere bei hohen Ausgangswerten. In Kombination mit Metformin hat es in klinischen Studien zu einer geringen Gewichtsabnahme der Patienten geführt. Das oral anzuwendende Sitagliptin war in den Zulassungsstudien gut verträglich.

Da Inkretin nur eine Halbwertszeit von wenigen Minuten hat, eignet es sich nicht als Arzneimittel; stattdessen wird das Inkretin-Mimetikum Exenatide eingesetzt, das zweimal täglich zu injizieren ist. Die Einstiegsdosis von 5 Mikrogramm wird später meist auf 10 μg gesteigert, feinere Abstufungen sind bisher nicht vorgesehen. Künftig soll mit einer galenisch veränderten Formulierung von Exenatide und mit dem noch nicht zugelassenen Inkretin-Mimetikum Liraglutide eine einmal wöchentliche Anwendung möglich werden. Die Substanzen verstärken die glucoseabhängige Insulinsekretion, vermindern die postprandiale Glucagonsekretion und reduzieren das Hungergefühl.

Exenatide ist nur in Kombination mit Metformin oder Sulfonylharnstoffen zugelassen. In den meist über 30 Wochen geführten Zulassungsstudien senkte es in Kombination mit Metformin das Körpergewicht um etwa 2,5 Kilogramm. Als häufigste Nebenwirkung berichteten 48 Prozent der Patienten mit Einzeldosen von 10 μg Exenatide über Übelkeit. Als weitere Nebenwirkungen traten Hypoglykämien, Diarrhö und Erbrechen auf. Das Lipidprofil verbesserte sich; die Senkung des HbA1c -Wertes um etwa einen Prozentpunkt und die Gewichtsabnahme dauerten langfristig an. Weitere Langzeitdaten fehlen jedoch bisher. Die günstige Wirkung auf den HbA1c -Wert entsprach in Vergleichsstudien etwa dem Effekt verschiedener Insulintherapien, doch nahm das Körpergewicht unter Insulinen zu. Epe machte deutlich, dass Inkretin-Mimetika nur wirken können, wenn Insulin vorhanden ist. Daher werde Exenatide in den Zulassungsstudien in Kombination mit geringen Insulinmengen untersucht.

Moderne Insuline

Prof. Dr. Eugen J. Verspohl, Münster, hob die Notwendigkeit der Blutzuckereinstellung bei Patienten mit Diabetes hervor. Denn Glucose ist in Abhängigkeit von seiner Konzentration ein potenziell toxischer Stoff. Der viel zitierte HbA1c -Wert ist ein Indikator für die irreversible Schädigung von Proteinen durch ihre Glucosylierung, die vielfältige Folgeschäden nach sich zieht. Doch habe die klassische Therapie mit Humaninsulin drei wichtige Nachteile: Sie wirkt zu langsam, zu wenig und zu lang, denn sie entspricht nicht der physiologischen Situation.

Während Humaninsulin als zunächst unwirksames Hexamer vorliegt, bilden Insulinlispro, Insulinaspart und Insulinglulisin sofort wirksame Mono- oder Dimere aus und ermöglichen so eher ein physiologisches Insulinprofil. Für Insulinglulisin wird zudem eine antiapoptotische Wirkung diskutiert. Von der schnellen Resorption des Insulinglulisin profitieren auch adipöse Patienten, weil das Fettgewebe bei anderen Insulinen eine problematische Barriere darstellen kann.

Die flexible Handhabung der Analoginsuline ohne Spritz-Ess-Abstand wirkt sich besonders bei Kindern sehr positiv aus. Außerdem wurden bei Schwangeren signifikante Vorteile beschrieben: Der prandiale Blutzuckeranstieg ist geringer, schwere Hypoglykämien und Fehlgeburten traten seltener auf. Da aber die klinischen Langzeitstudien mit kurzwirksamen Analoginsulinen bisher keine Verbesserungen bei harten Endpunkten ergeben haben, liege es nahe, öffentlich zu diskutieren, wer für die praktischen Vorteile der Patienten aufkommen soll.

Um die Insulinwirkung zu verlängern, gab es früher nur die Möglichkeit, Protamin oder andere Stoffe zuzusetzen. Bei Insulinglargin wird das Ziel durch eine Molekülvariation erreicht: Aufgrund einer veränderten Aminosäurensequenz ist der isoelektrische Punkt so verschoben, dass das Insulin nach der Injektion ausfällt und ein Depot bildet. Bei Insulindetemir kommen sogar drei Verzögerungsmechanismen zur Wirkung. Es führte in einer Studie nicht zur Gewichtszunahme und wird daher als "gewichtsneutrales Insulin" bezeichnet. Die Debatte über ein angebliches Krebsrisiko durch Insuline mit modifizierter Aminosäurensequenz beruht auf der Kreuzreaktion von Insulin mit dem Wachstumsfaktor IGF (insulin-like growth factor), der in In-vitro-Versuchen bei vielfach höheren Konzentrationen zur Proliferation der kultivierten Zellen führt.

Fragwürdige Innovationen

Andere Innovationen sind laut Verspohl mit Skepsis zu betrachten. Nadelfreie Injektionssysteme verursachen mehr Schmerzen als Spritzen. Inhalierbares Insulin wurde nach kurzer Zeit vom Markt genommen. Auf dem pulmonalen Applikationsweg sei eine reproduzierbare Dosierung, wie sie für Insulin notwendig ist, bisher nicht zu gewährleisten. Auch die galenische Entwicklung einer oral applizierbaren Substanz mit Insulinwirkung sei bisher offenbar nicht entscheidend vorangekommen.

Datenbanken uneinig über Relevanz von Interaktionen

Mit der Anzahl der eingesetzten Arzneimittel steigt die Wahrscheinlichkeit für Interaktionen. Wenn Diabetiker an weiteren Erkrankungen leiden und von mehreren Ärzten behandelt werden, sind daher Apotheker besonders gefordert, auf potenzielle Wechselwirkungen zu achten, meinte Prof. Dr. Dorothee Dartsch, Hamburg. Doch ist es schwer, die klinische Relevanz einer beobachteten oder theoretisch möglichen Interaktion einzuschätzen, zumal verschiedene Patienten unterschiedlich betroffen sein können.

Hinsichtlich der Relevanz ist zu unterscheiden, ob eine Interaktion viele Patienten betrifft oder ob sie vielleicht nur selten, dann aber sehr folgenschwer ist. Die Einschätzung ist dabei immer auch subjektiv geprägt. Dies zeigt sich auch bei einem internationalen Vergleich von Datenbanken. So stellte Dartsch teilweise erhebliche Abweichungen zwischen den Bewertungen der ABDA-Datenbank und den gebräuchlichen US-amerikanischen, britischen und französischen Datenbanken fest. Demnach sollten in Einzelfällen bei vermeintlich unerklärlichen Interaktionen auch die Eintragungen in Datenbanken hinterfragt und mit anderen Datenbanken verglichen werden.

Interaktionen mit Antidiabetika

Als Beispiele für Interaktionen im Zusammenhang mit der Resorption nannte Dartsch die verminderte Bioverfügbarkeit von Digoxin bei der Komedikation von Acarbose und die verminderte gastrointestinale Motilität unter Exenatide. Oral anzuwendende Arzneimittel, bei denen die Dosierungsgenauigkeit bedeutend ist, sollten daher mindestens eine Stunde vor der Anwendung von Exenatide eingenommen werden.

Ein typisches Beispiel für eine Interaktion bei der Arzneistoffdistribution ist die Verdrängung aus der Proteinbindung, wenn Sulfonylharnstoffe gleichzeitig mit Tetracyclinen, nicht-steroidalen Antirheumatika, Fibraten oder Sulfonamiden gegeben werden. Bei der Metabolisierung können zahlreiche Wechselwirkungen durch die Inhibition oder Induktion verschiedener Cytochrom-P450-Isoenzyme entstehen. So können Sulfonylharnstoffe zur Wirkungszunahme von Sulfonamiden, Azolantimykotika und Gyrasehemmern und zur Wirkungsabnahme von Rifampicin führen.

Für Metformin werden zahlreiche Interaktionen bei der Elimination von Arzneistoffen genannt. Iodhaltige Röntgenkontrastmittel sind daher bei Metformin-Einnahme kontraindiziert. Bei der Anwendung von Sitagliptin kann die Konzentration von Digoxin gefährlich ansteigen. Bei der Kombination von Ciclosporin und Sitagliptin steigt die Sitagliptin-Konzentration.


Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel

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