DAZ aktuell

Neue Regelungen für Gewebe und Gewebezubereitungen

FRANKFURT (hb). Am 1. August 2007 ist in Deutschland das Gewebegesetz in Kraft getreten. Mit ihm wird die europäische Richtlinie 2004/23/EG in nationales Recht umgesetzt. Auch die noch nicht lange verabschiedete Verordnung über Arzneimittel für neuartige Therapien EG Nr. 1394/2007 greift in diesen Sektor ein. Bei einer Kooperationsveranstaltung von Colloquium Pharmaceuticum und der Gesellschaft für regenerative Medizin e.V. am 4. Dezember 2008 in Frankfurt diskutierten Behördenvertreter und Betroffene in der Industrie über den Stand der Umsetzung und die Folgen für die Verkehrsfähigkeit der Produkte.

Das Gesetz über die Qualität und Sicherheit von menschlichen Zellen und Geweben (Gewebegesetz) änderte im wesentlichen das Arzneimittelgesetz (AMG), das Transfusionsgesetz (TFG) und das Transplantationsgesetz (TPG) und bildet nun zusammen mit der darüber hinaus erlassenen TPG-Gewebeverordnung (TPG-GewV) vom 26. März 2008 einen neuen Rechtsrahmen für den Umgang mit Zellen und Geweben.

Die substanziell bedeutsamsten arzneimittelrechtlichen Neuerungen finden sich im AMG in einigen komplett neuen Paragraphen, die folgende Aspekte betreffen:

  • Erlaubnis für die Gewinnung von Gewebe und die Laboruntersuchungen (§ 20 b)
  • Erlaubnis für die Be- oder Verarbeitung, Konservierung, Lagerung oder das Inverkehrbringen von Gewebe oder Gewebezubereitungen (§ 20 c)
  • Genehmigung von Gewebezubereitungen (§ 21 a)
  • Besondere Dokumentations- und Meldepflichten bei Blut- und Gewebezubereitungen (§ 63 c)
  • Einfuhrerlaubnis und Zertifikate für Gewebe und bestimmte Gewebezubereitungen (§ 72 b)

Großer Aufwand

Die Neuregelungen des Gewebegesetzes führen zu einem erheblichen Anpassungsbedarf in der herstellenden Industrie und in den Kliniken. Einige Einrichtungen verfügen zwar bereits über eine Herstellungserlaubnis gemäß § 13 AMG. Alle anderen müssen jedoch mit einer Übergangsfrist Erlaubnisse nach § 20b bzw. 20c AMG beantragen. Betroffen sind neben den Entnahmeeinrichtungen vor allem die Gewebeeinrichtungen. Hierunter fallen Krankenhausabteilungen oder Einrichtungen, die Gewebe oder Zellen weiterverarbeiten. Auf sie kommt einiges zu, angefangen von der Sicherstellung der Eignung der Räumlichkeiten und Umgebungsbedingungen für das Herstellungsverfahren, die Validierung von Be-und Verarbeitungsverfahren über die Prüfung der Gewebezubereitungen und deren Kennzeichnung bis hin zu den Rahmenbedingungen für die Freigabe, Lagerung, den Transport, und die Dokumentation nach Übertragung des Gewebes durch die medizinische Einrichtung, sowie last not least Programme für die Meldungen schwerwiegenden unerwünschter Reaktionen und Zwischenfälle.

Zuständigkeit beim PEI

Auch die Behörden der Arzneimittelüberwachung und die Zulassungsbehörde werden mit neuen Aufgaben konfrontiert. Zuständige Bundesoberbehörde für Gewebe und Gewebezubereitungen ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das je nach Sachlage an der Erteilung von Erlaubnissen für die Gewinnung von Gewebe und die Laboruntersuchungen bzw. für die Be- oder Verarbeitung, Konservierung, Lagerung oder das Inverkehrbringen beteiligt werden kann oder muss.

Das PEI ist darüber hinaus auch zuständig für die Erteilung der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Gewebezubereitungen (nach § 21 a AMG), die nicht mit industriellen Verfahren be- oder verarbeitet werden und deren wesentliche Be- oder Verarbeitungsverfahren in der EU hinreichend bekannt und deren Wirkungen und Nebenwirkungen aus dem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial ersichtlich sind. Dies gilt auch für vergleichbare Verfahren. Auch diejenigen Präparate, die bereits im Markt sind, müssen nun mit einer Übergangsfrist eine solche Genehmigung beantragen, es sei denn, sie besitzen schon eine arzneimittelrechtliche Zulassung (§ 21 AMG). Im Februar 2008 lagen beim PEI 163 Anträge für muskulo-skeletale Gewebe, 57 für Augengewebe und 40 für kardiovaskuläre Gewebe vor, die die wichtigsten Gewebegruppen repräsentieren.

Biotechnologisch bearbeitete Gewebe

Zubereitungen aus Geweben werden, soweit sie biotechnologisch bearbeitet werden, in der europäischen Verordnung über Arzneimittel für neuartige Therapien (Adavanced Therapy Medicinal Products, ATMP (EG) Nr. 1394/2007 vom 13. November 2007) geregelt, die derzeit ebenfalls implementiert wird. Mit ihr sollte eine Regulierungslücke zwischen dem Arzneimittel- und dem Medizinprodukte-Bereich geschlossen werden. Sie schafft nun einen einheitlichen gesetzlichen Regelungsrahmen für die drei Produktgruppen: Gentherapeutika, somatische Zelltherapeutika und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte (auch: Produkte aus Gewebezüchtung, tissue engineering products). Letztere werden damit erstmalig dem europäischen Arzneimittelrecht unterstellt. Wichtige Begriffsbestimmungen finden sich in untenstehendem Kasten.

Zentrale Zulassung verpflichtend

Auf dem Sektor tissue engineering products ist die wissenschaftliche Expertise bei den Behörden knapp, einer der Gründe, warum Arzneimittel für neuartige Therapien und damit auch biotechnologisch bearbeitete Gewebe ausschließlich über ein zentrales Zulassungsverfahren bei der europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) in London zugelassen werden können. So werden die Kräfte effektiv gebündelt. Bezüglich der Anforderungen an die Präklinik, Klinik und Qualität ist eine Vielzahl von Guidelines in der Entwicklung. Außerdem wird bei der EMEA ein Ausschuss für neuartige Therapien (CAT) installiert, der Mitte Januar 2009 zu ersten Mal tagen soll. Nationale Genehmigungen für Arzneimittel für neuartige Therapien sind nur dann möglich, wenn die Herstellung nicht routinemäßig erfolgt (Krankenhausausnahmen). Die Rahmenbedingungen hierfür legen die Mitgliedstaaten selbst fest, in Deutschland einer der "Tagesordnungspunkte" für die 15. AMG-Novelle.

Vor allem kleine und mittlere Unternehmen

Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) werden in Deutschland drei Mal mehr Gewebe als Organe verpflanzt. Allein 5000 Transplantationen entfallen auf die Augen-Hornhaut, mehr als 30.000 auf Knochen. Der Markt der Gewebezubereitungen wird laut Aussagen von Branchenexperten derzeit hauptsächlich von kleinen und mittleren Unternehmen bedient, ein Industriesektor, der in den aufwendigen Zulassungsverfahren trotz gewährter Vergünstigungen häufig benachteiligt ist. So wird prophezeit, dass viele hier nicht werden mithalten können und die Hürde der nationalen Genehmigung bzw. der zentralen Zulassung nicht schaffen. Schon beginnen größere Firmen, die auf diesem Sektor bislang gar nicht tätig waren, zum Einstieg nach lukatriven Produkten und Unternehmen Ausschau zu halten. Schließlich gewährt die zentrale Zulassung mit einem Schlag den Zugang in den gesamten Binnenmarkt.

Wichtige Begriffsbestimmungen

Gewebe
sind alle aus Zellen bestehenden Bestandteile des menschlichen Körpers, die keine Organe sind, einschließlich einzelner menschlicher Zellen (§ 1a Nr. 4 TPG).
Gewebezubereitungen
sind Arzneimittel, die Gewebe im Sinne von § 1a Nr. 4 TPG sind oder aus solchen Geweben hergestellt worden sind (§ 4 Abs. 30 AMG)
Arzneimittel für neuartige Therapien
sind
Gentherapeutika
Somatische Zelltherapeutika
Biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte (Art. 2 (1) a der Verordnung für neuartige Therapien EG 1394/2007).
Biotechnologisch bearbeitetes Gewebeprodukt
ist ein Produkt,
das biotechnologisch bearbeitete Zellen oder Gewebe enthält oder aus ihnen besteht und
dem Eigenschaften zur Regeneration, Wiederherstellung oder zum Ersatz menschlichen Gewebes zugeschrieben werden oder das zu diesem Zweck verwendet oder Menschen verabreicht wird.
das Zellen oder Gewebe menschlichen oder tierischen Ursprungs enthalten kann, diese können lebensfähig oder nicht lebensfähig sein, kann außerdem weitere Stoffe enthalten wie Zellprodukte, Biomoleküle, Biomaterial, chemische Stoffe und Zellträger wie Gerüst- oder Bindesubstanzen (Art. 2 (1) b der Verordnung für neuartige Therapien EG 1394/2007).

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