Fortbildungskongress

Nie mehr bittere Pillen schlucken

Etwa 25 bis 50% aller Patienten zeigen sich in Bezug auf die Arzneimitteltherapie unkooperativ. Absichtlich, weil sie schon sehr reserviert den Arzt aufsuchen. Oder unabsichtlich wie Kinder, die ihre Medikation verweigern, weil sie zu bitter schmeckt. Die Folgekosten dieser Non-Compliance werden mit bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr beziffert. Prof. Dr. Jörg Breitkreutz vom Institut für pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zeigt an Beispielen aus der Praxis, wie mit technologischen Möglichkeiten Arznei- zubereitungen geschmacklich optimiert werden können, um die Compliance zu verbessern.

Um den Geschmack von Arzneizubereitungen gezielt zu verbesern, muss zwischen dem Geschmacksempfinden und der Geschmackswahrnehmung unterschieden werden. Der Geschmack einer Arzneizubereitung ist der Sinneseindruck, der bei jedem einzelnen infolge der Reize entsteht, die auf den Geschmacks-, Geruchs-, Tast- und den Sehsinn treffen. Werden diese sensorischen Signale kognitiv verarbeitet, so ergibt sich die Geschmackswahrnehmung. Das subjektive Geschmacksempfinden ist von der jeweiligen Umgebung, der Befindlichkeit und von den bisherigen Geschmackserfahrungen des Menschen abhängig. Diese psychologische Komponente sollte nicht unterschätzt werden, da sie den Geschmack täuschen kann.

Die Rezeptorzellen für Geschmackseindrücke sind in Geschmacksknospen angeordnet, die sich auf der Zunge in den Geschmackspapillen, aber auch in den Schleimhäuten der Mundhöhle befinden. Etwa 25% der Geschmacksknospen sind auf den vorderen zwei Dritteln der Zunge angeordnet, weitere 50% auf dem hinteren Drittel. Die Papillen der Zunge unterteilt man ihrer Morphologie nach in Wall-, Blatt oder Pilzpapillen. Pilzpapillen, etwa 150 bis 400 an der Zahl, befinden sich auf den vorderen zwei Dritteln der Zunge und enthalten beim Menschen je drei bis fünf Geschmacksknospen. Von den Blattpapillen besitzen wir etwa 15 bis 30, die sich im hinteren Drittel der Zunge an der Seite befinden. Sie enthalten je 50 Geschmacksknospen. Wallpapillen befinden sich im hinteren Drittel des Zungenrückens. Jeder Mensch besitzt etwa sieben bis zwölf dieser Papillen, die jeweils etwa 100 Geschmacksknospen enthalten. Die häufig noch anzutreffende Kartierung der Zunge in unterschiedliche Bereiche für süß (vorn), salzig (an den Seiten) bzw. bitter (hinten) gilt als überholt, so Breitkreutz. Gleiches gilt für die Annahme, dass einzelne Rezeptorzellen für einzelne Geschmacksrichtungen zuständig sind. Heute geht man davon aus, dass die Rezeptorzellen stets für mehr als nur eine Geschmacksrichtung zuständig sind.

Vermeiden von "Bitter" sichert das Überleben

Die bisher bekannten Geschmacksrichtungen des Menschen sind von großer Bedeutung für das Überleben in der Natur. Sie helfen, zwischen überlebenswichtigen Nährstoffen (salzig, süß, umami) und lebensbedrohlichen (bitter, sauer) zu unterscheiden. Insbesondere der bittere Geschmackseindruck und ein stark saurer Geschmack werden als besonders unangenehm empfunden: So wird z. B. die Aufnahme großer Mengen alkaloidhaltiger Pflanzenteile verhindert und damit möglichen Vergiftungen vorgebeugt. Dabei entwickelt sich das gustatorische und olfaktorische System schon beim Fötus ab dem zweiten Schwangerschaftsmonat. Das Ungeborene kann positiv auf süße Geschmacksreize und negativ auf Bitterstoffe reagieren, die im getrunkenen Fruchtwasser enthalten sind. So bevorzugen die Kinder von Diabetikerinnen, die ja in einem süßen Fruchtwasser schwimmen, auch nach der Geburt süße Substanzen.

Problempatient Kind

Insbesondere die Geschmacksmaskierung von bitteren Arzneistoffen für Kinder spielt eine große Rolle, da hier die Verabreichung durch die angeborene Abneigung gegen bittere Substanzen besonders erschwert ist. Bei festen Darreichungsformen kann der Geschmack meistens leicht durch einen Überzug überdeckt werden. Eine Optimierung des Geschmacks bei flüssigen Arzneiformen stellt schon eine größere Herausforderung dar. Eine Möglichkeit ist die Zumischung von Hilfsstoffen wie Süß- oder Aromastoffen zu flüssigen Arzneiformen, wodurch andere Geschmacks- oder Geruchsreize erzeugt werden, die das Kind den unangenehmen Geschmack des Arzneistoffs vergessen lassen. Auch kann die Diffusionsgeschwindigkeit des Arzneistoffs verringert werden. In der Folge wird ein Großteil des Arzneistoffs verschluckt, bevor er die sensorischen Zellen überhaupt erreichen kann. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, die Konzentration des freien Arzneistoffs in wässriger Lösung zu reduzieren, so dass weniger Arzneistoffmoleküle an die Geschmacksknospen gelangen und nur ein abgeschwächter Reiz ausgelöst wird.

Methylenblau gegen Malaria

Der Einsatz von Methylenblau gegen Malaria gilt als ein erfolgreiches Beispiel, wie mit pharmazeutisch-technologischen Methoden eine Anwendung bei Kindern erst möglich wird. Methylenblau besitzt einen so ausgeprägt bitter-metallischen Geschmack, dass kleine Kinder die Einnahme verweigern. Der Versuch, vor der Trocknung zu Partikeln das Methylenblau an verschiedene Ionenaustauscher zu binden, gelang zwar. Doch unter physiologischen Bedingungen wird Methylenblau schon im Mundraum schnell freigesetzt und der bittere Geschmack rasch wahrgenommen. Erfolgreicher war die Bildung einer Dispersion der getrockneten Ionenaustauscherkomplexe in mittelkettigen Triglyceriden, deren Viskosität erhöht wurde. Zusätzlich wurden Fructose-Kristalle eingearbeitet, so dass die ölige Konsistenz überdeckt wurde und die Zubereitung angenehm süß schmeckt. Im Ergebnis nahmen die Kinder das Arzneimittel mithilfe einer Dosierspritze bereitwillig ein.

Antibiotika im Trinkhalm

Eine grundsätzliche Schwierigkeit, die sich dem pharmazeutischen Entwickler stellt, ist die Tatsache, dass der Geschmack von Patienten und Versuchspersonen sehr unterschiedlich beurteilt wird. Um möglichst vielen gerecht zu werden, stehen Antibiotikasäfte in verschiedenen Geschmacksrichtungen zur Verfügung. Als eine neue Clarithromycin-haltige Arzneiform steht ein Trinkhalm zur Verfügung, mit dem der Patient ganz nach seinem individuellen Geschmack sein Lieblingsgetränk wählen kann, mit dem er die befilmten Mikropellets in dem Trinkhalm aufsaugt und direkt schluckt, so dass der sehr bittere Geschmack des Clarithromycins nicht bemerkt wird. Lediglich Getränke, die Fruchtfasern oder Fruchtfleisch enthalten, dürfen nicht verwendet werden, weil sonst die Poren des Controllers an der Unterseite des Trinkhalms blockiert werden und damit die Arzneistoffapplikation unmöglich gemacht wird. Kohlensäurehaltige Getränke können dagegen verwendet werden. Breitkreutz bedauerte sehr, dass diese Darreichungsform, die die Compliance gerade von Kindern deutlich erhöht, in Deutschland sich nicht durchsetzen kann, da der Gemeinsame Bundesausschuss entschieden hat, dass die Wirkstoffe – unabhängig von ihrer Darreichungsform – den Festbetragsgruppen zugeordnet werden.


ck



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