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"Die Stärken als Heilberuf ausspielen"

ULM (diz). Auch der Generikahersteller Ratiopharm, der mit Stada und Hexal zu den größten in Deutschland gehört, beklagt den Druck, der von gesundheitspolitischen Maßnahmen ausgeht. Die Preise der Generika gehen durch Festbeträge und Rabattverträge kontinuierlich weiter abwärts. Wir sprachen mit Dr. Philipp Daniel Merckle, dem Vorsitzenden der Ratiopharm Gruppe, über die Auswirkungen der Rabattverträge, über die Zukunft der Apotheke und des Apothekers.
Dr. Philipp Daniel Merckle "Ich sehe keinen Fortschritt darin, wenn das Fremd- und Mehrbesitzverbot wegfällt."

DAZ: Die Rabattverträge, insbesondere die Verträge mit der AOK, beschäftigen die pharmazeutische Industrie und die Apotheker nun fast ein Jahr. Ein Ende ist nicht abzusehen. Nachdem sich Ratiopharm anfangs mit anderen großen Generikafirmen nicht um einen Zuschlag bewarb, sind Sie jetzt dabei. Wie beurteilen Sie das Instrument der Rabattverträge? Zukunftstauglich?

 

Merckle: Die Politik hat hier den Kassen sehr große Freiheiten gegeben. Man kann es ihnen nicht verübeln, wenn sie diese Rahmenbedingungen dann auch voll ausnützen. Das eigentliche Problem liegt in der Kurzfristigkeit dieser Verträge. Ein für das System sinnvoller Wettbewerb funktioniert nur dann nachhaltig, wenn auf allen Seiten für die Beteiligten ein Mindestmaß an Transparenz und Verlässlichkeit vorhanden ist. Darüber hinaus müssen wir feststellen, dass es in der Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und der Pharmaindustrie derzeit ausschließlich um ökonomische Aspekte geht. Die Qualität der Arzneimittel und damit die Qualität der Patientenversorgung kommen zu kurz. Ratiopharm wird hier mit allem Nachdruck gegensteuern. Wir wollen für unsere Kunden, auch für die Kassen, innovative, zuverlässige und an der Patientenversorgung orientierte Partner sein. Das erwarten im Übrigen auch die Bürgerinnen und Bürger. Die Kassen werden sich bei der Wahl ihrer Vertragspartner fragen lassen müssen, hinter welcher Firma sie stehen können.

DAZ: Neben den Rabattverträgen gibt es noch die Festbeträge. Außerdem die Regelung: Werden die Arzneipreise 30 Prozent unter den Festbeträgen festgesetzt, erspart dies den Patienten die Zuzahlung. Festbeträge sollen nun erneut gesenkt werden – lässt sich die Spirale nach unten noch aufhalten?

 

Merckle: Die Abwärtsspirale hat sich verselbstständigt und ist zum Teil ad absurdum geführt. Das wird in der nächsten Zukunft bereits dazu führen, dass selbst Generikahersteller politisch festgesetzte Festbeträge nicht mehr mit ihren Herstellungskosten erreichen können und deswegen Produkte über Festbetrag anbieten werden müssen. Man sieht an diesem Beispiel die systembedingten Schwächen und die Verselbstständigung eines Instruments, das nicht mehr der Realität entspricht.

Bedauerlich ist auch, dass die Mitverantwortung der Patienten durch das Instrument der Zuzahlungsbefreiung zurückgedrängt wird. Hier hat die Politik ein falsches Signal gesetzt. Wir haben bereits in den Anfängen ein eindeutiges Zeichen gesetzt, indem wir darauf hinwiesen, dass dieser Weg in eine Sackgasse führt. Letztendlich orientieren wir uns aber innerhalb des vorgegebenen Systems am Kunden. Das heißt z. B. bezogen auf die Patienten-Zuzahlungsbefreiung, dass derzeit alle möglichen Ratiopharm-Produkte für den Patienten zuzahlungsbefreit sind. Dies ist auch ein klares Zeichen an die Apotheken.

DAZ: Wie sehen Sie die Zukunft der Apotheke angesichts der Liberalisierungsbestrebungen? Hat die Apotheke noch eine Zukunft? Und wenn, unter welchen Voraussetzungen? Wo muss die Apotheke in Zukunft ihren Schwerpunkt haben?

 

Merckle: Die Apotheker sollten darauf achten, ihre eigentlichen Stärken als Heilberuf auszuspielen. Nur dann können sie auch gegenüber der Politik glaubwürdig auftreten und darauf hinweisen, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Nur dann können sie von der Politik verlangen, dass sie gehört werden.

Vom politischen Schlagwort der Liberalisierung versprechen sich einige eine neue Apothekenwelt. Das Problem ist, dass sich dieser Begriff schon verselbstständigt hat und heute keiner mehr danach fragt, ob eine solche Liberalisierung eigentlich etwas Positives bewirkt. Was wird denn dadurch eigentlich besser? Ich sehe keinen Fortschritt darin, wenn das Fremd- und Mehrbesitzverbot wegfällt. Wer in ein System eingreift, sollte im Voraus wissen, dass sich dadurch eindeutig Verbesserungen ergeben. Hier sehe ich allerdings weder für Patienten noch für Apotheken echte Verbesserungen.

DAZ: Manche erhoffen sich dadurch noch günstigere Preise …

 

Merckle: Da frage ich mich, wo die herkommen sollen. Es gibt heute schon genug Instrumentarien wie Festbeträge und Zwangsrabatte, die zu niedrigsten Preisen führen. Wo sollen hier weitere Preissenkungen möglich sein? Mit der heutigen Überregulierung setzt man letztlich die deutsche Generikaindustrie und mit der angedachten Liberalisierung die deutschen Apotheken aufs Spiel. Ist der Wechsel erst einmal vollzogen, ist unser heutiges System verloren, ein Zurück gibt es dann nicht mehr. Wenn solche großen Veränderungen angegangen werden, dürfen es keine Experimente sein.

DAZ: Wo hat die Apotheke in Zukunft ihren Schwerpunkt?

 

Merckle: Ich bin davon überzeugt, dass die Apotheke eine Zukunft hat, insbesondere die inhabergeführte Apotheke. Der Anspruch der Patienten, der Bürgerinnen und Bürger auf eine individuelle, qualifizierte Gesundheitsberatung und der Bedarf an Service- und Dienstleistungen in diesem Bereich steigen kontinuierlich. Der Apotheker ist der Fachmann in der Informationsflut, die zwar jedem zugänglich ist, die aber nicht jeder bewerten kann. Dies sehe ich vor allem auch vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Gesellschaft.

DAZ: Zu den Marketing-Aktivitäten von Ratiopharm: Die "World in Balance"-Tour geht in ihre dritte Runde. Sie soll unternehmerische und gesellschaftliche Verantwortung von Ratiopharm zeigen. Sind Sie mit dem bisher Erreichten zufrieden? Was steht an Neuem an?

 

Merckle: Für mich ist es wichtig, dass mir diese Tour die Möglichkeit gibt, mit meinen Kunden, den Ärzten und Apothekern, über die entscheidenden Themen zu sprechen und diese zu diskutieren: Wo wollen wir hin, wie prägen wir das System? Die Tour soll eine Aufforderung zum Dialog sein, wie wir das System gut gestalten können. Die Symbolik von "World in Balance" ist mir wichtig: weg vom kurzfristigen Denken, hin zu mehr Verantwortung für die Zukunft. Die Themen Afrika – hier Äthiopien, Klimaschutz, Jugenderziehung – passen dabei genau: Jeder beklagt sich, aber keiner tut etwas. Für mich ist "World in Balance" ein lebendiges Modell, das ich auch in meinen unternehmerischen Entscheidungen lebe. Ich bin überzeugt, dass wir diese Themen angehen müssen, auch wenn wir kurzfristig keinen Nutzen daraus ziehen.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch.

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