Arzneimittel und Therapie

Prädiktive Diagnostik mit Gentests

Bei einem Mammakarzinom im frühen, adjuvanten Stadium ist eine Chemotherapie in rund 70% aller Fälle überflüssig, das heißt, sieben von zehn Frauen erleiden nur Nebenwirkungen und keinen Nutzen der Therapie. Ob eine Chemotherapie sinnvoll ist oder nicht, hängt von verschiedenen prädiktiven Faktoren wie etwa dem Hormonrezeptor- und Menopausenstatus oder der Her2-Überexpression ab. Diese Faktoren werden auch bei der Therapieentscheidung herangezogen. Möglicherweise kann auch mithilfe von Gensignaturen der Krankheitsverlauf – und somit die Notwendigkeit oder Nutzlosigkeit einer Chemotherapie – eingeschätzt werden.

Man nimmt an, dass ein Mammakarzinom bereits in einem frühen Stadium über molekulare Mechanismen verfügt, die seine spätere Metastasierung bestimmen. Die Erfassung der intrinsischen Genaktivität erlaubt somit eine frühzeitige Risikoeinstufung. Zur Bestimmung der Aktivität krebsrelevanter Gene wurden in den USA und Europa molekulare Testverfahren entwickelt. Die zwei kommerziell erhältlichen Tests – MammaPrint® und Oncotype DXTM – unterscheiden sich deutlich voneinander und basieren auf der Messung unterschiedlicher Gensätze. Dies ist unter anderem auf verschiedene Methoden der Gewebebearbeitung zurückzuführen: In den USA werden die Tumorproben überwiegend in Paraffin fixiert; in Europa – außer in Deutschland – wird das Gewebe frisch bearbeitet oder kryokonserviert.

Beide Genexpressionsprofile erlauben aussagekräftige Einschätzungen. So konnten verschiedene Arbeitsgruppen zeigen, dass mithilfe der Gensets die klinische Prognoseeinstufung, die gegenwärtig nach den Kriterien von St. Gallen oder der Risikoeinstufung des National Cancer Institutes erfolgt, verbessert werden kann. Selbst die Vorhersage des Erfolgs spezieller Polychemotherapien scheint auf der Basis eines Genexpressionsprofils möglich. Die retrospektiv erhobenen Daten sollen nun im Rahmen großer randomisierter Studien wie der TailorRx (Trial Assigning Individualized Options for the Treatment Study: verwendet den Oncotype DX™-Assay) und Mindact (Microarray in Node-Negative Disease May Avoid Chemotherapy Study; Einsatz von MammaPrint®) überprüft werden.

Kommerziell erhältliche Gentests

Zurzeit sind zwei Gentests kommerziell erhältlich: Oncotype DXTM (Hersteller Genomic Health; Redwood City, USA; vor allem in USA eingesetzt; Kosten rund 3400 US Dollar) und MammaPrint® (Hersteller Agendia Amsterdam; vor allem in Europa eingesetzt; Kosten etwa 2200 Euro). Oncotype DXTM beruht auf einer reversen Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion, bei der 250 potenziell wichtige Gene gemessen und 16 krebsrelevante ausgewertet werden. Die Expressionsdaten bestehen aus 16 Tumorgenen (proliferative Gene, Estrogenrezeptor- und Her2-bezogene Gene, invasionsbezogene Gene und andere tumorassoziierte Gene) und fünf Referenzgenen (21-Gen-Signatur) und ergeben einen Rezidivscore, der die Einteilung in drei Risikogruppen gestattet.

Bei MammaPrint® wird ein DNA-Microarray durchgeführt. In dem 70-Gen-Prognose-Profil wird eine Anzahl von Genen gemessen, die beim Zellzyklus, der Invasion, Metastasierung, Angiogenese und Signaltransduktion eine Rolle spielen. Anschließend erfolgt eine Einteilung in zwei Risikogruppen.

Internet

Adjuvant consensus: dieser Leitfaden für Patienten wurde von der Frauenklinik Kiel der Uniklinik Schleswig-Holstein entwickelt. Aufgrund von Angaben zum Alter, Menopausenstatus und zu Tumoreigenschaften werden Therapievorschläge nach den Leitlinien von St. Gallen und dem National Comprehensive Cancer Net erstellt. www.adjuvantconsens.com

Adjuvant! online ist ein in Europa häufig eingesetztes Programm zur Einschätzung des Rezidiv- und Mortalitätsrisikos von Patientinnen mit primärem Mammakarzinom sowie zur Kalkulation des Effekts adjuvanter Therapien. Nach Eingabe persönlicher Risikofaktoren (Alter, Komorbidität, Hormonrezeptorstatus, Grading, Tumorgröße, Anzahl befallener Lymphknoten) erfolgt die Auswahl gängiger adjuvanter und endokriner Therapieregime. Das Programm ermittelt den Benefit bei keiner durchgeführten Therapie, einer Hormontherapie, einer Chemotherapie und einer kombinierten Hormon- und Chemotherapie und stellt ihn in einem farbigen Balkendiagramm dar. Die Datenbasis beruht auf den Ergebnissen retrospektiver Analysen. www.adjuvantonline.com

Technologie einer Genexpressions-Analyse am Beispiel von MammaPrint®

Mithilfe eines DNA-Microarrays kann die Aktivität (Expression) bestimmter Gene ermittelt werden. Auf dem DNA-Microarray sind die zu untersuchenden Gene auf einer Glasplatte, dem Gen-Chip, angeordnet. Jeder Punkt auf dem Glasträger enthält ein DNA-Fragment mit einer bekannten Sequenz. Um das gesamte Genexpressionsmuster einer Tumorprobe zu bestimmen, wird die mRNA aus der Probe extrahiert und mit einem fluoreszierenden Farbstoff markiert. Die so gekennzeichnete mRNA wird zusammen mit der markierten mRNA einer Referenzprobe auf das DNA-Microarray hybridisiert.

Der Ablauf des Tests verläuft nach Eingang der frischen Tumorprobe folgendermaßen:

  • Isolierung der mRNA (Menge und Zusammensetzung der mRNA geben Aufschluss darüber, welche Gene wie häufig abgelesen werden);
  • DNase-Behandlung der isolierten RNA;
  • Transkription in cDNA und danach in cRNA;
  • Fluoreszenzmarkierung der Tumor- und ReferenzcRNA;
  • Reinigung der cRNA, Hybridisierung der cRNAs der Tumor- und der Referenzprobe auf das MammaPrint®-Microarray;
  • Scannen des MammaPrint® Mikroarray und Datenerfassung;
  • Berechnung und Bestimmung des Risikos bei der entsprechenden Brustkrebspatientin.

Noch nicht praxisreif

Eine Nachfrage bei Teilnehmern der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) 2007 in Basel ergab, dass die Mehrzahl der Onkologen mit Adjuvant!online (s. Kasten) arbeitet; MammaPrint® und Oncotype DXTM hingegen kaum eingesetzt werden. Eine Anfrage bei Pathologen führte zu derselben Antwort. In der Konsensusdiskussion von St. Gallen 2007 wurde der Einsatz von MammaPrint® und Oncotype DXTM diskutiert, aber nicht mehrheitlich befürwortet. Dasselbe gilt für die im Herbst 2007 überarbeiteten ASCO-Empfehlungen. Bislang werden Genexpressionsanalysen vorwiegend im Rahmen von Studien durchgeführt.

 

Quelle

Buyse M., et al.: Validation and clinical utility of a 70-gene prognostic signature for women with node-negative breast cancer. Journal of the National Cancer Institute 98, 1183-1192 (2006)

Dr. Stefan Aebi, Bern: "Adjuvante Chemotherapie". Fortbildungssymposium bei der DGHO am 7.10.2007 in Basel.

Harris L., et al.: American Society of Oncology 2007 update of recommendations for the use of tumor markers in breast cancer. JCO online 22.10.2007.

Paik S., et al.: A multigene assay to predict recurrence of tamoxifen-treated, node-negative breast cancer. N Engl J Med 351, 2817-2826 (2004).

Priv.-Doz. Dr. Bernhard Pestalozzi, Zürich: "Adjuvante Chemotherapie beim nodal-negativen Karzinom". Expertenseminar Mammakarzinom bei der DGHO, 6. Oktober 2007, Basel.

Positionspapier der National Breast Cancer Coalition (NBCC); erstellt 2005, überarbeitet März 2007 www.natlbcc.org.

Possinger, K. Mammakarzinom. In: Colloquium Onkologie 4. Update Hämatologie/Onkologie 2007. Lukon Verlagsgesellschaft München 2007.

Rhiem, K.: Prädiktive Faktoren beim Mammakarzinom. Individuelle Therapiekonzepte gesucht. Gynäkologie und Geburtshilfe. Sonderausgabe 1, 14-18 (2007).

Van de Vijver, M.; et al.: A gene expression signature as a predictor of survival in breast cancer. N Engl J Med 347, 1999-2009 (2002).

Van`t Veer, L.; et al.: Gene expression profiling predicts clinical outcome of breast cancer. Nature 415, 530-536 (2002).

 


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

 

 

 

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