Selbstmedikation

Nutzen von Johanniskraut bei Depression belegt

Eine Cochrane-Metaanalyse wertete die Studienlage zu hydroalkoholischen Johanniskraut-Extrakten im Vergleich zu Antidepressiva und Placebo bei Depression aus. Die letzte Cochrane-Analyse dieser Art liegt zehn Jahre zurück. Aktuell flossen einige große neue Studien ein, ältere Untersuchungen mit zum Teil unklaren Diagnosen wurden ausgeschlossen. Dabei ergaben sich im Wirkungsvergleich der Johanniskraut-Extrakte zu Standardantidepressiva keine Unterschiede.

Cochrane Reviews sind systematische Übersichtsarbeiten, die alle zu einer therapeutischen Fragestellung relevanten und aktuellen Studien und Forschungsergebnisse zusammenfassen. Insgesamt wurden 29 randomisierte, verblindete Studien mit etwa 5500 Patienten in die Metaanalyse eingeschlossen. Verglichen wurde die Wirksamkeit von hydroalkoholischen Johanniskraut-Extrakten (im Mittel 500 bis 1200 mg täglich) mit Placebo und mit Standardantidepressiva. Die Behandlungsdauer der ausgewerteten Studien lag zwischen vier und zwölf Wochen. Im Unterschied zu Vorversionen wurden im aktuellen Cochrane Review nur Studien ausgewertet, an denen ausschließlich Patienten mit Depression im Sinne der major depression nach US-amerikanischem Klassifikationssystem DSM-IV (ähnlich der depressiven Episode in ICD-10) teilnehmen. Die meisten Patienten litten an milden bis mäßigen Symptomen. Die Ansprechrate ist dem Cochrane Review zufolge unter Johanniskraut insgesamt signifikant höher als unter Placebo, im Vergleich zu Standardantidepressiva konnte kein signifikanter Unterschied gefunden werden. Insgesamt waren die Ergebnisse jedoch sehr heterogen: In neun größeren Studien war der Effekt von Johanniskraut 1,28-mal größer als der Placeboeffekt. In weiteren neun Studien mit kleinerer Teilnehmerzahl war der Effekt sogar noch ausgeprägter. In zwei Studien schnitt Johanniskraut schlechter ab als Placebo. Die Autoren des Reviews kommen zu dem Ergebnis, dass Johanniskraut-Extrakt wirksamer als Placebo sei und der Effekt genauso groß ist, wie von standardmäßig eingesetzten Antidepressiva. Johanniskraut wurde auch hinsichtlich des Nebenwirkungsrisikos positiv bewertet: Die Extrakte waren gut verträglich, das Risiko, die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen abbrechen zu müssen, konnte im Vergleich zu älteren Antidepressiva um 75% reduziert werden.

Allerdings konstatierten die Autoren kritisch, dass trotz der strengeren Einschlusskriterien in dieser aktuellen Analyse zwischen den Ergebnissen der einzelnen placebokontrollierten Studien große Unterschiede beobachtet wurden, zudem wiesen die Effekte nicht einmal alle in die gleiche Richtung. Mit der Prüfung verschiedener Johanniskrautpräparate können diese Unterschiede nicht erklärt werden.

Wirksam nur im deutschsprachigen Raum?

Eine zusätzliche Auswertung, die die Ursachen für die starke Heterogenität ermitteln sollte, ergab überraschenderweise, dass nur die in deutschsprachigen Ländern durchgeführten Studien einen antidepressiven Effekt zeigen. In anderen Ländern blieb dieser aus. Auch konnte in größeren Studien ein geringerer Effekt als in kleineren Studien beobachtet werden. Die Autoren vermuten methodische Mängel in den publizierten kleinen Studien aus deutschsprachigen Ländern, das Arzneitelegramm wertet dieses Ergebnis als einen Hinweis auf mögliche Verzerrungen durch Nichtveröffentlichung von Negativstudien. Nach Ansicht eines Autors der Studie, Priv.-Doz. Dr. Klaus Linde vom Zentrum für naturheilkundliche Forschung der Technischen Universität München, sind für das beobachtete Phänomen zwei Erklärungen denkbar. Eine Möglichkeit wäre, dass in den deutschsprachigen Ländern, in denen Johanniskrautpräparate eine lange Tradition haben und in der Praxis breit angewendet werden, andere Patienten in die Studien aufgenommen wurden als in Ländern, die wenig Erfahrung mit dieser Therapie haben. Ein weiterer vorstellbarer Grund für diese Unterschiede könnte darin liegen, dass alle deutschen Studien in der Primärversorgung, also beim niedergelassenen Arzt durchgeführt wurden, während im Ausland die Mehrzahl der Studien in spezialisierten Einrichtungen, z. B. in psychiatrischen Ambulanzen oder Forschungseinrichtungen stattfanden. Möglicherweise wurden im Endeffekt in den deutschen Studien andere Formen depressiver Erkrankungen berücksichtigt, bei denen Johanniskraut besser wirkt. Aber auch wenn im Rahmen der Cochrane-Auswertung Fehler aufgetreten wären, so könnte das nur für einige wenige Studien gelten, betonte Linde. Das würde keineswegs bedeuten, dass die deutschen Studien insgesamt die Effekte zu hoch werten. Nur weil in einigen Studien aus dem englischsprachigen Raum die Effekte nicht so eindeutig waren, sieht Linde keinen Anlass, in den deutschsprachigen Ländern die Anwendung von Johanniskrautextrakten zu ändern, da hier die Evidenz auf hochwertigen Studien beruhe.


Quelle

Linde K, et al.: St John‘s wort for major depression. Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 4. Art. No.: CD000448. DOI: 10.1002/14651858.CD000448.pub3

Johanniskraut: antidepressiv wirksam nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz? arzneitelegramm 2008; 39: 11.


ck

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