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Ertrinkt das Kaspische Meer?

Das Kaspische Meer ist der größte Binnensee der Erde. Es liegt zwischen Osteuropa, Vorder- und Mittelasien in einer erdölreichen und politisch unruhigen Region. Große Aufmerksamkeit finden heute seine großen Seespiegelschwankungen in Vergangenheit und Gegenwart. Geologen und Meteorologen versuchen, das Rätsel zu lösen.

Das Kaspische Meer oder Kaspisee grenzt an Russland, Kasachstan, Turkmenistan, Iran und Aserbaidschan. Sein jährlicher Wasserzufluss beträgt etwa 300 Mrd. m3 ; davon entfallen etwa 80% auf die Wolga und der Rest auf zahlreiche kleinere Flüsse wie Ural, Kura, Terek, Kuma, Sulak, Samur, Sefid Rud, Atrek. An Niederschlag kommen im Mittel 77 Mrd. m3 dazu. Wie viel Grundwasser direkt in den See quillt, ist ungewiss. Der Kaspisee liegt etwa 27 m unter dem Meeresspiegel. Das gesamte zugeführte Wasser verdunstet, wovon etwa 5% zuvor in den Karabogas-Gol fließen, eine 3 m tiefer gelegene Lagune von ca. 18.000 km2 Fläche, die mit 35% Salzgehalt als das salzigste Gewässer der Erde gilt.

Die zugeführten und die verdunsteten Wassermengen stehen sowohl saisonal als auch langfristig in einem Ungleichgewicht. So schwankt der Pegelstand saisonal um etwa 40 cm und langfristig um mehrere Meter.

Der Kaspisee gliedert sich in drei etwa gleich große Teile. Der flache Norden, von dem ein Fünftel beim gegenwärtigen Wasserstand weniger als 1 m tief ist (und bei niedrigeren Pegelständen trocken fällt), hat ein Volumen von etwa 1%. Das mittlere Becken enthält ein Drittel, der Süden zwei Drittel der Wassermenge.

Schwankende Pegelstände

In den letzten 2500 Jahren hob und senkte sich der Wasserspiegel um nicht weniger als sechs Meter. Seitdem der Pegelstand aufgezeichnet wird, wurde im Jahr 1896 der höchste Wert erreicht (–25,5 m). Bis etwa 1930 hielt er sich relativ stabil. Dann fiel er bis 1977 um 3,5 m, was die Fläche des Kaspisees von 422.000 auf 371.000 km² verringerte. Bis 1995 stieg der Pegelstand dann um etwa 3 m, danach sank er wieder etwas. Der starke Anstieg in den 1980er Jahren verursachte einen Schaden von mehr als 12 Mrd. US-$. An den Küsten Aserbaidschans wurden über 800 km2 Fläche überflutet oder unterspült; eine Million Menschen waren betroffen. Die Ölindustrie und die Häfen wurden nachhaltig geschädigt.

Eine Ursache der starken Schwankungen könnte ein riesiges Grundwasserreservoir unter dem Kaukasus sein, aus dem mal mehr, mal weniger Wasser in das Kaspische Meer eindringt. Auch über eine unterirdische Verbindung zum rund 70 m höher liegenden Aralsee, der in den letzten Jahrzehnten dramatisch geschrumpft ist, wird spekuliert.

Kein Zweifel besteht daran, dass die oberirdischen Zuflussmengen schwanken. Einige kleinere Flüsse führten früher deutlich mehr Wasser. Noch im 17. Jahrhundert fuhren Schiffe auf Kuma und Manytsch zwischen dem Kaspischen Meer und dem Asowschen Meer. Heute wird allen Zuflüssen viel Wasser zur Bewässerung entnommen. Die langfristig schwankende Abflussmenge der Wolga hängt vor allem mit den veränderlichen Niederschlagsmengen in ihrem Einzugsgebiet zusammen. Auch die Verdunstungsmengen des Kaspischen Meeres sollen langfristig schwanken. Für die beiden letzteren Änderungen der Großwetterlage machte man die wechselnde Aktivität der Sonnenflecken verantwortlich.

Kaspisches Meer in Zahlen

Ausdehnung: Ost–West: 204 bis 566 kmNord–Süd: 1225 km
Größte Tiefe: 995 m
Mittlere Tiefe: Norden: 6 mMitte: 176 mSüden: 325 m
Oberfläche ca. 400.000 km²
Volumen 78.000 km3
Jährlicher Zufluss: 176–431 km3
Einzugsgebiet: 1,4 Mio. km2
Salzgehalt: Norden: 0,1 -1,1%Mitte und Süden: 1,2 –1,3%
Oberflächentemperatur: 0–27 °C

Die Rolle der Luftdruckschwankungen

Die aktuellste Vorstellung über das Geschehen, die Rolf Kipfer vom Institut für Atmosphären- und Klimawissenschaften der ETH Zürich und einige Kollegen vertreten, ist eine ganz andere. Denn eine gute Korrelation ergibt sich beim Vergleich der Pegelstände des Kaspischen Meeres mit den Luftdruckschwankungen im südlichen Pazifik (Southern Oscillation Index, SOI; Abb. 1). Der SOI hängt wiederum mit den atmosphärischen Zirkulationsverhältnissen im Nordatlantik zusammen (North Atlantic Oscillation, NAO; Abb. 2). Ausgeprägte Luftdruckunterschiede zwischen dem winterlichen Azorenhoch und dem Islandtief (positiver NAO-Index) lassen warme, feuchte Luft aus dem Nordatlantik nach Osteuropa strömen, sodass dort viel Niederschlag fällt. Bei schwachen Luftdruckunterschieden (negativer NAO-Index), die von 1930 bis 1972 dominierten, herrscht hingegen ein kontinentales Klima mit kalter, trockener Luft.

Regulierung im Großmaßstab

Im letzten Jahrhundert plante man, große Wassermengen aus dem Don ins Kaspische Meer zu leiten, um durch die Vergrößerung seiner Fläche die Verdunstung und die Niederschlagsmenge in der Umgebung zu steigern.

Gefahr für die Tiefsee

Die Forscher haben das Tiefenwasser des Kaspischen Meeres (unterhalb von –200 m im mittleren und südlichen Becken) untersucht und herausgefunden, dass es innerhalb von 15 Jahren vollständig ersetzt wurde – ein erstaunlich kurzer Zeitraum. Während der beiden Messkampagnen 1995 und 1996 haben sie allerdings keine direkten Hinweise auf einen großen vertikalen Austausch beobachtet, was zeigt, dass dieser nicht kontinuierlich stattfindet. Unterhalb von 500 m Tiefe ist das Wasser etwa 25 Jahre alt. Vermutlich hatte eine einzige, ungewöhnlich starke Konvektion um das Jahr 1977 das Tiefenwasser in beiden Becken großenteils erneuert.

Die seit 1977 gestiegenen Zuflussmengen ins Kaspische Meer haben den Salzgehalt und damit die Dichte des Oberflächenwassers kontinuierlich sinken lassen, sodass es sich schlechter mit dem schweren Tiefenwasser mischt. Wenn der Wasseraustausch nachlässt oder ganz unterbunden wird, besteht die Gefahr, dass die jetzt schon niedrige Konzentration an gelöstem Sauerstoff im Tiefenwasser (< 3 mg/l) sich weiter verringert. Setzt sich dieser Trend fort, wird sich im Tiefenwasser innerhalb von acht Jahren Anoxie ausbreiten (wie schon heute im Schwarzen Meer) und das derzeitige Ökosystem kollabieren.

Trotz aller Forschung weiß man noch nicht besonders viel über das Kaspische Meer. So mag es demnächst noch für manche Überraschung sorgen.


Literatur beim Verfasser


Dr. Uwe Schulte

Händelstraße 10, 71640 Ludwigsburg

schulte.uwe@t-online.de
Abb. 1: Die Pegelstände des Kaspischen Meeres korrespondieren langfristig mit dem Luftdruck im Südpazifik (Southern Oscillation Index, SOI).

Quelle: http://iacweb.ethz.ch/staff/eszter/vorlesung/Folien/KaspischesMeer_ppt.pdf

Abb. 2: NAO-Index von 1864 bis 2003. Ein positiver NAO-Index (North Atlantic Oscillation) bezeichnet einen hohen Luftdruckunterschied zwischen dem Azorenhoch und dem Islandtief in den Monaten Dezember bis März; die Folge ist ein atlantisches, das heißt mildes und feuchtes Klima in Mittel- und Osteuropa. Bei einem negativen NAO-Index, der in den Jahren 1930 bis 1972 vorherrschte, sind die Winter dagegen kalt und trocken (kontinentales Klima).

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